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US-Wahlen
Joe Biden: Ein anderer Stil – die Herausforderungen bleiben

US-Election Ein neuer Anfang

Joe Biden wird einen anderen Stil pflegen als der derzeitige Amtsinhaber. Das gilt für die internationale Politik wahrscheinlich noch in stärkerem Maße als für die US-amerikanische Innenpolitik. Er ist ein starker Befürworter multilateraler Institutionen. In seinem Weltbild spielen stabile Partnerschaften und insbesondere eine enge transatlantische Bindung eine wesentliche Rolle. Es geht ihm nicht vorrangig um Deals, sondern um tragfähige langfristige Lösungen. Zudem hat er langjährige Erfahrungen auf der globalen Bühne.
Das wird es für Deutschland und die Europäische Union leichter machen, mit den USA zu kommunizieren und an verschiedenen Themen zu arbeiten. Dabei wäre es jedoch falsch, sich Illusionen hinzugeben. Wesentliche Grundrichtungen und Problemwahrnehmungen der amerikanischen Politik werden sich nicht ändern – über sie herrscht ein breiter Konsens. Auch Joe Biden wird sehr deutlich US-amerikanische Interessen vertreten – aufgrund seines anderen Politikstils wird er das wahrscheinlich auf einigen Feldern effektiver tun, als es der derzeitige Amtsinhaber geschafft hat. Darauf muss sich Europa einstellen, um das zu erwartende bessere Klima zu nutzen, um tatsächlich zu Fortschritten bei wichtigen Fragen zu kommen. Einige Themen werden dabei auch in Zukunft eine herausragende Rolle spielen.

Sicherheitspartnerschaft

Unter Joe Biden wäre es sicher keine Option für die USA, die NATO zu verlassen. Doch auch er wird mehr Verantwortung von den europäischen NATO-Partner fordern – wie er es gemeinsam mit Barack Obama als Vizepräsident getan hat. Das gilt nicht nur für den finanziellen Beitrag, der oft im Vordergrund der Debatten steht. Es wird vor allem um die strategische Ausrichtung gehen und um die klare Definition von Bedrohungen für die gemeinsame Sicherheit. Dieses Thema geht über den Rahmen der NATO hinaus. Die Vereinigten Staaten werden auch unter dem neuen Präsidenten China, Russland und den Iran als wesentliche Bedrohungen für ihre Sicherheit ansehen. Das transatlantische Klima wird sich nur verbessern, wenn sich die Europäer diesen Herausforderungen stellen und sie nicht verdrängen. Hier gilt es, bei allen Meinungsverschiedenheiten, diese Bedrohungen ernst zu nehmen und an Schritten zu arbeiten, wie ihnen begegnet werden kann, die weit über das Militärische hinausgehen. Dabei wird es im Verhältnis mit der Biden-Administration leichter sein, auf gemeinsame Wertvorstellungen aufzubauen – aber das allein wird nicht ausreichen. Deutschland und Europa müssen sich auch dann, wenn es innenpolitisch unpopulär sein mag, den Herausforderungen stellen und in die gemeinsame Sicherheit viel politisches Kapital investieren.  

Weltwirtschaftsordnung

Joe Biden ist, genau wie Donald Trump, kein starker Anhänger des Freihandels. Auch für ihn sind die organisierten Interessen im eigenen Land ein entscheidender Faktor bei der Definition seiner Politik. Er wird die amerikanische Anti-Dumping-Gesetzgebung, die Grundlage für viele Formen des Protektionismus ist, eher stärken als schwächen. So befürwortet er beim Abschluss von Handelsabkommen in anderen Ländern z.B. Mindestlöhne und andere Standards, wie sie Donald Trump gegenüber Mexiko bei der Neuverhandlung des Handelsabkommens durchgesetzt hat. Er wird sehr wahrscheinlich nicht vor Schutzzöllen für amerikanische Industrien zurückschrecken. Ein Unterschied zu Donald Trump ist jedoch deutlich: Joe Biden setzt mehr auf Institutionen wie die WTO und langfristige Abkommen als auf ein hin und her von gegenseitigen Sanktionen. Allerdings wird er im Konfliktfall vor diesen auch nicht zurückschrecken. Für die europäische Seite heißt das: Verhandlungen über langfristige Handelsabkommen werden wieder möglich, aber sie werden nicht einfach. Es wird, auch bei der Gestaltung der Zukunft der WTO, notwendig sein, die amerikanischen Interessen ernst zu nehmen und gleichzeitig eigene überzeugende Vorschläge zu machen, etwa zur Zukunft der Streitschlichtungsmechanismen. Ebenso wichtig ist es, sich gemeinsam der Regulierungsfragen zu widmen, die die immer weiter globalisierte und digitalisierte Wirtschaft mit sich bringt – jenseits von Protektionismus und kurzfristigem Aktionismus. Dabei könnte ein neuer Anlauf für eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft eine wichtige Rolle spielen. Es macht Hoffnung für zukünftige Handelsabkommen, dass Joe Biden immer wieder bewiesen hat, dass er auch mit Republikanern ergebnisorientiert zusammenarbeiten kann. Das könnte ihm helfen, auf diesem Feld Widerstände in der eigenen Partei zu überwinden und breite Unterstützung zu generieren.

Umgang mit China

Der Umgang mit China ist die wesentliche Herausforderung für die westliche Welt, aber natürlich nicht nur für diese. Zur Bewahrung von Freiheit und Wohlstand auf beiden Seiten des Atlantik und darüber hinaus ist es notwendig, dem Anspruch des autoritär regierten Einparteienstaates China auf immer größeren Einfluss entgegenzutreten. Dabei sind wichtige Fragen möglichst im Konsens zu klären: Wie soll der zukünftige Umgang mit chinesischen Investitionen sein, gerade wenn es um kritische Infrastruktur und innovative Wirtschaftszweige geht? Wie gehen die USA und Europa mit den massiven chinesischen Menschenrechtsverletzungen um und wie wägen sie diese gegen wirtschaftliche und strategische Interessen ab? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht leicht zu finden. Mit Joe Biden und seiner Administration gibt es Chancen auf einen sachlichen Dialog dazu und auf gemeinsame Lösungen. Doch diese Chancen müssen auch genutzt werden und dürfen nicht durch Wegducken und das Ignorieren von Problemen verspielt werden.

Multilateralismus und globale Fragen

Für den neuen Präsidenten sind die UNO und andere multilaterale Organisationen kein leicht verzichtbarer und zu bekämpfender Hemmschuh für amerikanische Interessen. Die USA werden sich wieder verstärkt in die UNO und deren Unterorganisationen einbringen. Doch auch hier werden die nationalen Interessen weiterhin ein wichtiger Maßstab sein. Auch unter Joe Biden sind multilaterale Institutionen kein Selbstzweck – die Mitarbeit in ihnen hat sich im Zweifelsfall nationalen Werten und Interessen unterzuordnen. Doch die gemeinsame Wertebasis ist groß. So könnten sich große Chancen für Reformen in den vielen multilateralen Institutionen ergeben, wenn sich die USA wirklich engagieren und ihren Einfluss dafür einsetzen. Gemeinsam können die USA und Europa auch in Zukunft ein entscheidender Faktor bei der Gestaltung der Weltordnung in einem freiheitlichen und demokratischen Sinn sein. Doch dazu ist auf beiden Seiten Offenheit und Akzeptanz für die Sichtweise der anderen notwendig. Es gibt die begründete Hoffnung, dass der Dialog mit der neuen Regierung dazu breiter und leichter wird.

Auf dem Feld der Klimapolitik wird es sicher eine wesentliche Veränderung in der amerikanischen Positionierung geben. Joe Biden hat bereits angekündigt, dass er, im Falle seines Sieges, direkt am 21.01.21 wieder dem Pariser Klimaabkommen beitreten wird. Doch auch hier gilt: Die Vereinigten Staaten werden stark ihre eigene Sichtweise betonen – so setzen sie sehr stark auf Technologieoffenheit und Innovation und haben die Interessen der einheimischen Industrie genau im Blick.