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Plastikmüll im Meer: "Europa trägt eine globale Verantwortung"

Gesine Meißner erklärt im Interview, was jeder einzelne gegen Plastik in Meeren unternehmen kann

Die Plastikverschmutzung der Ozeane wird zunehmend als globales Problem erkannt. Sichtbare Plastikteile gefährden größere Meerestiere, während sich Mikroplastik in Plankton und anderen Kleinstorganismen ansammelt und dadurch entlang der gesamten Nahrungskette niederschlägt.

Über 90 Prozent des Plastikmülls werden über zehn Flusssysteme - acht davon in Asien, zwei in Afrika - in die Meere transportiert. Ein Verbot von Trinkhalmen in Deutschland wird das Problem daher nicht lösen, es sind vielmehr international koordinierte Anstrengungen notwendig. 

Gesine Meißner war bis 2019 die EU-Sondergesandte für Meerespolitik und hat maßgeblich an der im März 2019 verabschiedeten EU-Richtlinie gegen Einwegplastikmüll und dessen Export mitgewirkt. Im Interview erklärt sie, was jeder einzelne gegen das Problem unternehmen kann.

Woher stammt das Plastik in den Meeren und wie gelangt es dorthin? 

Das Plastik in den Meeren - größtenteils nach Zersetzung Mikroplastik - gelangt überwiegend durch die Flüsse ins Meer. "Quellen" sind Kleidung, Reifenabrieb, Kosmetika und vor allem viele Einwegartikel wie Zigarettenfilter, Strohhalme, Plastiktüten, Plastikflaschen, Q-Tips, Getränkebecher und Lebensmittelverpackungen.

Was bedeutet dies für das Ökosystem Meer?

Plastik in den Meeren bedeutet den Tod für Schildkröten, Delphine und andere Tiere durch Verheddern in Plastiknetzen und Tüten. Zudem das Verhungern von Meerestieren, da ihr Magen voll unverdaulichem Plastik ist. Die Vermüllung des Meeresbodens und chemische Belastung durch Zersetzung kommt auch hinzu.

Was bedeutet das für den Menschen?

Für uns bedeutet dies die Gefährdung des eigenen Lebensraums: Jeder zweite Atemzug kommt aus dem Meer, die Ozeane sind ein wichtiger Klimaregulator und zugleich Handelsweg und Ressource für Nahrung/Eiweiß, Energie, blaue Biotechnologie und Rohstoffe. Noch unerforscht sind zudem die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus durch Plastik in Fischen und Meeresfrüchten.

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Gesine Meißner

© Freiheit.org

Was kann jeder Einzelne aktiv dagegen machen? 

Das Meiden von Einwegplastik würde schon helfen. Zum Beispiel können Sie einen eigenen Becher statt einen Coffee-to-go-Becher nutzen, eigenes Besteck mitbringen oder welches aus Bambus statt Plastik kaufen, eine Tasche oder einen Stoffbeutel für Einkäufe mitnehmen, ebenso Boxen für die Käse- und Wursttheke. Wichtig ist zudem die Mülltrennung, das Müllsammeln an Stränden, Kosmetik ohne Mikroplastik nutzen - es gibt viele Möglichkeiten, selbst etwas zu verbessern. 

Was muss sich in der Politik verändern, um das Thema anzugehen? 

Zunächst muss klar werden, dass unser "blauer" Planet zu 70 Prozent aus Meer besteht und das Meer unser größter Lebensraum ist, der in der Politik eine zentrale Rolle spielen muss. Es ist falsch, nur auf den Hauptverursacher Asien hinzuweisen - auch europäische Flüsse tragen Plastik ins Meer. Das Meer kennt keine Grenzen, Müll, der aus Asien kommt, kann auch bei uns landen. Wir Europäer tragen mit hoch entwickelten Technologien eine globale Verantwortung und können auch wirtschaftlich dadurch profitieren. Wir könnten Forschungen an neuen Produkten mit anderen Rohstoffen und Innovation durch neue Technologien unterstützen, genauso wie Startups. Auch beim Recyceln ist noch viel Luft nach oben: nur 30 Prozent des Plastiks wird recycelt, nur sechs Prozent wiederverwendet. 

Es gibt bereits Initiativen, die versuchen, die Meere zu retten. Wie genau filtern sie das Mikroplastik aus den Meeren?

Am bekanntesten ist der junge Holländer Boyan Slat, der mit einer Mischung aus Strudeln und Riesenkämmen die Meere vom Plastik befreien will - allerdings bislang mit einem Fehlversuch. Marcella Hansch, eine junge Architektin und Wassersportlerin aus Aachen, hat mit Maschinenbauern ein System entwickelt, mit dem an Flussmündungen das Wasser "beruhigt" werden soll, damit das Mikroplastik (leichter als Wasser) oben schwimmt und abgefischt werden kann (pacific garbage screening). Der erste Feldversuch steht noch aus. Professorin Mazzuccato - Beraterin der EU-Kommission - hält es für möglich, durch Finanzierung gezielter Forschung und Projekte bis 2025 den Plastikeintrag ins Meer um 90 Prozent zu reduzieren und 50 Prozent des Plastikmülls aus den Ozeanen zu fischen. Daher wurde jetzt eine "Mission Healthy Oceans and Seas" in Brüssel eingerichtet.

 

Gesine Meißner war bis 2019 die EU-Sondergesandte für Meerespolitik und hat maßgeblich an der im März 2019 verabschiedeten EU-Richtlinie gegen Einwegplastikmüll und dessen Export mitgewirkt. Seit Juli 2019 ist Gesine Meißner gewähltes Mitglied (1 von 14, die einzige aus Deutschland) im Expertenforum der EU-Kommission "Mission Healthy Oceans, Seas, Coastal and Inland Waters". Seit Anfang 2020 ist Sie  gewähltes Mitglied im internationalen Board "Antarctica 2020" und setzt sich dort für die Einrichtung von 3 großen Meeresschutzgebieten in der Antarktis ein.