China-Reise

Bundeskanzler Scholz in China: “Gemeinsam nachhaltig handeln”

Als im November 1947 Mao Zedong zu seiner zweiten Reise nach Moskau aufbrach, um an den Feierlichkeiten zum Gedenken an die bolschewistische Revolution von 1917 teilzunehmen, war er der festen Überzeugung, dass “der Ostwind sich gegenüber dem Westwind durchgesetzt hat”. Gemeint war, dass der Block der kommunistischen Länder die USA und ihre Verbündeten überholt habe. Die Geschichte sollte zeigen, dass der große Vorsitzende hier absolut falsch lag.

Nun traf Bundeskanzler Olaf Scholz Chinas Staatspräsident Xi Jingping, einen Mann, der der festen Überzeugung ist, dass er die Worte des Vorsitzenden Mao endlich in die Tat umsetzen und die USA als Weltmacht ablösen werde.

"Gemeinsam nachhaltig handeln” lautete das Motto, das Olaf Scholz für seinen zweiten Chinabesuch wählte. Es liegt nahe, sich auf sichere Themen zu konzentrieren. Deshalb sind drei Bereiche im Mittelpunkt der Gespräche nicht verwunderlich: Strategien der Nachhaltigkeit und der Klimawandel, die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen und die gegenwärtigen geopolitischen Herausforderungen. Das Programm der Reise und die Zusammensetzung der Delegation spiegeln diese Themenfolge wider. Am letzten Tag der Reise, während der Gespräche mit Staatspräsident Xi Jingping und Premierminister Li Qiang, ging es um das dritte Thema, die geopolitischen Herausforderungen.

Dem Klein-Klein der Tagespolitik wollte man gezielt aus dem Weg gehen. Doch gleich zum Auftakt überschattete der Drohnenangriff des Iran auf Israel die Besuchsreise. Die Tagespolitik war zurück. Mit aller Schärfe verurteilte Bundeskanzler Scholz den Angriff und warnte beide Seiten vor einer Eskalation. Ein drohender Krieg im Nahen Osten wurde also sicherlich auch zum Thema der Gespräche mit der chinesischen Führung.

Der Zeitpunkt der Reise könnte nicht besser gewählt sein. Der Besuch bietet eine riesige Chance, die gemeinsamen Sicherheitsinteressen beider Länder zu besprechen und um Lösungen zu ringen. China könnte sich beispielsweise als verantwortungsvolle Weltmacht zeigen und auf den Iran einwirken in dem Bemühen, eine weitere Eskalation zu verhindern.

Als Liberaler hoffe ich, dass der Bundeskanzler auch darauf hingewiesen hat, dass die Einhaltung der Menschenrechte in China eine “win-win” Situation für China und für Deutschland darstellt. Olaf Scholz könnte daran erinnern, dass eine Weltmacht sehr genau danach beurteilt wird, wie sie mit ihren Menschen umgeht. Dem Image Chinas würde es sicherlich guttun, hier zu handfesten Verbesserungen beizutragen.

Ich hoffe auch, dass Olaf Scholz seine chinesischen Gesprächspartner gefragt hat, was aus ihren Friedensbemühungen in der Ukraine geworden ist. Ich hoffe, dass er die chinesische Führung ermuntert, diesen Faden wiederaufzunehmen. Konkret könnte China die Lieferungen von Werkbänken und Mikrochips nach Russland aussetzen, um Putin “Anreize” zu bieten, an einer chinesischen Friedensinitiative teilzunehmen. Ich hoffe auch, dass der Bundeskanzler der chinesischen Seite vermitteln hat, dass Versuche, Europa zu spalten, nicht von Erfolg gekrönt sein werden. Und meine letzte Hoffnung ist, dass Olaf Scholz deutlich machte, dass wir uns mit unseren europäischen und amerikanischen Partnern im Vorfeld der Reise abgestimmt haben und das weiter tun werden.

Mao Zedong kam übrigens 1947 gestärkt aus Moskau zurück. Er hatte die feste Überzeugung, dass er seine Führungsfähigkeiten, die Weltpolitik zu gestalten, unter Beweis gestellt habe. Das wünsche ich dem Bundeskanzler und uns allen auch.

Dr. Rainer Adam ist Leiter ad Interim des Taiwan-Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Taipei.