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Deutsch-Tschechische Erklärung
Der Weg zu normalen Beziehungen

Heute vor 25 Jahren wurde die Deutsch-Tschechische Erklärung unterzeichnet
Deutsch-Tschechische Erklärung.
Die Außenminister der Tschechischen Republik, Josef Zieleniec (li), und Deutschlands, Klaus Kinkel; unterzeichnen in Prag die Deutsch-Tschechische Erklärung. © picture-alliance / dpa | Jan_Trestik

Die Entspannungspolitik hat zweifellos ihren Beitrag dazu geleistet, dass im Jahre 1989 der kommunistische Spuk beendet wurde und der Eiserne Vorhang, der sich durch Europa zog, fiel. Aber die Entspannung hatte damit nicht ausgedient. Jetzt galt es, die noch kaum geminderten historischen Spannungen und Verwerfungen zwischen Deutschland und den ehemals kommunistischen Ländern Mitteleuropas aufzuarbeiten. Das erforderte auch eine Art Entspannungspolitik. Die Deutsch-Tschechische Erklärung, die am 21. Januar 1997 – also vor genau 25 Jahren – von Bundeskanzler Helmut Kohl, Bundesaußenminister Klaus Kinkel, Tschechiens Ministerpräsident Václav Klaus und Außenminister Josef Zieleniec unterzeichnet wurde, ist bis heute ein Musterbeispiel dafür, wie ein solcher Prozess gelingen kann.

Die Last der Geschichte

Die Geschichte lastete schwer auf den Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen. Und der Eiserne Vorhang tat das seine dazu, dass die Beziehungen nicht herzlicher wurden. Schon die kommunistische Ideologie, die den Tschechen nach 1948 aufgezwungen worden war, verhinderte eine sachbezogene Debatte. Dabei gab es großen Diskussionsbedarf. Da waren die Leiden, die die Deutschen der Tschechoslowakei zugefügt hatten: Die Zerstückelung des Landes durch das Münchner Abkommen von 1938, die anschließende Naziherrschaft im Scheinstaat Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, die darauf folgende Terrorherrschaft, die in der Auslöschung der Ortschaften Lidice and Ležáky 1942 einen grausigen Höhepunkt erreichte, und letztlich auch die kommunistische Tyrannei, die eine indirekte Folge der Naziverbrechen war. Aber da war auch die summarische Enteignung und Vertreibung der Deutschen, deren Familien hier seit Jahrhunderten ihre Heimat hatten, die zum Teil auf extrem grausame Weise betrieben wurde, und für deren selbst offenkundige Verbrechen Dank des Schutzes der damaligen Regierung Beneš niemand je zur Rechenschaft gezogen wurde.

Die Bewusstseinsänderung naht

Man hätte genügend Grund gehabt, sich gegenseitig über Jahrzehnte fruchtlos Schuldaufrechnungen zukommen zu lassen. Zugegeben: Es hatte immer wieder positive Akzente gegeben. Schon 1974, also noch in kommunistischer Zeit, nahm etwa die Tschechoslowakei mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen auf. Nach dem Sturz des Kommunismus war es dann vor allem Präsident Václav Havel, der sich intensiv um eine Aussöhnung und eine offene Geschichtsdebatte zwischen den beiden Ländern bemühte. Dabei scheute er auch nicht davor zurück, von den eigenen Landsleuten eine Entschuldigung einzufordern für das bei der Vertreibung der Deutschen geschehene Unrecht. Das brachte ihm viel Kritik ein, denn viele Tschechen fürchteten, aus jeder Form von Entschuldigung könnten Restitutionsansprüche erwachsen, so wie sie in Deutschland die Vertriebenenverbände immer wieder erhoben hatten. Aber allmählich begannen Historiker seine Thesen zu unterstützen. Zudem hatte das Jahr 1989 auch zu einer Bewußtseinveränderung geführt. Die Bürger der Tschechoslowakei (und ab 1993 Tschechiens) wollten sich dem Westen annähern. Die Hilfe, die viele Tschechen den Flüchtlingen gewährten, die im September auf das Gelände der Deutschen Botschaft geflohen waren, rührte die Herzen. Das war eine historische, bedeutsame und gemeinsame Geschichtserfahrung.

Dies alles floss 1992 in den Vertrag über gute Nachbarschaft ein. Der regelte die Dinge, die nun formal geregelt werden mussten, um zu einer tieferen Verständigung zu kommen: Keine Gebietsansprüche, die Anerkennung der bestehenden Grenzen, eine europäische Perspektive, der friedliche Umgang miteinander. Und vor allem eine Willenserklärung zum Umgang mit der leidvollen gemeinsamen Geschichte „in dem festen Willen, ein für allemal der Anwendung von Gewalt, dem Unrecht und der Vergeltung von Unrecht mit neuer Ungerechtigkeit ein Ende zu machen und durch gemeinsame Bemühungen die Folgen der leidvollen Kapitel der gemeinsamen Geschichte in diesem Jahrhundert zu bewältigen.“

Die Anerkennung des Unrechts – von beiden Seiten

Und genau das war der Zweck der Deutsch-Tschechischen Erklärung, die diesen Ansatz mit Leben erfüllte. In ihr entschuldigte sich die deutsche Seite für „das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist“ und erkannte auch die Tatsache an, dass die Vertreibung der Deutschen eine Folge des Nazi-Unrechts war.

Die tschechische Seite erkannte in Sachen Vertreibung an, dass durch „Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung. Sie bedauert insbesondere die Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen und auch den damals geltenden rechtlichen Normen gestanden haben...“

Dabei waren sich beide Seiten bewusst, dass es sich um den Beginn eines Prozesses handelte, und dass man mit der Vergangenheitsbewältigung die „Beziehungen auf die Zukunft ausrichten“ wolle. Ganz bewusst vermeidet der Vertrag eine festgelegte Geschichtspolitik. Es ging um die Anregung eines gemeinsamen Diskussionsprozesses. Eine Historikerkommission wurde durch den Vertrag ins Leben gerufen und vor allem der gemeinsame Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, eine Fördereinrichtung, die kulturelle, politische und zivilgesellschaftle deutsch-tschechische Aktivitäten unterstützt (mit einem heutigen Finanzvolumen von über 60 Mio. Euro). Der Fonds half mit, dass die deutsch-tschechische Freundschaft, aber auch das historische Einander-Verstehen „von unten“ im offenen Prozess wuchs.

Verständigung wächst von unten

Das, was dann wuchs, kann sich sehen lassen. Ja, ab und an gab es Rückfälle, etwa als bei den Präsidentschaftswahlen 2013 der heutige Amtsinhaber Miloš Zeman seinen Gegenkandidaten Karel Schwarzenberg, der stets die Anerkennung des Unrechts bei der Vertreibung betont hatte, möglicherweise deshalb knapp ausbooten konnte, weil er ihn ständig diffamierte „Sprecher der Sudetendeutschen, kein richtiger Tscheche“ zu sein.

Auch der Annahme der Erklärung durch die Parlamente beider Länder gingen harte Debatten voraus. Im Bundestag kam vor allem aus Bayern, wo sich ein Großteil der Vertrieben angesiedelt hatten (ein Wählerreservoir der CSU!) Widerspruch. In Tschechien malten viele nationalistisch ausgerichtete Abgeordnete das Gespenst einer Enteignung von Tschechen durch Sudetendeutsche an die Wand. Am Ende ging aber alles gut: Der Bundestag beschloss am 30. Januar 1997 und das tschechische Abgeordnetenhaus am 14. Februar 1997 jeweils mit deutlicher Mehrheit die Erklärung.

Die Ängste verflogen, je mehr sich die im Vertrag angeregte „Arbeit von unten“ bemerkbar machte. 2015 beschloss die Sudetendeutsche Landsmannschaft zum Beispiel, ihre alten Forderungen nach einer „Wiedergewinnung der Heimat“ und der „Restitution oder gleichwertige Entschädigung“ aus den Statuten zu streichen. Wenn sich heute der neue Außenminister Jan Lipavský sogar für die Idee offen zeigt, man könne doch auch einmal einen Sudetentag in Tschechien stattfinden lassen, erzürnte das nur Präsident Zeman ein wenig – und sonst kaum jemand. Man würde sich nicht wundern, wenn so etwas bald tatsächlich passierte.

1997 wäre die bloße Anregung einer solchen Idee absurd erschienen. Es ist viel geschehen seither. Und wenn heute der deutsche Zeitungsleser kaum mehr etwas über das deutsch-tschechische Verhältnis liest, dann vielleicht auch, weil die Beziehungen so ausgesprochen unspektakulär normal geworden sind. Und das verdankt man zu einem nicht geringen Teil der Deutsch-Tschechischen Erklärung.

Am Rande einer von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit 2017 organisierten Veranstaltung zum 20 Jahrestag der Erklärung fasste daher der ehemalige Außenminister und Mitunterzeichner Klaus Kinkel treffend zusammen: „Die war deshalb so wichtig, weil ganz offensichtlich in den zurückliegenden Vertragsverhandlungen und Verträgen es nicht wirklich gelungen war, die Schatten der Vergangenheit, der Geschichte, einigermassen in Griff zu bekommen. Und deshalb war diese Erklärung notwendig, das war ja auch der Ansatz damals, warum wir uns auf den Weg zu der deutsch-tschechischen Erklärung gemacht haben. Und ich glaube, dass im Gegensatz zu den Vereinbarungen, die vorher getroffen worden sind, die deutsch-tschechische Erklärung dann tatsächlich ein erster wichtiger Schritt für die Zukunft war.“

 

Dr. Detmar Doering ist Projektleiter der Friedrich-Nauman-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und die baltischen Staaten mit Sitz in Prag.