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Menschenrechte
65 Jahre Schutz der Menschenrechte und Freiheiten in Europa

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
Der Gerichtssaal, aufgenommen am 22.04.2013 im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Der Gerichtssaal im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

© picture alliance / dpa | Rainer Jensen

Am 20. April 1959 fand die erste Sondersitzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg statt. Seit dem hat das Gericht über eine Million Beschwerden behandelt, 26.000 Urteile gefällt und zahlreiche Entscheidungen getroffen. Was für ein wegweisender Meilenstein!

Der EGMR hat bisher maßgeblich dazu beigetragen, "die gemeinsame öffentliche Ordnung der freien Demokratien Europas zu wahren, indem es ihr gemeinsames Erbe an politischen Traditionen, Idealen, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit schützt", wie es Síofra O’Leary, die Präsidentin des Gerichtshofs, im vergangenen Jahr treffend ausdrückte. Diese Prinzipien bilden die Grundlage sowohl der liberalen Demokratien als auch der regelbasierten internationalen Ordnung, die aber stets unter Beschuss stehen. Die Möglichkeit, eine individuelle Beschwerde bei dem Gericht einzureichen, leistet einen unschätzbaren Beitrag zum Schutz der Menschenrechte – eine Hoffnung für die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa und ein Vorbild für andere Rechtssysteme, wie den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Die Umsetzung der Entscheidungen des EGMR in den Mitgliedstaaten hängt jedoch von deren Einsatz für die Bewahrung der Menschenrechte und demokratischer Werte ab. Die jüngsten politischen und militärischen Entwicklungen, darunter sowohl eine expansionistische Militärpolitik als auch der Rückgang der Demokratien durch Populismus, haben auch den Gerichtshof vor erhebliche Herausforderungen gestellt.

Das Gericht und der Teufel der Autokratie

Seit 1953 haben einige nichtdemokratische Staaten, die Europäische Konvention für Menschenrechte (EMRK) unterzeichnet. Dies geschah mit der Bereitschaft dieser Länder, die Menschenrechte und Freiheiten zu stärken und die Urteile des Gerichtshofs auf nationaler Ebene umzusetzen. Das Gericht hat bisher am meisten Entscheidungen zum Schutz der Menschenrechte in diesen Ländern getroffen. Selbst nach dem Ausschluss Russlands aus dem Europarat wurden 217 Urteile (aus dem 4,466 Beschwerden) gegen das Land gefällt. Nicht nur wurden die Urteile des Gerichts immer ignoriert, sondern Russland hat auch versucht, zusammen mit seinen Verbündeten, die Legitimität des Gerichts anzuzweifeln. Das Land forderte das europäische Menschenrechtsrahmenwerk heraus, indem es alternative subregionale Foren schaffte, wie beispielsweise die sogenannten Menschenrechtsmechanismen im Rahmen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Ziel solcher parallelen Strukturen ist es unzweifelhaft nicht nur die Legitimität des Gerichts anzugreifen, sondern auch das universalistische Menschenrechtsrahmenwerk der EMRK zu untergraben. Es ist daher eine internationale Verpflichtung der liberalen Demokratien, den EGMR als Hüter liberaler Werte vor autoritärer Rhetorik pro-aktiv zu schützen.

Demokratischer Rückgang

Populistische und illiberale Regime gefährden den EGMR, sogar stärker als autokratische Regierungen. Einmal an der macht, missbrauchen sie demokratische und rechtsstaatliche Institutionen wie nationale Gerichte und dadurch lehnen sie wichtige Urteile des Gerichtes ab. In Hamidović v. Bosnia And Herzegovina und zahlreichen anderen Fällen hat das Gericht erörtert, „eine parlamentarische Mehrheit bedeutet nicht automatisch Demokratie“. Trotz vorhandener Schutzmechanismen des EGMR greifen Populisten hinter der Maske der Demokratie das Gericht an, um es zu schwächen. Sie stellen stets die "soziale Legitimität" des Gerichts in Frage, indem sie es als fremd, korrupt oder gegen die nationalen Interessen des Landes darstellen. Dies geschieht taktisch durch Propaganda und den Missbrauch der Medien.  Liberale Demokratien dürfen es nicht vergessen, dass Viktor Orbán im Jahr 2017 das Gericht als Gefahr für die Sicherheit Europas bezeichnet hat. Diese Ablehnung seitens populistischer Strömungen wirkt über die Grenzen Europas hinaus. Wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, erodieren solche Rhetoriken den europäischen Rechtsstaat und gefährden die Existenz des Gerichtes.

Auch nach 65 Jahren Erfolg ist Schutz erforderlich

Die rechtliche Stärkung demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen auf nationaler Ebene ist der einzige Weg, die europäischen Werte zu verteidigen und die Ziele des EGMR zu verwirklichen.

In Deutschland dürfen wir auch die Bedrohungen durch rechts-populistische Kräfte, insbesondere durch die AfD, selbst wenn sie derzeit noch nicht in einem Ausmaß in Ländern wie Ungarn und Polen erscheinen, nicht ignorieren. Seit der Gründung des EGMR haben seine Urteile zu Verbesserungen in verschiedenen Bereichen geführt, wie etwa im Bereich des Rechts auf ein faires Verfahren, der Bekämpfung von Folter sowie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Dies wurde insbesondere durch die nationale Umsetzung der Urteile des EGMR und Unterstützung des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ermöglicht. Daher ist die Debatte über eine weitere Stärkung des BVerfG, insbesondere die Bemühungen seitens des Justizministeriums und Dr. Marco Buschmann, besonders begrüßenswert.