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Slowakei
Präsidentschaftswahl in der Slowakei: Ohrfeige für den Westen, Geschenk für Moskau

Präsidentschaftskandidat Peter Pellegrini spricht zu seinen Anhängern nach der Präsidentschaftswahl in Bratislava, Slowakei

Präsidentschaftskandidat Peter Pellegrini spricht zu seinen Anhängern nach der Präsidentschaftswahl in Bratislava, Slowakei:

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Denes Erdos

Trotz des Erfolgs des prowestlichen Karrierediplomaten Ivan Korčok in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am letzten Märzsamstag wachten die proeuropäischen Slowaken am vergangenen Sonntag enttäuscht auf. Auf der Gegenseite feierten fast anderthalb Millionen Bürgerinnen und Bürger den Sieg ihres „pro-slowakischen“ Kandidaten, den regierungstreuen Parlamentspräsidenten Peter Pellegrini. Obwohl die Umfragen und Experten einen engen Kampf um das Amt des nächsten Staatsoberhauptes vorhersagten, siegte Pellegirini mit 52,12 Prozent über  Korčok mit deutlich größerem Abstand als erwartet – auf Korčok entfielen 46,87 Prozent. Darüber hinaus kann sich der neu gewählte Präsident über eine Rekordwahlbeteiligung in der Geschichte der Slowakischen Republik freuen: 61,1 Prozent machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Die Wahl des populistischen Regierungskandidaten zum slowakischen Präsidenten bestätigte gleichzeitig, dass die Mehrheit der Slowakinnen und Slowaken die prorussische und antidemokratische Tendenzen von Ficos Regierung billigen. Und nicht nur das: Eine weitere wichtige Erkenntnis dieser Wahl ist, dass es in der Slowakei - und damit im Herzen der Europäischen Union - möglich ist, durch eine intransparente Kampagne voller Desinformation und Lügen zum höchsten Staatsvertreter gewählt zu werden. Mit Pellegrini im Präsidentenpalast steht Ministerpräsident Robert Fico nichts mehr im Weg, um den Staat wieder komplett in seine Hände zu kriegen.

Eine schmutzige Kampagne voller Verschwörungen und Einschüchterungen

Schon vor der ersten Runde der diesjährigen Präsidentschaftswahlen war der Wahlkampf sehr hitzig und voller nationalistischer Narrative, insbesondere in Bezug auf die Kritik an der NATO und der EU sowie den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Slowakischen Analysten zufolge war es das Narrativ von Krieg und Frieden, das die Wähler am meisten mobilisierte und letztlich den Ausgang der Wahl bestimmte.

Das Ergebnis fiel zu Gunsten von Peter Pellegrini aus, der sich als nationalistischer Kandidat präsentierte, der die rein slowakischen Interessen in der Welt verteidigen und die Souveränität der Slowakei stärken will. Das größte Interesse sowohl der Slowakei als auch Pellegrinis soll der Frieden und ein Ende des Krieges in der Ukraine sein. Er bezeichnete seinen Gegenkandidaten als Kriegstreiber, der genauso wie die EU die Tötung von Slawen in der Ukraine unterstützt und daher slowakische Männer in den Kampf in der Ukraine schicken kann, was natürlich eine Unwahrheit ist, denn zum einen befürwortete Ivan Korčok dies nicht und zum anderen besitzt der slowakische Präsident  diese Kompetenz nicht. In den Tagen des Wahlmoratoriums erschien sogar ein gefälschtes Foto eines ukrainischen Soldaten, der seine Großmutter umarmt, das Pellegrinis Parteifreunde und Regierungsmitglieder mit der Bildunterschrift teilten, dass die Menschen zur Wahl gehen sollten, weil sonst slowakische Männer in der Ukraine landen würden. In diesem Zusammenhang sagte Pellegrini in einer Fernsehdebatte auch, dass er im Falle einer Aktivierung von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags nach einem Angriff auf einen NATO-Mitgliedstaat keine militärische Unterstützung leisten würde, was eine weitere Verletzung der außenpolitischen Reputation der Slowakei darstellt.

Weitere Punkte der Anti-Kampagne aus den Reihen der Regierungsmitglieder und von Pellegrini waren Verschwörungen, dass Korčok, sollte er Präsident werden, versuchen werde, die Regierung zu stürzen und die bisher eingeführten sozialen Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger abzuschaffen. All dies fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Präsidenten und lag auch nicht im Interesse des Oppositionskandidaten Korčok.

Trotz des falschen Charakters dieser Informationen halfen diese Schilderungen Pellegrini auch, die nationalistischen und rechtsextremen Wähler des aus der ersten Runde drittplatzierten Kandidaten Štefan Harabín für sich zu gewinnen, der in seiner Wahlkampagne von der Neutralität der Slowakei nach Schweizer Vorbild fantasierte. Auch die Stimmen der zahlreichen ungarischen Minderheit in der Slowakei, auf die sich die ungarischen Orbán freundlichen Medien stürzten, halfen Pellegrini nachweislich. Wenige Tage vor den Wahlen gab Pellegrini sogar dem ungarischen Staatsfernsehen ein Interview, in dem er den slowakischen Ungarn Unterstützung und Entwicklung in ihren Wohngebieten im Süden der Slowakei versprach. Pellegrini wurde auch öffentlich und lautstark von Viktor Orbán unterstützt.

Wer ist Peter Pellegrini?

Pellegrini wurde 1975 in der zentralen Slowakei geboren und studierte Wirtschaftswissenschaften. Seine politische Karriere begann er als 26-Jähriger im Jahr 2002 als Assistent eines SMER-Abgeordneten. Im Jahr 2006 wurde er erstmals Abgeordneter der SMER im slowakischen Parlament und verteidigte seine Kandidatur bei jeder folgenden Wahl. Nach den Wahlen 2012 wurde er Staatssekretär im Finanzministerium und später stellvertretender Premierminister. Im Jahr 2014 übernahm er kurzfristig das Amt des Bildungsministers und wurde dann zum ersten Mal Parlamentspräsident. Nach der Ermordung des Investigativjournalisten Ján Kuciak im Jahr 2018, als die Proteste auf den Straßen eine Umwälzung der Regierung erzwangen, übernahm er den Sitz des Premierministers. Robert Fico trat damals zurück und wurde durch Pellegrini ersetzt. Bei den ersten Parlamentswahlen nach dieser Tragödie verlor Ficos SMER-SD (Die Richtung- Sozialdemokratie) die Wahlen und ging in die Opposition. Pellegrini gewann bei diesen Wahlen mehr Präferenzstimmen als Fico, was er nutzte, um sich von seinem Mentor zu lösen und 2020 seine eigene moderne sozialdemokratische Partei, HLAS (Die Stimme), zu gründen. Zusammen mit ihm verließen zehn prominente SMER-Abgeordnete die Partei und schlossen sich der neu gegründeten Bewegung an.

Die Abwanderung von dieser Persönlichkeiten aus SMER führte auch zu einem Verlust von Wählern, was das Verhältnis zwischen Fico und Pellegrini erheblich verkomplizierte. Noch vor den Parlamentswahlen 2023 übte Fico scharfe Kritik an Pellegrini und viele hofften, dass Pellegrinis Partei einen anderen Weg als eine Regierungskoalition mit Fico wählen würde. Das Gegenteil war der Fall. In der neuen Regierung wurde ihm das Amt des Parlamentspräsidenten zugeteilt, wahrscheinlich mit dem Versprechen, seine Präsidentschaftskandidatur im Frühjahr 2024 zu unterstützen.  Pellegrini gewann während seiner Zeit als Premierminister damals große Popularität und hat sich, vielleicht auch durch eine gewisse Gegnerschaft zu Fico, nach und nach die Position des vertrauenswürdigsten Politikers in der Slowakei erarbeitet. Laut Pellegrini ist dies der Grund, warum er für das Amt des Präsidenten kandidierte. Schließlich wird er im Juni 2024 offiziell als Präsident der Slowakischen Republik vereidigt werden.

Wie geht es weiter?

Vor den Parlamentswahlen im letzten Herbst erschien Pellegrini noch als rationaler Sozialdemokrat mit klarer Westorientierung, der eine seriöse Alternative zur zunehmend populistischen und rhetorisch extremistischen SMER von Fico bot. Nach den Wahlen entschied er sich doch für eine politische Hochzeit mit seinem politischen Mentor Fico. In der gemeinsamen Koalition stimmte Pellegrini ohne Widerspruch für alle Gesetze und Änderungen der Regierung, die unter der Führung von Fico nach und nach alle Bereiche des öffentlichen Lebens in der Slowakei besetzt und damit die Grundwerte der liberalen Demokratie abschafft. Der eigentliche Sieger dieser Wahl ist also Robert Fico. Dank eines starken Vetorechts wurde Ficos Weg zur absoluten Macht und zur Vereinnahmung des Staates von der derzeitigen liberalen Präsidentin Zuzana Čaputová verhindert. Ab Juni wird Fico fast nichts mehr im Wege stehen.

Innenpolitisch werden weitere umstrittene Gesetze erwartet, die die Opposition und die Kritiker der Regierung zum Schweigen bringen sollen: eine Übernahme und Überwachung des staatlichen Fernsehens, Einschränkung der Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen, Diskreditierung und Infragestellung der Unabhängigkeit der Gerichte und der Strafverfolgung und nicht zuletzt weitere Einschränkungen der Rechte der LGBT-Gemeinschaft. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Pellegrini etwas dagegen unternehmen würde. In seiner ersten Pressekonferenz nach der Auszählung der Ergebnisse zählte er selbst die Unterstützung der Regierung und ihres Programms zu seinen Prioritäten.

In der Außenpolitik wird ein sehr gefährlicher Trend fortgesetzt. Wegen der antidemokratischen Entwicklungen droht der Slowakei ein Auszahlungsstopp für EU-Mittel, und Fico stellt dies seinen Wählern als Eingriff in die Souveränität des slowakischen Staates dar. In letzter Zeit haben wir jedoch das doppelte Gesicht der slowakischen Regierung gesehen, wenn sie ihren Wählern nationalistische und extremistische Ansichten über die so genannte souveräne Außenpolitik präsentiert. Andererseits arbeiten die Regierung und ihre Beamten mit westlichen Partnern zusammen und stimmen in Brüssel zum Beispiel auch für die Unterstützung der Ukraine. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich Fico durch die Abstimmung nach dem Willen der EU, dem Beispiel Orbáns folgend, einen Freipass für seine umstrittenen Reformen in der Slowakei erkaufen kann.

Noch gefährlicher ist die Neigung slowakischer Regierungsvertreter zu Russland und die Verbreitung prorussischer Propaganda. Der Sieg von Fico und zuletzt von Pellegrini wird auch im Kreml gefeiert, denn obwohl die slowakischen Politiker facettenreich sind und eine Außenpolitik in beide Richtungen führen, fühlt sich die slowakische Gesellschaft eher den russischen Narrativen zugeneigt. Die Slowaken halten die prorussische manipulative Narrative und Desinformationen für wahrhaftig und lehnen die westliche Weltanschauung und Werte mehr und mehr ab.