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International Academy for Leadership
Wie reagiert die Marktwirtschaft auf die Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung?

Persönliche Anmerkungen zum IAF-Seminar über die Zukunft der Marktwirtschaft, 28. Mai - 9. Juni 2023
IAF Future of the Market Economy

Teilnehmer des IAF-Seminars "Die Zukunft der Marktwirtschaft: Herausforderungen und Bedrohungen", 28. Mai - 9. Juni 2023.

Kritik an der Marktwirtschaft ist nicht ganz neu. Seit Karl Marx wird die Marktwirtschaft, oder der Kapitalismus im Sinne von Marx, als ein Wirtschaftssystem kritisiert, das ausbeuterisch ist und sich letztendlich selbst zerstört. Selbst einige derjenigen, die sich heutzutage als liberal bezeichnen, werfen der Marktwirtschaft vor, für wirtschaftliche Ungleichheit und Umweltschäden verantwortlich zu sein. Kritikern zufolge erfordere die Wirtschaft staatliche Eingriffe, um zu beheben, was als "Marktversagen" bezeichnet wird.

Die Covid-Pandemie scheint den Kritikern zusätzliche Munition zu liefern. Die panische Reaktion der Marktteilnehmer auf die außergewöhnliche und plötzliche Gesundheitskrise scheint den Weg für größere staatliche Eingriffe und Expansion geebnet zu haben. Die Glaubwürdigkeit der Marktwirtschaft steht heute auf dem Prüfstand, da in vielen Ländern zunehmend der Ruf nach großen, zentralisierten und interventionistischen Regierungen laut wird. Hat die Marktwirtschaft noch eine Zukunft?

Wahrscheinlich ist diese Situation der Grund für die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF), das Thema "Die Zukunft der Marktwirtschaft: Herausforderungen und Bedrohungen"  auf dem Seminars der Internationalen Akademie für Führungskräfte (IAF) in Deutschland vom 28. Mai bis 9. Juni 2023 besonders hervorzuheben. Dank der vollen Unterstützung durch die FNF Indonesien war ich als Vertreter des Institut Demokrasi dan Kesejahteraan Sosial (INDEKS) einer von 24 Teilnehmern aus verschiedenen Ländern, die das Glück hatten, an dem Seminar mit diesem sehr anspruchsvollen Thema teilnehmen zu können.

Das Seminar beschäftigte sich mit der Frage, inwiefern die Marktwirtschaft eine wesentliche Rolle für der Entwicklung unserer heutigen Welt spielt. Darüber hinaus identifizierte es ungelöste Probleme und  zeigte Lösungen auf, die von Akteuren der Privatwirtschaft im Vergleich zu Regierungen angeboten werden.

Während des Lernprozesses im Seminarraum der Theodor Heuss Akademie in Gummersbach erhielten die Teilnehmenden materiellen Input und diskutierten mit mehreren Experten wie mit Tom Palmer (Atlas Network, Vereinigte Staaten von Amerika/USA), Andrew Morriss (Texas A&M University, USA), Nima Sanandaji (European Center for Entrepreneurship and Policy Reform, Schweden) und Gerhard Dust (Polycare Research Technology, Deutschland). Darüber hinaus hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit sich durch Besuche bei Unternehmen und staatlichen Einrichtungen in Köln, Mainz, Morbach und Frankfurt weiterzubilden.

Geleitet wurde das Seminar von drei hochkompetenten und erfahrenen Moderatoren: Rainer Heufers (Center for Indonesian Policy Studies, Indonesien), Arpita Nepal (Samriddhi Foundation, Nepal) und Samar Eissa (Finanzberater für Start-ups bei der Investitionsbehörde Ägyptens).

Die Marktwirtschaft und ihre Rolle in der Entwicklung unserer Welt

In seinem Einführungsvortrag ging Rainer Heufers auf das Phänomen des "deutschen Wunders" ein, dass dazu führte, dass die deutsche Wirtschaft kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus einem Zustand des Chaos heraus sehr schnell gewachsen ist.

Aufgrund der vom Hitler-Regime betriebenen "Kriegswirtschaft" und der Folgen des Krieges war die deutsche Wirtschaft in den ersten Nachkriegsjahren von still gelegten Unternehmen, Lebensmittelknappheit, steigender Arbeitslosigkeit und der Abwertung der Reichsmarkwährung geprägt. Doch bald geschah das "Wunder". Unternehmen erholten sich, Lebensmittel kamen wieder auf den Markt und die Arbeitslosenquote, die in den 1950er Jahren auf etwa 11 Prozent angestiegen war, sank in den 1960er Jahren rapide auf 1 Prozent.

Rainer erläuterte, dass das deutsche Wirtschaftswunder das Ergebnis der großen Wirtschaftsreformen unter Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, war. Neben der Beendigung der Geldschwemme und der Währungsreform stellte Erhard auch den Marktmechanismus wieder her, indem er die Preiskontrollen abschaffte. Diese Reformen wurden von den Marktteilnehmern positiv aufgenommen und führten zu einem Anstieg der wirtschaftlichen Produktivität und einem Wachstum des Volkseinkommens von 108 % in den Jahren 1950-1960.

Die Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland ließ die deutsche Wirtschaft erneut einbrechen. Die Wirtschaftsreformen der deutschen Regierung, unter anderem durch Deregulierung, Neugestaltung der Arbeitslosenunterstützung und Senkung der Lohnnebenkosten, hätten jedoch den "Zauber" wiederhergestellt und Deutschland diesmal sogar zur stärksten Volkswirtschaft in Europa gemacht, so Rainer.

Gemäß Rainer war es das Funktionieren des marktwirtschaftlichen Systems, das das „deutsche Wirtschaftswunder" erklärt. Aber was genau ist eigentlich mit Marktwirtschaft gemeint?

Der Begriff "Marktwirtschaft" bezieht sich auf ein ungeplantes Wirtschaftssystem, das nicht von einer zentralen Behörde koordiniert wird, sondern nur durch die Bedingungen von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Eine Marktwirtschaft ist gekennzeichnet durch Privateigentum an Produktionsmitteln, freiwilligen Austausch zwischen den Wirtschaftsakteuren sowie von Preisen, die durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage gebildet werden. Das Gegenteil der Marktwirtschaft ist die Planwirtschaft, in der die Regierung Eigentümer der Produktionsfaktoren ist und bestimmt, wann, wo und wie viel von einer Ware oder Dienstleistung produziert wird. In einer Planwirtschaft bilden sich die Preise nicht auf natürliche Weise aufgrund von Marktmechanismen, sondern werden von der Regierung festgelegt.

Laut Arpita Nepal, die sich auf den von mehreren Institutionen herausgegebenen Economic Freedom Index bezieht, weist eine Marktwirtschaft grundlegende Merkmale auf, wie zum Beispiel eine begrenzte Rolle des Staates in der Wirtschaft, ein Rechtssystem, das die Rechte des Privateigentums schützt, eine effiziente Regulierung der Wirtschaft und einen offenen Markt. Länder mit freieren Märkten zeichnen sich in der Regel durch ein höheres wirtschaftliches und gesellschaftliches Wohlergehen aus als Länder mit mehr staatlichen Eingriffen in die Märkte.

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Rainer Heufers (stehend) moderiert eine Online-Diskussionsrunde über das Nordische Modell zusammen mit der Referentin Nima Sanandaji vom Europäischen Zentrum für Unternehmertum, Schweden.

Die Marktwirtschaft spielt in den nordischen Ländern Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden eine Rolle für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Manche meinen, die nordischen Länder hätten den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt erreicht, weil dort Sozialismus vorherrscht. Nima Sanandaji, Referent des European Center for Entrepreneurship and Policy Reform, Schweden, hält dies jedoch für ein Missverständnis. Die Marktwirtschaft ist in den nordischen Ländern tief verwurzelt. Diese Länder haben durch die Marktwirtschaft erhebliche wirtschaftliche und soziale Fortschritte erzielt, lange bevor sie zu Wohlfahrtsstaaten wurden. Schweden experimentierte zwischen 1970 und 1990 mit dem Sozialismus, scheiterte jedoch. Heute haben sich alle nordischen Länder wieder der Marktwirtschaft zugewandt und verfügen über mehr wirtschaftliche Freiheit.

Gemessen an den Standards für Gesundheit, Bildung, Wirtschaft etc. leben die Menschen heute unter besseren Bedingungen als je zuvor. Dieser Fortschritt ist allerdings kein Zufall, sondern das Ergebnis der Institutionalisierung eines marktwirtschaftlichen Systems, das die Fähigkeit der Menschen zu Kreativität, Innovation und Zusammenarbeit bei der Erfüllung ihrer sich ständig verändernden Bedürfnisse optimiert hat.

Moral und marktwirtschaftliche Antworten auf humanitäre und ökologische Fragen

Aus moralischer Sicht beruht die Marktwirtschaft auf der Anerkennung und Achtung der Menschenwürde, so Tom Palmer von Atlas Network. In einer Marktwirtschaft wird der Einzelne als freier moralischer Akteur betrachtet, der seine persönlichen Interessen auf der Grundlage seiner Rechte an sich selbst und seinem Eigentum verfolgt. Das bedeutet aber nicht, dass der Markt völlig unreguliert ist. Palmer zufolge ist ein unregulierter Markt nichts weiter als ein Mythos. Das Vorhandensein von Recht und Rechtsstaatlichkeit ist notwendig, um dem Einzelnen Rechtsschutz für sich selbst, für sein Eigentum sowie für Verträge und wirtschaftliche Transaktionen zu bieten, die er freiwillig abschließt.

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Tom Palmer, Sprecher von Atlas Network, in einer Interview-Sitzung mit einer der Teilnehmergruppen.

Wie Andrew Morriss von der Texas A&M University mit anderen Worten dargelegte, werden Gesetze benötigt, die die Rechte und Freiheiten der Marktteilnehmer schützen und dadurch die reibungslose Marktfunktion bei zeitgleicher Erfüllung der menschlichen Bedürfnisse perfektionieren. Rechtssicherheit ist notwendig, um das Privateigentum, die Vertragsfreiheit, die Entschädigung für Verluste, die unternehmerische Freiheit und so weiter zu schützen. Morriss zufolge müssen die Rechte des Einzelnen Vorrang vor dem Gesetzgebungsverfahren haben.

Als ein auf Freiheit basierendes Wirtschaftssystem ist die Marktwirtschaft nicht nur wirksam bei der Schaffung von Wohlstand, sondern auch bei der Lösung menschlicher Probleme. Die Grundsätze der Marktwirtschaft - Rechtsstaatlichkeit, begrenzte Regierungsgewalt, effiziente Regulierung und offene Märkte - bieten Anreize für jeden, Waren und Dienstleistungen zu finden und bereitzustellen, die für die Befriedigung der Bedürfnisse anderer nützlich sind, während man gleichzeitig seine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgen kann.

Als Haiti 2010 von einem Erdbeben erschüttert wurde, wurde beispielsweise humanitäre Soforthilfe benötigt, die jedoch nicht langfristig angewendet werden konnte. In diesem Zusammenhang zeigte Gerhard Dust, Gründer und CEO von Polycare Research Technology, dass ein marktbasierter Ansatz - der von den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort ausgeht - eine nachhaltigere Lösung für die Bereitstellung von dauerhaftem Wohnraum für die vom Erdbeben betroffenen Einwohner Haitis bieten könnte.

Unter Verwendung überwiegend lokaler Materialien reagierte Polycare Research Technology mit einer Bautechnologie auf diese Wohnbedürfnisse, deren Methode dem Zusammenbau von Legosteinen ähnelt. Im Fall des Erdbebens in Haiti 2010 war der Einsatz dieser Technologie nicht nur praktisch, schnell und erforderte nur eine geringe Schulung derjenigen, die noch keine Erfahrung im Bauwesen hatten, sondern verwendete auch umweltfreundliche Materialien. Außerdem werden diese Technologien ständig weiterentwickelt und immer umweltfreundlicher, und das zu wettbewerbsfähigen Kosten im Vergleich zu herkömmlichen Ansätzen.

Die Rolle der Marktwirtschaft bei der Lösung von Umweltproblemen zeigt sich auch im Geschäftsmodell von igus, einem Unternehmen, das Polymere für so genannte motion plastics herstellt. Das Unternehmen mit Sitz in Köln recycelt Kunststoffabfälle, um daraus Polymerprodukte in Form von Energieketten, Kabeln, schmierfreien Lagern usw. herzustellen, die für den Einsatz in verschiedenen Branchen maßgeschneidert werden können. All das wird ohne CO2-Fußabdruck produziert. 

Bevor igus, das 1964 gegründet, zu einem weltweit führenden Polymerhersteller heranwuchs, war es nur ein kleines mittelständisches Unternehmen. Die gut erhaltene Institutionalisierung der Marktwirtschaft in Deutschland, so Hans Stein von Zenith, biete den igus-Unternehmern Anreize zur Innovation und zur Entwicklung von Produkten, die sich an der Dynamik der Verbraucherbedürfnisse orientieren, während sie gleichzeitig ihr Engagement für ökologische Nachhaltigkeit weiter verstärken.

Die Zukunft der Marktwirtschaft

Der Wirtschaftsprozess setzt das Vorhandensein eines Marktes als eine Umgebung voraus, in der die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen dem Angebot gegenübersteht. Auf dem Markt befriedigen die Menschen gegenseitig ihre Bedürfnisse, indem sie die von ihnen produzierten wertvollen Güter und Dienstleistungen austauschen. Märkte unterstützen wirtschaftliche Prozesse.

Die Märkte sind natürlich nicht perfekt, aber das sind Regierungen auch nicht. Marktteilnehmer werden ermutigt, ihre eigenen Interessen zu verfolgen, aber das tun auch die politischen Entscheidungsträger in den staatlichen Institutionen. Einige Marktteilnehmer sind betrügerisch und habgierig, die gleichen Eigenschaften finden sich jedoch auch bei Staatsbeamten. Verschiedene zeitgenössische Probleme, die im wirtschaftlichen und sozialen Leben auftreten, müssen sorgfältig und behutsam angegangen werden, anstatt vorschnell dem Markt die Schuld zu geben und gleichzeitig blindlings an die Regierungspolitik zu glauben.

In der Tat hat das Versagen der Regierungen und ihrer Planwirtschaften schlimmere Folgen als das, was oft als "Marktversagen" bezeichnet wird. Dies kann man in Ländern beobachten, die Kommunismus oder extremen Sozialismus praktizieren. So etwas geschieht, weil die wirtschaftliche Rolle der Regierung - die angeblich die öffentlichen Bedürfnisse erfüllen soll - nicht frei von Vorzugsbehandlungen sein kann, die den der politischen Macht nahestehenden Klientelgruppen zugute kommen und mit Gewalt durch Regulierung und oft auch mit Waffen durchgesetzt werden.

Andererseits leben die Menschen heute unter besseren Bedingungen als je zuvor, gemessen an den Standards in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wirtschaft und so weiter. Dieser Fortschritt ist kein Zufall, sondern das Ergebnis des institutionellen marktwirtschaftlichen Systems, das die Fähigkeit der Menschen zur Kreativität, Innovation und freiwilligen Zusammenarbeit bei der Erfüllung ihrer ständig wachsenden Bedürfnisse optimiert hat.

Nach dem Schwarz-Weiß-Verständnis der Lehrbücher gibt es heute tatsächlich kein Land, das vollständig marktwirtschaftlich organisiert ist oder im Gegenteil vollständig von der Regierung kontrolliert wird. Ob ein Land jedoch zur Marktwirtschaft oder zur Planwirtschaft tendiert, lässt sich am Grad der wirtschaftlichen Freiheit ablesen, d. h. an den gesetzlichen Garantien für Privateigentum, den Beschränkungen für Größe und die Rolle der staatlichen Wirtschaft, der effizienten Regulierung der Unternehmen und den offenen und wettbewerbsorientierten Marktprozessen.

Betrachtet man den Trend der Entwicklung der wirtschaftlichen Freiheit in der Welt, so wird deutlich, dass die Weltgemeinschaft auf lange Sicht dem marktwirtschaftlichen System mehr Vertrauen entgegenbringt als einer Wirtschaft, die von politischen Befehlen gesteuert wird. Die Regierung wird ermutigt, eine Rolle bei der Verbesserung der Marktleistung zu spielen, um die verschiedenen gesellschaftlichen Bedürfnisse zu erfüllen und auf die aktuellen Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung einzugehen.

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Geschrieben von Nanang Sunandar, Exekutivdirektor des Instituts für Demokratie und soziale Wohlfahrt (INDEKS).