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Polen vor der Wahl
Rüde Methoden und zunehmende Polarisierung

Die Opposition des Landes macht Front gegen den rückwärtsgewandten Kurs der Regierung
Polen vor der Wahl

Wider den mittelalterlichen Muff: Demonstrantinnen und Demonstranten bekunden in Warschau ihre Solidarität mit der verhafteten Künstlerin und Aktivistin Elzbieta Podlesna, die der Ketzerei angeklagt ist.

© 2019 SOPA Images

Vor den Parlamentswahlen in Polen im Herbst führt die Regierungspartei PiS einen rückwärtsgewandten Kulturkampf. Doch ihre Gegner machen mobil.

Anfang Mai verhaftete Polens Polizei die LGTB-Aktivistin und Künstlerin El˙zbieta Podlesna. Ihr Vergehen: Sie hatte ein Bild gemalt, das die Schwarze Madonna von Tschenstochau zeigt mit einem Heiligenschein in den Regenbogenfarben der LGTB-Bewegung trug. Die nationalpopulistische Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwosc, PiS) kommentierte in der Person von Innenminister Joachim Brudzi´nski das Vorgehen der Polizei wohlwollend. Keine Mär von Toleranz und Freiheit, meinte er, rechtfertige die Beleidigung der Gläubigen. Wir schreiben das Wahljahr 2019. Es geht um viel in Polen. Es geht um die Freiheit und um den Rechtsstaat. Die Episode illustriert einmal mehr, welche Politik und welcher Politikstil zurzeit in Polen die öffentliche Debatte beherrschen. Die Methoden werden rüder und die Polarisierung in Gesellschaft und Politikbetrieb nimmt dramatisch zu. Die Konfrontation zu Fragen der Religion scheint dabei der Regierungspartei wie gerufen zu kommen. Was andernorts als Verletzung künstlerischer Freiheit undenkbar wäre, dient der Partei als Mittel zur Mobilisierung der Kernwähler: Die Kirche wird wieder geneigter sein, die PiS offen zu unterstützen, von unangenehmen Themen wird abgelenkt und gerade in ländlichen Gemeinden wird die Politik auf die Frage der Erhaltung der angeblich bedrohten christlichen Zivilisation reduziert – genau das einfache Weltbild, das den Populisten zu ihrem Erfolg verhilft.

Kirche auf dem Rückzug?

Aber wird der religiöse Kulturkampf, den die PiS führt, ihr tatsächlich den Sieg bei den Wahlen zum Parlament (Sejm) und Senat garantieren? Ganz ausgemacht ist das in der Tat noch nicht. Die liberale und demokratische Opposition hat noch Chancen, die sie allerdings auch nutzen muss. Längerfristig gilt das sogar bei der Frage von Religion und dem Verhältnis von Kirche und Staat. Das auch in Deutschland weit verbreitete Klischee, dass Polen ein monolithisch streng katholisches Land sei, gilt schon seit Längerem nicht mehr uneingeschränkt. Es mag bei den (meist ländlichen) Kernwählern der PiS stimmen, aber bei den darüber hinausgehenden Wählersegmenten machen sich starke Erosionstendenzen in Sachen konservativer Katholizität bemerkbar. Auch liberale und bürgerliche Kräfte haben erkannt, dass Zurückhaltung den falschen politischen Kräften nutzte.

Der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk kritisierte bei einer Rede an der Warschauer Universität kürzlich, dass die Kirche nun von der Politik angegriffen werde, weil sie selbst Politik mache.Auch Leszek Ja˙zd˙zewski, Chefredakteur der Zeitschrift Liberté (und Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit) sorgte für Schlagzeilen mit dem Satz, die Kirche habe „das moralische Mandat für die Funktion des Gewissens der Nation verloren“.

Es wird sich zeigen, ob sich der Mut, die PiS-Konservativen nunmehr auf ihrem bisher unumschränkt kontrollierten Themenfeld schlagen zu wollen, auszahlt.

Die liberale und demokratische Opposition hat noch Chancen.

Einfach wird die Sache jedenfalls nicht. Denn die Zuspitzung des Themas Religion durch die Wohlfallensbekundungen der Regierung zu der Verhaftung von Elžbieta Podlesna folgt einem strategischen Grundrezept der PiS, das bisher recht erfolgreich war. Die Regierung produziert einen ständigen Fluss von provokanten Initiativen, die gar nicht unbedingt selbst von der Mehrheit der eigenen Wähler getragen werden, aber den Gegner in die Defensive treiben und zugleich Handlungsstärke demonstrieren. In seinen Tweets kultiviert letztlich auch US-Präsident Donald Trump diese Taktik mit Erfolg.

Tatsächlich hat die PiS es mit dieser sehr groben Form der Auseinandersetzung geschafft, das einst mustergültige Transformations- undEU-Land Polen so umzugestalten, dass mit gutem Grund nicht wenige Beobachter darin eine Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie sehen. Die staatlichen Medien wurden unter die Kontrolle der Partei gebracht und gehören mithin nun zu den einseitigsten in Europa. Das Verfassungsgericht sollte durch die vorzeitige Pensionierung unliebsamer Richter ebenfalls unter Kontrolle gebracht werden. Und der Versuch des PiS-nahen Präsidenten, gleich die ganze Verfassung neu zu schreiben, scheiterte nur an internen Querelen.

Auch an anderen Fronten wird hart ausgeteilt. In der Außenpolitik beschädigt man die bisher mustergültigen Beziehungen zu Deutschland und zur Europäischen Union. Auch wirtschaftspolitisch ist Polen unter dem PiS-Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki nicht durch eine clevere Fortsetzung der marktwirtschaftlichen Erfolgspolitik der Vorgänger aufgefallen, wie man es von einem Ökonomen wie ihm erwarten könnte, sondern legt stattdessen teure Sozialprogramme auf, die langfristige Fragen zur Finanzierbarkeit aufwerfen. Kurzfristig verhilft diese Politik der PiS bei den Rentnern und sozial Schwachen zu einem Image als „Anwalt des kleinen Mannes“.

Um dem beizukommen, bedarf dieOpposition einer wirksamen Strategie. Immerhin: Polen ist nicht Ungarn. Dort ist es Ministerpräsident Orbán gelungen, eine ähnliche Politik durchzusetzen und zugleich die Opposition zu fragmentieren und zu schwächen. Das ist in Polen anders. Bei den Regional- und Kommunalwahlen im November 2018 musste PiS erhebliche Schlappen hinnehmen. Alle großen und mittleren Städte fielen an die Opposition, ebenso wie die meisten Kleinstädte. Nur das dörfliche Polen – das allerdings die Mehrheit stellt – hielt zur PiS.

Polen vor der Wahl

Seltener EU-Gast: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) fährt einen klar nationalen Kurs

© 2019 SOPA Images

Opposition mit Strategie

Wieso? Statt sich zu zerstreiten, formierten die Oppositionsparteien – zumeist die eher christdemokratische Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) und die liberale Partei der Moderne (Nowoczesna, .N) - gemeinsame Wahllisten, um die jeweiligen PiS-Kandidaten zu schlagen. Zur Europawahl im Mai wurde das Bündnis unter dem Namen Koalicja Europejska (KE) vertieft. Die Unterschiede der Parteien mögen groß sein, aber hier geht es um den Fortbestand der Demokratie und die Möglichkeit, überhaupt Oppositionspolitik betreiben zu können. Zur PO und .N gesellten sich nun auch das sozialdemokratische Bündnis der Demokratischen Linken (Sojusz Lewicy Demokratycznej, SLD) und die konservative Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe, PSL).

Bei den nationalen Wahlen hängt viel davon ab, ob die Opposition ihre Einigkeit weitgehend beibehalten kann. Das ist bei Wahlen, bei denen es um eine Regierungsbildung und damit um eine echte Regierungsagenda geht, schwerer als bei der Europawahl. Möglicherweise wird die PSL im Herbst wieder alleine kandidieren, weil sie wegen ihrer agrarprotektionistischen Agenda mit den marktwirtschaftlichen Wirtschaftskonzepten der Liberalen und der PO wenig anfangen kann. Trotzdem: Ein größeres Parteienbündnis ist jedenfalls wahrscheinlich geworden, was bei einem Wahlsystem, das bei der Sitzanteilberechnung systematisch größere Parteien begünstigt, wichtig ist. Nur eine halbwegs einige Opposition kann gegen die recht einige Regierung gewinnen. Und auch das garantiert keinen Sieg, wie die Europawahl zeigte. Die KE konnte mit 38,5 Prozent Wähler wie nie gewinnen, aber die Mobilisierungskampagne der PiS war mit 45,4 Prozent immer noch erfolgreicher.

Trotz der Begünstigung von Großparteien gilt: klein heißt nicht unwichtig. Das gilt für die kleinste Partei im Oppositionsbündnis selbst, die liberale Nowoczesna, die programmatisch die konsequentesten Wegmarkierungen setzt.

Polen vor der Wahl

"Rechte Diktatur" prangt warnend auf Hammer und Sichel. Die oppositionellen Demonstranten haben Angst, dass der erzkonservative PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski immer mehr Freiheiten beschneidet.

© 2019 SOPA Images

Risiko: Dubiose Rechtsparteien

Es gilt aber auch für dubiose Splitterparteien. Noch stehen die Umfrageergebnisse so, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PiS und Oppositionsbündnis geben könnte. Aber es gibt auch zwei rechtspopulistische beziehungsweise rechtsradikale Parteien, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie die bei den nationalen Wahlen geltende Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Dabei handelt es sich um die Anti-Establishment-Partei Kukiz’15 des Rockmusikers Paweł Kukiz, die im Parlament der PiS schon öfter zu Hilfe kam, und um die neue rechtsradikale Partei Konfederacja, in der sich viele Führungsmitglieder finden, die Polen für ein Opfer von Juden und Freimaurern halten. Immerhin 8,3 Prozent bekamen die Parteien zusammengerechnet bei der Europawahl. Die extremeren Rechtsparteien sind die großen Unbekannten in der Rechnung.

Auf der anderen Seite des Spektrums kam die linke Bürgerrechtspartei Wiosna (Frühling) auf 6,1 Prozent, was die Opposition stärken, aber auch zersplittern kann. Und dann sind da noch die PiS-Wähler selbst. Sie sind keineswegs so einheitlich in ihren Ansichten, wie man meinen könnte. Die Kommunalwahlen von 2018 etwa liefen auch deshalb nicht so günstig für die PiS, weil eine Diskussion über den „Polexit“ (Austritt Polens aus der EU) losgetreten wurde. Selbst bei der Mehrheit der PiS-Wähler war dies zutiefst unpopulär. Die EU verfügt über eine breite Unterstützung in fast allen Wählersegmenten.

Alles erlauben kann sich der Staat in Polen aber noch nicht. Auch die Frage nach der politischen Instrumentalisierung von Religion kann und darf weiterhin aufgeworfen werden. El˙zbieta Podlesna wurde nach fünf Stunden Verhör auf freien Fuß gesetzt.

Detmar Doering ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und die baltischen Staaten. Der Sitz seines Büros befindet sich in Prag.