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75 Jahre Vereinte Nationen
Wir, die Völker der Vereinten Nationen

Warum wir die einzige Weltorganisation auch 75 Jahre nach ihrer Gründung noch brauchen.
United Nations flag at the United Nations headquarters
A view of the United Nations flag at the United Nations headquarters in New York City USA during coronavirus pandemic © picture alliance / NurPhoto | John Nacion

„Fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, diese Vision unterzeichneten Delegierte aus 50 Staaten am 26. Juni 1945 in San Francisco. Nur 49 Tage waren seit dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen als diese Unterschriften die Geschichte der Menschheit veränderten: Die Charta der Vereinten Nationen war geboren.

Als erste internationale Organisation waren die Vereinten Nationen nach dem Scheitern des Völkerbundes mit der Hoffnung verbunden, dass gemeinsame Institutionen und Regelungen weltweit Frieden und Sicherheit schaffen können.

Doch die 75jährige Evolution der Vereinten Nationen ist gezeichnet von einer stetigen Metamorphose, von Rückschlägen und Enttäuschungen. Wie keine andere Organisation verkörpert sie sowohl das Scheitern als auch die Erfolge der internationalen Zusammenarbeit. Als dessen Ursache lassen sich die fortlaufenden Spannungen zwischen egoistischer staatlicher Souveränität und zukunftsorientiertem Multilateralismus ausmachen.

Der internationale Marktplatz braucht neue Visionen

Die Vereinten Nationen schufen einen Weltmarktplatz, auf dem sich Regierungen treffen, miteinander verhandeln und internationales Recht ergründen. Sie stellen einen gemeinsamen Haushalt auf und richten Mechanismen ein, um gemeinsam politikpraktische Lösungen anzustreben, die das Zusammenleben der Menschen verbessern. Frieden zu sichern, war das wichtigste Anliegen der Charta und die Vision der Gründer von 1945. Blicken wir heute nach Syrien, Jemen oder Venezuela könnten die Vereinten Nationen vorschnell als gescheitert erklärt werden. Das proaktive und präventive Ziel der Friedenssicherung ist einem reaktiven Krieg-Verhindern-Wollen gewichen.

Sind manche Staaten gleicher als andere?

Die Vereinten Nationen als einheitlichen Akteur zu betrachten wäre falsch. Sie sind ein weit verzweigtes institutionelles Netz von Haupt-, Neben- und Sonderorganen, die in vielen Politikfeldern globale Kooperation ermöglichen. Doch ein strukturelles Problem der Gründerzeit überlagert in der Wahrnehmung oftmals alles andere: die Zusammensetzung des Sicherheitsrates. Nach 75 Jahren verwundert es, dass dieser auch heute noch aus den fünf selben permanenten Mitgliedern - USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China - besteht. Ein Spiegelbild der politischen Ordnung von 1945, nicht von 2020. Jedes davon kann ein Veto einlegen und dadurch gemeinsames Handeln blockieren. Regelmäßig werden nationale Interessen über das Ziel der Charta, die Sicherung des friedlichen globalen Zusammenlebens, gestellt. Der Sicherheitsrat ist ein Relikt der Gründungszeit, das heute nur noch von Marktschreiern dominiert zu sein scheint.

Konstruktiver politischer Wille ist gefragt

Als zwischenstaatliche Organisation sind die Vereinten Nationen nur so stark und mächtig, wie es der politische Wille der sie tragenden Mitgliedsstaaten gestattet. Die Liste der globalen Probleme ist lang: Armut, begrenzte Ressourcen, Wasser- und Landknappheit, innerstaatliche bewaffnete Konflikte. Die globale Erwärmung und die allgemeine Umweltzerstörung könnten den Wettbewerb um knappe Ressourcen verschärfen. Doch an vielen anderen Stellen haben die Vereinten Nationen bereits erfolgreich Handlungsfähigkeit und den Willen zur multilateralen Problemlösung gezeigt. Sei es der innovative Ansatz der „Menschlichen Sicherheit“ von 1994, der Frieden seither nicht nur als Abwesenheit von Gewalt versteht, sondern als Frage nach den Bedürfnissen der Menschen. Wirtschaftliche Sicherheit gehört ebenso dazu wie gesundheitliche Sicherheit. Die Resolution 1325 hat vor zwanzig Jahren erstmals die bewusste Beteiligung von Frauen bei der Beilegung von Konflikten eingeführt und damit die Voraussetzungen für eine inklusive Friedensförderung geschaffen. Die Liste der Erfolge ließe sich fortsetzen.

Für die Zukunft der Menschheit

Trotz aller berechtigten Kritik an den Vereinten Nationen, dürfen wir die Errungenschaften dieser Organisation nicht aus den Augen verlieren. Bis heute sind die Vereinten Nationen die einzige Weltorganisation, die wir dringend benötigen, um die Menschheit für die Zukunft aufzustellen. Vielleicht zweifeln wir an ihr, vielleicht sehen wir sie aber auch als das, was sie noch immer ist: die einzige internationale Organisation, die wir haben, um nationalstaatlicher Politik etwas entgegenzusetzen. Denn auch 75 Jahre später bleibt wahr: Multilateralismus ist keine Option, sondern der einzige Weg zu einer gerechteren und nachhaltigeren Welt.