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Wirtschaft
Pakistans lange Liste großer Herausforderungen

Lahore walled city bazar at delhi gate

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© Birgit Lamm, Country Director

Wenn der Ökonom Dr. Aneel Salman über die Lage in seiner Heimat Pakistan spricht, zieht er einen recht drastischen Vergleich heran. „Pakistans Wirtschaft ist wie ein Frosch in einem Topf mit Wasser, das langsam erhitzt wird. Es besteht die Möglichkeit, dass der Frosch die Gefahr nicht erkennt und zu Tode gekocht wird“, sagt der Wissenschaftler vom Lehrstuhl für wirtschaftliche Sicherheit am Islamabad Policy Research Institute. Das Land leide unter mangelnder Nachhaltigkeit, Instabilität, einer ungerechten Einkommensverteilung sowie einer schwierigen Sicherheitslage. Die für die Entwicklung wichtige Verarbeitende Industrie werde durch hohe indirekte Steuern, eine sehr schlechte Infrastruktur und gering qualifizierte Arbeitskräfte belastet. Es werde zudem zu wenig investiert, im Inland, aber auch von ausländischen Investoren. Hinzukämen zu hohe Staatsausgaben, die zu einem großen Teil in die Bedienung von Schulden sowie die Zahlung von Pensionen fließen, eine schwache Handelsbilanz mit einem chronischen Defizit sowie geringe Währungsreserven. „Pakistan hat nur noch Liquidität für ein bis zwei Jahre, dann müssen wir uns erneut an die internationalen Institutionen wenden.“

Mit rund 227 Millionen Einwohnern zählt Pakistan zu den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt. Die Wirtschaft ist nach dem großen Nachbarn Indien und Bangladesch die drittgrößte Südasiens. Seit Beginn der 80er-Jahre konnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut Germany Trade and Invest (gtai) zwar von etwa 35 Milliarden auf mehr als 382 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 gesteigert werden. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liege jedoch weiterhin bei weniger als 1.700 US-Dollar und entspricht damit dem eines Entwicklungslandes. Nach einem Plus von 6,0 Prozent im Vorjahr werde dieses Jahr nur noch mit einem Wachstum von 3,5 Prozent gerechnet. Als große Herausforderung bezeichnet Salman zudem die aktuelle hohe Inflationsrate (Mai 2023) von 33 Prozent, die in den nächsten zwei Jahren sogar auf 40 bis 45 Prozent steigen könnte.

Bei Investoren gilt das südasiatische Land laut gtai zwar als attraktiv, aber auch als schwierig, nicht zuletzt wegen der politisch instabilen Lage. Mit einer geschätzten Mittelschicht von 60 Millionen Konsumenten ist die islamische Republik ein schnell wachsender, potenziell attraktiver Absatzmarkt. Viele Sektoren sind noch wenig entwickelt, aber entsprechend groß ist auch das Wachstumspotenzial. Ausländische Direktinvestitionen nehmen für die Regierung unter Premierminister Shehbaz Sharif eine wichtige Rolle ein. Um das Investitionsklima zu verbessern, wurde eine Reihe von Initiativen angekündigt. Seit 2016 wurden bereits mehr als 300 Reformen durchgeführt. Der von der Heritage Foundation und dem Wall Street Journal berechnete Index of Economic Freedom, der die wirtschaftliche Freiheit misst, platzierte Pakistan zuletzt dennoch gerade mal auf dem 152. Rang unter 176 Staaten. Und im von Transparency International jährlich erhobenen weltweiten Korruptionsindex belegte Pakistan 2022 unter 180 Staaten einen schlechten 140. Rang.  

Das größte Potenzial haben für Salman der Dienstleistungssektor, der zuletzt 50 Prozent zum BIP beitrug, sowie die verarbeitende Industrie mit 20 Prozent. Problematisch ist aus Sicht von Salman, dass sich der Beitrag der Sektoren zum BIP im vergangenen Jahrzehnt nicht verändert habe. Unverändert hoch ist auch die Abhängigkeit vom Textilsektor, der rund 60 Prozent aller Exporterlöse erwirtschaftet. Zuletzt hat sich zudem die Wettbewerbssituation verschärft, weil Pakistan mit starken Anbietern aus China, Indien und Bangladesch konkurrieren muss und gleichzeitig – auch wegen der Pandemie - die Nachfrage wichtiger Abnehmer in der EU und in den USA zurückging. „Wir müssen unsere Wirtschaftsstruktur stärker diversifizieren, Exporte steigern und die Importabhängigkeit verringern“, so Salman.

Pakistan müsse darüber hinaus deutlich mehr in die Qualifizierung der Arbeitskräfte investieren und dafür die Hochschulen stärken, sodass deren Absolventen und Absolventinnen nicht nur national, sondern auch international gefragt würden. Ein Kernproblem: Verglichen mit anderen südasiatischen Ländern ist die Analphabetenquote mit 42 Prozent (Stand 2019) laut gtai extrem hoch. In Bangladesch betrug sie 2020 gut 25 Prozent, in Sri Lanka nur 7,7 Prozent (2019). Salman weist auch darauf hin, dass zu wenig Frauen in den Arbeitsmarkt integriert seien. Ein Potenzial von 60 bis 70 Millionen Arbeitnehmerinnen werde nicht genutzt. Und anders als etwa in Indien steckt die Digitalisierung noch in den Anfängen. Internetzugang und Erschwinglichkeit liegen laut gtai weit unter dem globalen Durchschnitt. „Wir brauchen eine digitale Revolution.“

Schwach schnitt Pakistan auch in der von Reporter ohne Grenzen jährlich erhobenen Rangliste der Pressefreiheit ab. 2023 landete Pakistan auf dem 150 Platz unter 180 Staaten.