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Krieg in Europa
Die Kornkammer der Welt unter Verschluss

Am 22. März steigt außerhalb der Stadt Saporischschja in der Ukraine auf einem Feld Rauch auf
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picture alliance / AA | Andrea Carrubba

Tod und Verderben – Das Ergebnis der russischen Belagerung für die Bevölkerung der ukrainischen Hafenstadt Mariupol ist eindeutig. Konstantes Bombardement gegen zivile Ziele zermürbt die Menschen in der Stadt. Gezielte Schläge gegen essenzielle Infrastruktur verschlechtern zusehends die Lebensbedingungen. Selbst vor Krankenhäusern machen die Aggressoren keinen Halt – ein Kriegsverbrechen. Fluchtmöglichkeiten durch humanitäre Korridore bleiben den Bürgern der Stadt verwehrt. Diejenigen, die dennoch versuchen zu entkommen, werden allzu oft vom russischen Militär unter Feuer genommen. Die Situation ist verheerend. Eine Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit dem Allernotwendigsten ist schon lange nicht mehr möglich -  Mariupol hungert.

Die Situation ist in zweierlei Hinsicht grotesk. Denn die ukrainischen Böden gehören zu den produktivsten der Welt. Das Land konnte in Friedenszeiten nicht nur spielend leicht die eigene Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgen, sondern hat in der Vergangenheit auch massiv Agrarprodukte ins Ausland exportiert. Außerdem hätte sich Mariupol als Hafenstadt normalerweise auch von außerhalb der Ukraine versorgen lassen können. Vor der Annexion der Krim im Jahr 2014 und der seither schwelenden Auseinandersetzung im Donbas war die Stadt ein wichtiger Ankerpunkt für Industrie- und Agrarexporte aus der Ukraine. Die seither entstandene Unsicherheit hat das Handelsvolumen deutlich verringert. Nun hat die Belagerung das wirtschaftliche Geschehen im Hafen völlig zum Erliegen gebracht. Der Hunger in Mariupol ist also allein auf die russische Kriegstreiberei zurückzuführen.

Doch leider wird der Hunger voraussichtlich nicht auf die ukrainischen Kriegsgebiete beschränkt bleiben. Sowohl Russland als auch die Ukraine gehören zu den wichtigsten Agrarexporteuren der Welt. Zusammen haben sie in der Vergangenheit etwas mehr als ein Drittel des weltweiten Handelsvolumens an Weizen produziert – auch beim Anbau anderer Getreidearten haben die beiden Nationen einen hohen Stellenwert. Die russische Regierung hat nun erklärt, dass sie bis auf Weiteres keine Roggen-, Gerste- und Weizenexporte mehr genehmigen will – außer an eine Auswahl an Russland freundlich gesinnten Nationen. Das hat eine verheerende Auswirkung auf das Angebot auf dem Weltmarkt. Der Krieg in der Ukraine verschärft die Knappheit zusätzlich. Zerstörte Infrastruktur, durch kriegerische Handlungen oder Flucht gebundenes Personal und der gestiegene Ölpreis werden die Getreideproduktion in der Ukraine deutlich sinken lassen. Ein weiterer Rückgang des Angebots ist daher sehr wahrscheinlich. Folglich sind weltweit signifikante Preisanstiege für Lebensmittel zu erwarten.

Neben diesen direkten Angebotseffekten sind auch weitere Auswirkungen des Krieges auf die Agrarmärkte zu befürchten. Denn einerseits treiben der Krieg und die Wirtschaftssanktionen in aller Welt die Energiepreise in die Höhe. Auf diese Preissteigerungen reagiert der Landwirtschaftssektor äußerst empfindlich, weshalb auch Agrarprodukte deutlich teurer werden. Hinzu kommt, dass Russland und Belarus wichtige Düngemittelproduzentensind. Auf Grund der Sanktionen fallen die Düngemittelangebote dieser Länder nun für eine Vielzahl an wichtigen Agrarnationen weg , was einer künstlichen Verknappung gleichkommt. Dadurch steigen auch für diese essenziellen Güter die Weltmarktpreise. Die Preissteigerungen werden wiederum an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergereicht.

Die beschriebenen Marktentwicklungen werden vermutlich auch auf das generelle Preisniveau durchschlagen. Folglich kann von einer weiteren deutlichen Verstärkung der globalen Inflationstendenzen ausgegangen werden. In Europa mag das zwar die wirtschaftliche Entwicklung stören, stellt aber keinesfalls die Lebensmittelversorgung infrage. Ganz anders ist die Situation in einigen Ländern des globalen Südens. Experten befürchten einen deutlichen Anstieg des Welthungers,  der seit Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts kontinuierlich zurückgegangen war. Vor der Pandemie waren 673 Millionen Menschen von Unterernährung betroffen, rund ein Drittel weniger als noch im Jahre 1990 - bei gleichzeitigem globalen Bevölkerungswachstum. Diese hoffnungsvolle Tendenz droht nun zu kippen. Bis zu 100 Millionen Menschen könnte der Russland-Ukraine-Krieg zurück in die Hungersnot stürzen.

Putins Krieg kostet daher nicht nur Ukrainern und Russen das Leben, sondern bedroht auch fernab der Bombeneinschläge das tägliche Brot -  und somit die Existenz von Millionen.

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