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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

FREIHANDELSABKOMMEN
Zaudern und Zögern bei CETA

Bei Freihandelsverträgen muss die Bundesregierung entschlossen agieren. Die Zeitenwende erdordert dies. Grüne Bedenken missachten die Gebote der Geopolitik.
Justin Trudeau und Olaf Scholz in Montréal.

Justin Trudeau und Olaf Scholz in Montréal.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Adrian Wyld

Es ist höchste Zeit. Am 14. März dieses Jahres billigte das Bundesverfassungsgericht das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union. Das „Comprehensive Economic and Trade Agreement“, kurz: CETA, stammt aus dem Jahr 2016, ist also schon sechs Jahre alt. Aber es sind weitere fünf Monate verstrichen, bis sich Berlin und Brüssel auf Betreiben der Grünen über eine Zusatzerklärung einigen konnten, die den Missbrauch des Investitionsschutzkapitels verhindern soll. Dahinter steht die ewige Angst der Grünen, multinationale Konzerne könnten durch Schadenersatzklagen den Rechtsstaat unter Druck setzen oder gar aushebeln.

Herausgekommen ist ein Dokument ohne rechtlich verbindlichen Charakter. Es ist eine Art „Klarstellung“, die durch eine „präzisere Definition“ von Begriffen wie „gerechte und billige Behandlung“ verhindern soll, dass etwa nationale klima- oder gesundheitspolitische Ziele konterkariert werden. Der Klarstellung müssen nun alle EU-Staaten zustimmen, bevor der gemeinsame CETA-Ausschuss der EU-Kommission und der kanadischen Regierung beschließt. Wieder werden Monate vergehen.

Ein elend langer Prozess, der zu viel Verärgerung in Kanada und in europäischen Ländern über Deutschland geführt hat. Zu Recht: Seit Putins Krieg gegen die Ukraine sprechen wir von „Zeitenwende“, und wir meinen damit, dass die neue geopolitische Lage eine neue Dimension der Zusammenarbeit aller Nationen mit westlichen freiheitlichen Werten verlangt. Dies muss auch sichtbar werden, und zwar nicht nur in der Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik, sondern natürlich auch im Bereich des internationalen Handels. Der Westen mit seiner liberalen Konzeption des freien und fairen Handels muss mit bilateralen Vereinbarungen vorangehen und damit demonstrieren, dass er auch wirtschaftlich handlungsfähig ist – auf eigene Faust, ohne autokratische Großmächte wie China und Russland. Was liegt da näher als die zügige Ratifikation von CETA, einem Abkommen zwischen der EU und Kanada, einem lupenreinen demokratischen Rechtsstaat Nordamerikas?

CETA sollte dabei der Startschuss sein für weitere Handelsinitiativen der EU, allen voran der Abschluss eines Abkommens mit MERCOSUR in Südamerika. Abkommen mit afrikanischen und asiatischen Ländern könnten folgen, auch um klarzumachen: Wir überlassen diese wichtigen Regionen der Welt eben nicht dem Einfluss autokratischer Regime Chinas und Russlands. Dies muss die neue Realität einer wertgebundenen Geopolitik des Westens sein – nach der Zeitenwende des Februar 2022. Es ist bedauerlich und gefährlich, wenn die Grünen in der Bundesregierung und in Europa diese neue Orientierung gefährden – durch ein allzu kleinliches Insistieren auf „Sicherheitsgarantien“, was Zielsetzungen der Ökologie betrifft. Die können sehr leicht zum Scheitern der Marktöffnung ganzer Kontinente gegenüber Europa führen. Und dies könnte China und Russland geradezu einladen, die entstehenden Lücken zu füllen, was ja auch in der Vergangenheit schon oft genug geschehen ist.

Hinzu kommen innereuropäische Gesichtspunkte: Man glaube bitte nicht, dass es Deutschlands langfristigen Interessen dient, wenn das große, mächtige Land im Zentrum des Kontinents ständig Sonderwünsche äußert, über die EU-Kommission durchsetzt und dann nachträglich von anderen Staaten billigen lässt, ohne dass diese an der Meinungsbildung aktiv beteiligt wären. Dies gilt natürlich umso mehr, wenn – wie im Falle der Zusatzerklärung zu CETA – die Tür dafür geöffnet wird, Regierungen jenseits des Vertragstextes zu erlauben eigenmächtig festzulegen, was „missbräuchlich“ ist und damit den Investitionsschutz oder andere Rechtsgüter auszuhebeln. Wenn dies sich zur gängigen Praxis entwickelt, dann ist es künftig fraglich, ob die kleineren EU-Länder noch motiviert bleiben, sich den deutschen Sonderwünschen brav zu unterwerfen. Der Schwung neuer handelspolitischer Initiativen wäre dahin. Stagnation im Status quo wäre die Folge.

Fazit: Zeitgemäße Geopolitik und zukunftsweisende Europapolitik verlangen mehr als die kleinliche Vertretung von ideologischen Partikularinteressen. Diese Lektion müssen die Grünen offenbar in Deutschland noch lernen. Die schleppende und viel zu späte Ratifikation von CETA markiert dafür den Startschuss. Hoffentlich wird er gehört.