EN

Flutkatastrophe
Pakistan: Flutgefahr noch nicht gebannt

Flutkatastrophe in Pakistan – mehr eine Frage des Wasser-Managements als des Klimawandels

 

 

© picture alliance / AA | Hussain Ali    

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Pakistans lebt an den Ufern des Indus und seiner Zuflüsse, das ist seit Jahrtausenden so. Die jährlichen Überschwemmungen der Flussanrainergebiete ermöglicht Landwirtschaft. Der Schlamm, den die jährlichen Überschwemmungen des Monsun auf die Felder der Bauern tragen, machen das Land fruchtbar. Geographisch zählt Pakistan zu einer der heißesten Regionen der Welt. Die Menschen haben seit Jahrhunderten gelernt, mit dem abwechselnden Hitzeperioden der Trockenzeit und den starken, periodischen Regenfällen und Überschwemmungen der Monsunzeit zu leben. Das ist der normale, jahreszeitlich Rhythmus des Lebens.

In diesem Jahr kam die Hitze jedoch schon sechs Wochen früher und auch der Monsun kam eher und wesentlich stärker als im Vorjahr. Das kann sicherlich als Folge des Klimawandels gewertet werden, allerdings mit Vorwarnung. Bereits im April warnten Meteorologen in Südasien vor der bevorstehenden Hitzewelle und einer früher einsetzenden, aber lang anhaltenden, heftigen Monsunzeit. Während Pakistan vergleichsweise gut die Hitzeperiode von April bis Juni überstand - man hat aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt und zumindest in der Metropole Karachi Hitze-Management-Pläne für solche Situationen entwickelt – trafen die starken lokalen Regenfälle, die lokale Blitzfluten verursachten, das Land unvorbereitet.

Obwohl die Meteorologen dieses Szenario bereits Wochen vorher angekündigt hatten, gab es keine wirksamen Notfallpläne. Die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten Beluchistans, die als erstes Opfer der Überflutungen wurden, war  sofort von der Außenwelt abgeschnitten, verloren Hab- und Gut. Wegen der zerstörten Infrastruktur war es schwer bis unmöglich, ihnen schnell die notwendige Hilfe zu bringen. Diese humanitäre Katastrophe begann im Juni  unbemerkt von der nationalen Presse oder Politik. Während in den von der Außenwelt abgeschnittenen Flutgebieten Beluchistans bereits hunderte von Opfer zu beklagen waren und allenfalls in den Sozialen Medien private Hilfeaufrufe kursierten, beschäftigten sich Medien und Politik weiterhin vornehmlich mit aktuellen politischen Machtkämpfen zwischen Opposition und Regierungsparteien. Noch Anfang August, als bereits weite Gebiete des Landes in Beluchistan, Sindh und im südlichen Punjab unter Wasser standen, verkündete der ehemalige Premierminister und Oppositionsführer Imran Khan in den Medien „Ich kämpfe für wahre Freiheit. Dieser Kampf geht weiter. Wir halten Demonstrationen auch in Hitzewellen, Fluten oder Krieg ab.“ Der Absturz eines Armee-Helikopters Anfang August, der bei einem Flug zu den Flutgebieten in Beluchistan verunglückte, machte weit mehr Schlagzeilen in den pakistanischen Medien, als die damals schon mehr als 900 Opfer in den Überschwemmungsgebieten. Erst als Gebiete in der Grenz-Provinz Khyberpakhtunkwa zu Afghanistan ebenfalls vom Hochwasser betroffen wurde und die internationale Presse auf die dramatische Situation aufmerksam wurde, änderte sich die Berichterstattung in den nationalen Medien. Inzwischen haben Politik und Medien die Dramatik der Lage erkannt. Am 30. August rief die Regierung den Notstand aus und bat um internationale Hilfe. Zahlreiche Staaten, darunter auch Deutschland, und die UN haben Hilfe zugesagt. UNO-Generalsekretär Guterres kündigte noch am 30. August einen Besuch in Pakistan an. Auch Oppositionsführer Imran Khan rudert in seiner Rhetorik jetzt zurück und erklärt, dass zum Wohle der Menschen alle politischen Kräfte kooperieren müssten und ruft selbst zu Spenden für die Flutopfer auf. Während aktuell die Wasserstände sinken, ist die Flutgefahr noch nicht gebannt. Für September sagen die Meteorologen weitere schwere Regenfälle voraus. Das Ausmaß dieser Naturkatastrophe ist verheerend und geht wahrscheinlich über die Folgen der letzten Flut von 2010 weit hinaus. Nicht nur haben tausende von Menschen ihr Hab und Gut verloren und es wurde die Infrastruktur in den betroffenen Gebieten komplett zerstört, sondern es ging auch der überwiegende Teil der landwirtschaftlichen Ernte aus den Flutgebieten verloren. Schätzungen gehen von einem Ernteverlust von rund 75% aus. Damit wird die Flutkatastrophe auch zu einer Lebensmittelkrise für das ganze Land. Denn durch die aktuelle Wirtschafts- und Energiekrise war die Inflation im Juli auf 25% gestiegen (der höchste Wert seit 15 Jahren). Der Ernteausfall wird die Lebensmittelpreise im ganzen Land jetzt noch einmal stark ansteigen lassen und damit die an sich schon hohe Inflation noch einmal anheizen.

Während die Verschiebung der Monsun-Regenfälle sicherlich eine Folge des Klimawandels ist, so haben doch achtlose politische und administrative Entscheidungen vor Ort eine mindestens ebenso große Rolle für das Ausmaß der Katastrophe gespielt: Großflächige Abholzungen von Wäldern, Flussbegradigungen und Oberflächenversiegelung in den Städten Pakistans durch illegale Baumaßnahmen oder das Fehlen von Bebauungsplänen, unzureichende oder nicht vorhandene  Kanalisierung und Bewässerungssysteme sind nach wie vor eher die Regel als die Ausnahme. Bedingt durch das nach wie vor starke Bevölkerungswachstum Pakistans sind vielerorts in flussnahen überschwemmungsgefährdeten Gebieten nicht genehmigte Siedlungen entstanden, die nun stark betroffen sind oder sogar ausgelöscht wurden.

Auch wenn sich in Pakistan langsam ein Umweltbewusstsein bildet, ist es noch lange keine Selbstverständlichkeit, dass Umweltaspekte in regionale oder städtische Entwicklungspläne – soweit es diese überhaupt gibt – integriert werden.

Das FNF Büro in Pakistan engagiert sich deshalb seit drei Jahren gemeinsam mit pakistanischen Kulturschaffenden dafür, den Menschen die Bedeutung des Indus-Fluss-Systems als Lebensader Pakistans bewusst zu machen. Auf dem jährlich stattfinden, nationalen Kulturfestival Lahooti Melo, das in diesem Jahr im Juni in Karachi stattfand, diskutieren Künstler, Experten und Politiker über die Rolle, die der Indus für die kulturelle Vielfalt, die wirtschaftliche und ökologische Entwicklung des Landes hat.