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Ausbildungsmarkt
Trendwende für die berufliche Bildung?

In der Werkstatt der ViP Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH arbeitet der Auszubildende Tom Zobel im 2. Lehrjahr im Rahmen seiner Ausbildung am Fahrwerk einer Straßenbahn.
In der Werkstatt der ViP Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH arbeitet der Auszubildende Tom Zobel im 2. Lehrjahr im Rahmen seiner Ausbildung am Fahrwerk einer Straßenbahn. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jens Kalaene

Die Daten zum Ausbildungsmarkt 2021, die das Bundesinstitut für berufliche Bildung vor Kurzem vorgestellt hat, geben Anlass zur Sorge. Zwar liegt die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit 473.100 neuen Verträgen etwas höher als im vergangenen Jahr, doch der Stand vor Corona ist damit noch lange nicht erreicht. Die Nachfrage ist sogar um 0,9 Prozent zurückgegangen und liegt nun bei 540.900. Dies ist ein Tiefstand seit 1992, dem ersten Jahr, in dem Zahlen für das wiedervereinigte Deutschland erhoben worden sind. Besonders dramatisch ist die Entwicklung der sogenannten „Passungsprobleme“. Die Zahl der offenen Ausbildungsplätze ist um 5,4% auf 63.200 gestiegen, aber gleichzeitig liegt die Zahl der unversorgten Bewerberinnen und Bewerber immer noch auf hohem Niveau. Der Präsident des BiBB Hubert Esser hat dementsprechend sehr richtig betont, dass die Fachkräftesicherung eine der „größten Herausforderungen des Jahrzehnts“ werden wird.

Für diese Entwicklung gibt es eine Reihe von Gründen. Dazu gehört die Pandemie, die demographische Entwicklung, aber auch das Bildungswahlverhalten junger Menschen. Bereits vor der Coronakrise konnte der Einbruch der Finanzkrise trotz guter konjunktureller Lage nicht ausgeglichen werden, die Lage ist dementsprechend an der Schwelle des dritten Pandemiejahrs besonders bedrückend. So konnte die wichtige Berufsorientierung über Ausbildungsmessen und Praktika oft nicht in dem Maße durchgeführt werden, wie vor der Pandemie.

Wie kann eine Trendwende erzielt werden?

Wie eine Trendwende für die berufliche Bildung eingeleitet werden kann, hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit jüngst in einer Podiumsdiskussion, aber beispielsweise auch bei ihrem Bildungskongress, diskutiert. Ein entscheidender Schlüssel liegt in der Stärkung der beruflichen Bildung über eine bessere Berufsorientierung. Es braucht aber auch bessere Bedingungen für Ausbildungsunternehmen und Auszubildende sowie eine Wertschätzung des differenzierten Schulsystems, in dem zum Beispiel Realschulen eine wichtige Rolle spielen können.

Gerade mit Blick auf die Passungsprobleme ist es von entscheidender Bedeutung, die Unterschiede innerhalb der Regionen und Berufsgruppen zu berücksichtigen. Der Anteil der erfolglosen Ausbildungsplatznachfrager an der Gesamtnachfrage liegt in Berlin beispielsweise bei 23,1%, in Bayern aber nur bei 7 bis 8 Prozent. Wie eine sehr erhellende Karte des BiBB zeigt, sind die Passungsprobleme dabei in Ostdeutschland und Südwestdeutschland besonders hoch, während sie in Bayern und Teilen Nordwestdeutschlands relativ gering sind. Auch bei den Branchen gibt es große Unterschiede, die sich zum Teil durch die Coronapandemie, zum Teil aber auch durch eine Reihe von anderen Faktoren erklären lassen.

Wie die Fachzeitschrift „Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis“ in ihrem neuesten Themendossier „Gender & Beruf“ herausgearbeitet hat, spielen auch Geschlechterunterschiede eine wesentliche Rolle. Der Anteil der Frauen, die eine berufliche Ausbildung wahrnimmt, sinkt seit Jahren kontinuierlich, gleichzeitig erhalten Berufe, in denen mehr Frauen arbeiten, tendenziell weniger gesellschaftliche Wertschätzung – ein Unding! Immerhin: durch gezielte Maßnahmen wie Mentoring, eine verbesserte Berufsorientierung und dem Aufbrechen vermeintlich festgefahrener Geschlechterrollen, die im Idealfall bereits in frühen Jahren einsetzt, kann es gelingen, hier für mehr Vielfalt zu sorgen und mehr junge Frauen für technische Berufe zu begeistern.

Ökonomische Bildung zur Berufsorientierung

Zur besseren Berufsorientierung gehört auch die Verankerung der ökonomischen Bildung an Schulen und ein stärkeres Bewusstsein für die Bildungsrendite. Wie der nationale Bildungsbericht jedes Jahr aufs Neue zeigt, lohnt sich Bildung auch finanziell. Dies gilt bereits ab Tag 1 nach der Ausbildung: wer sich zum Beispiel gegen einen Ausbildungsplatz und für einen Mindestlohnjob entscheidet, um vermeintlich schnell etwas mehr Geld zu verdienen, hat bereits nach kurzer Zeit das Nachsehen. Etwas differenzierter sieht der Vergleich zwischen Studium und Ausbildung aus. Mit Blick auf die Stundenlohndifferenzen ist es zwar richtig, dass die Absolventinnen und Absolventen von Studiengängen wie Medizin und Informatik das höchste Einkommen erzielen, doch Bankfachleute und Elektriker liegen leicht über Geisteswissenschaftlern (die, entgegen mancher Klischees, dennoch ebenfalls eine positive Bildungsrendite zu verzeichnen haben). Nicht nur dank des dualen Studiums verschwimmen die Grenzen dabei sowieso immer mehr. Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ist zudem ein fester Bestandteil der Bildungspolitik.

Reduzierung bei der Bildungsrendite vermeiden

Besonders interessant wird es, wenn man das kumulierte Lebenseinkommen betrachtet. Das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Tübingen hat im Auftrag des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags eine hochspannende Studie vorgelegt, welches auch das entgangene Einkommen durch den späteren Berufseinstieg berücksichtigt. „Zum einen reduzieren sich die Bildungsrenditen von höheren Bildungspfaden, wenn einerseits das Abbruchrisiko und andererseits die Möglichkeit des Bildungsaufstiegs mitberücksichtigt werden“, so die Wissenschaftler, „zum anderen zeigen sich auch bei Betrachtung erfolgreicher Bildungsentscheidungen in weiten Teilen des Lebenszyklus negative Bildungsrenditen von höheren Bildungsabschlüssen, welche durch entgangenes Einkommen während der Bildungsphasen erklären lässt.“ Erst ab einem Alter von 60 Jahren werden Meister und Techniker durchschnittlich von denjenigen mit Studienabschlüssen überholt. Zu diesem Zeitpunkt sind wichtige Lebensentscheidungen wie die Familiengründung oder der Immobilienkauf längst gefallen. Die Opportunitätskosten – wer früh Geld verdient, kann dieses zum Beispiel im Finanzmarkt anlegen – sprechen also keinesfalls immer gegen die berufliche Bildung.

Fazit

Damit eine Trendwende in der beruflichen Bildung eingeleitet werden kann, brauchen junge Menschen eine bestmögliche Berufsorientierung, die bereits in frühen Jahren einsetzt. Dazu kann ein moderner Werkunterricht gehören, der auch digitale Fertigungsprozesse wie den 3D-Druck beinhaltet, aber auch eine Ausweitung von Praktika und eine verbesserte Kooperation zwischen Schulen und Wirtschaft. Der Bericht der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ hat in diesem Jahr viele – und vor allem umfangreiche – Impulse geliefert, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann, um die berufliche Bildung in Deutschland zu stärken. Besonderes Augenmerk sollte dabei aber auf der Digitalisierung liegen, die konsequent in allen Ausbildungsgängen verankert werden muss, da sich die Berufsbilder in den kommenden Jahrzehnten rasant ändern werden und zum großen Teil heute noch gar nicht existieren. Außerdem muss sich die Wertschätzung der beruflichen Bildung in einer lange von Liberalen geforderten „Exzellenzinitiative“ niederschlagen, die herausragende Leistungen von Auszubildenden auch entsprechend würdigt. Viele weitere Ideen finden sich in der Broschüre „Duale Bildung“ des Liberalen Instituts.