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State of the Union
"Junckers Vermächtnis"

Europaexperte Julian Jakob zu Junckers "State of the Union" im Interview
Jean-Claude Juncker vor dem EU-Parlament
Jean-Claude Juncker hält seine letzte Rede vor dem EU-Parlament © Attribution-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-SA 2.0) // European Parliament

Am 12. September hielt EU-Kommissionspräsident Juncker seine vierte und letzte „Rede zur Lage der Union“. Dieses Format war 2010 erstmalig von Manuel Barroso nach dem Vorbild der amerikanischen „State of the Union Address“ eingeführt worden und ist eine Art Regierungserklärung des Kommissionspräsidenten. Wie die Rede politisch einzuordnen ist erklärt Julian Jakob im Gespräch mit Freiheit.org.

Welche Projekte hat Jean-Claude Juncker in seiner letzten State of the European Union vorgestellt?

Juncker hat einen politischen Rundumschlag gemacht. Angefangen bei einer allgemeinpolitischen Einordnung forderte er mehr globales Engagement der EU, mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit in der Außenpolitik, eine stärkere, wie er es formuliert, „Weltpolitikfähigkeit“ der EU. Er forderte eine neue Partnerschaft mit Afrika, eine stärkere Rolle des Euro im globalen Zahlungsverkehr, insbesondere im Energiebereich. Das politisch derzeit wichtigste Thema ist, dass es jetzt endlich beim Thema Migration vorangeht. Hier forderte er eine deutliche Verbesserung des Schutzes der EU-Außengrenzen, aber auch legale Einwanderungswege in die EU. Schließlich drängte er darauf, bei der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems noch vor der Europawahl im nächsten Mai Ergebnisse zu erzielen.

Wie sind die Vorschläge politisch einzuordnen?

Juncker bereitet mit dieser Rede sein politisches Vermächtnis als Kommissionspräsident vor. Während Manuel Barrosos Präsidentschaft von der Wirtschafts- und Finanzkrise geprägt war, werden die Historiker wohl die Flüchtlingskrise und den Brexit als definierende politische Ereignisse seiner Amtszeit betrachten. Erfolg und Misserfolg des Brexit liegen vor allem in der Hand der Briten, hier stellte er sich demonstrativ hinter EU-Chefunterhändler Barnier. Beim Thema Migration und Einwanderung voranzukommen ist daher sein letztes großes politisches Projekt. Gerade für den Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex wird er breite Unterstützung erfahren. Letztlich gibt es aber einen roten Faden: Obwohl Brexit und Flüchtlingskrise singuläre Ereignisse sind, kristallisiert sich an ihnen der entscheidende ideelle Konflikt der jüngsten Vergangenheit heraus: Der Kampf zwischen Populisten und Progressiven.

Worin liegt dieser Konflikt?

Während die einen aus Blame-Shifting Richtung Brüssel und Angriffen gegen die Offenheit unserer Gesellschaften politisch Kapital schlagen, haben die anderen verstanden, dass die großen Probleme unserer Zeit wie Flucht und Migration, die Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit oder der Klimawandel nur multilateral gelöst werden können. Juncker hat nie Zweifel daran gelassen, auf welcher Seite er in diesem Konflikt steht, er dankte in seiner Rede explizit seinem Vizepräsidenten Timmermans für dessen Einsatz für die Rechtsstaatlichkeit. Spannend ist jedoch die Frage, ob auch sein potentieller Nachfolger Manfred Weber, bald vielleicht Kommissionspräsident von Viktor Orbáns Gnaden, ebenso standfest bleiben wird.

Was wird von seiner Rede bleiben?

Viele der von Juncker vorgeschlagenen Projekte werden erst von seinen Nachfolgern abgeschlossen werden können, teilweise sind sie schon länger in der Diskussion. Dass wir bald einen Durchbruch in den Verhandlungen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems erleben werden ist wünschenswert aber fraglich. Ein Thema wird in jedem Falle schnell kommen und auch konkret sehr spürbar sein: die Abschaffung der Zeitumstellung.

Julian Jakob
© Julian Jakob

Julian Jakob ist Referent für Europapolitik der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag. Er gibt hier seine persönliche Meinung wieder.