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5G an jeder Milchkanne: Provinziell ist nur die Politik

Bei der Einführung des Mobilfunkstandards 5G droht Deutschland eine abermalige Spaltung in Stadt und Land

Vielleicht sollte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek eine ihrer nächsten Dienstreisen in das kleine Dörfchen Löbnitz in der Magdeburger Börde antreten. Dort, auf dem Hof von Carl-Albrecht Bartmer, sieht es nur auf den ersten Blick wie im romantisierenden TV-Spot aus: ein Landhaus mit weißen Fensterrahmen, umrankt von Rosenstöcken, Zitronenbäumchen auf der Terrasse, dazu ein zur Begrüßung freundlich wedelnder Hofhund sowie grasende Pferde direkt neben dem Wohnhaus. Doch spätestens wenn die Forschungsministerin mit Bartmer sprechen oder einen Blick in die Führerhäuser des modernen Fuhrparks aus Mähdreschern oder Traktoren werfen würde, wüsste sie: Sie hat sich massiv geirrt, als sie Ende 2018 sagte: „5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig.“

„Das ist eine erstaunliche Fehleinschätzung, hinter der sich ein vollkommen falsches Verständnis von moderner Landwirtschaft verbirgt“, wundert sich Carl-Albrecht Bartmer über die Aussage der Ministerin. Nicht nur die Menschen und mittelständischen Unternehmen im ländlichen Raum benötigen nach seinen Worten das schnellste Internet, sondern auch und gerade die landwirtschaftlichen Betriebe.

Dabei fußt Innovation auf Tradition: Bartmer, von 2006 bis 2018 Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, führt auf Gut Löbnitz einen traditionsreichen Familienbetrieb. Wobei das Wort „Betrieb“ leicht untertrieben ist: Insgesamt bewirtschaftet der heute 58-Jährige mit seiner Familie und seinen Mitarbeitern rund 1.000 Hektar. Auf den Feldern der Bartmers gedeihen Weizen, Raps, Erbsen, Mais oder Zuckerrüben. Tiere, abgesehen von den privat genutzten Pferden, halten sie nicht.  

Der vierfache Familienvater kam in Lingen an der Ems zur Welt. Seine Vorfahren waren aber seit fast 300 Jahren um das kleine Dorf Löbnitz bei Staßfurt im heutigen Sachsen-Anhalt als Landwirte tätig. Bartmers Großvater, der den Betrieb Mitte der 1920er-Jahre von seinem Vater erbte, steuerte das Gut durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs – bis dieses 1945 wie andere mehr als 100 Hektar große Betriebe vom späteren DDR-Regime zwangsenteignet wurde.

Wiederaufbau nach der Wende

Kurz nach dem Mauerfall kehrte sein Enkel Carl--Albrecht an die alte Familienwirkungsstätte als Pächter zurück. Ihm gelang, diesen Betrieb wieder neu einzurichten und letztlich erneut für seine Familie zu erwerben. Doch bei aller Freude über das Erreichte treiben -Bartmer stellvertretend für die gesamte Branche Zukunftssorgen um: „Wir müssen unbedingt verhindern, dass der ländliche Raum von den technologischen und wirtschaftlichen Entwick-lungen abgehängt wird. Wohin eine solche Entwicklung politisch sonst führen kann, zeigt der hohe Stimmenanteil für Donald Trump im Mittleren Westen bei der US-Präsidentenwahl 2016.“

Um genau das zu verhindern, sei 5G notwendig – auch und gerade bis zur letzten Milchkanne. „Bereits heute ist die Landwirtschaft smart“, meint Bartmer. GPS-Systeme, Drohnen und Sen-soren etwa in Traktoren sorgen dafür, dass die Fahrzeuge die Ackerflächen zentimetergenau bearbeiten. Die Daten über Düngemengen oder Pflanzenwachstum werden auf lokalen Rechnern oder in Cloud-Datenbanken gespeichert und ausgewertet. All das ist längst Wirklichkeit, hat aber mit der Vision des „Digital Farming“ noch herzlich wenig zu tun.

Beim Digital Farming sind -Traktor, Mähdrescher, Sämaschine oder Güllewagen über das World Wide Web überall und ständig miteinander und mit externen Großrechnern verbunden. Die -Maschinen kommunizieren in Echtzeit miteinander; digitales Auftragsmanagement, Fernwartung und -einstellung von Landmaschinen, selbst die automatisierte Steuerung eines Traktors sind da keine Utopie mehr. Das spart vor allem Ressourcen und reduziert ökologische Nebenwirkungen auf ein Minimum. -„Voraussetzung für digitale Landwirtschaft ist aber ein maximal schnelles Netz – kurz: 5G“, meint Bartmer. 

Bevölkerungswachstum erfordert höhere Erträge

Besonders die globale Bevölkerungsentwicklung erfordert nach seinen Worten eine noch effektivere und effizientere Landwirtschaft – und daher noch mehr Digitalisierung: Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, sagt voraus, dass die weltweit produzierte Lebensmittelmenge um weitere 50 Prozent steigen muss, um die wachsende Weltbevölkerung auch 2050 angemessen zu versorgen.

Verschärfend kommt hinzu, dass die pro Kopf zur Verfügung stehende landwirtschaftliche Nutzfläche von Jahr zu Jahr zurückgeht. 2050 beträgt sie nach Hochrechnungen der FAO nur noch weniger als die Hälfte der Fläche aus dem Jahr 1970. 

Die Herkulesaufgabe für die Landwirte weltweit lautet daher: auf weniger Fläche deutlich mehr zu ernten – und das nachhaltig. Gerade Hightech kann helfen, dass das gelingt, ohne die Umwelt über Gebühr zu belasten. „Wer Nachhaltigkeit ernst nimmt und weniger Einsatz von Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln fordert, muss dafür auch die technologischen Voraussetzungen schaffen – und das sind insbesondere schnellste Datenleitungen in der Fläche“, sagt Bartmer. Modernste Hightech-Sensoren, die die Boden- und Pflanzenwerte in Echtzeit ermitteln und über-tragen, helfen dabei, den Einsatz von Dünger oder Pflanzenschutzgaben zu minimieren.

„Passgenauigkeit statt grober -Daumen, komplexe Algorithmen und Prognosemodelle etwa für Pflanzenerkrankungen statt hundertjähriger Kalender“, erläutert Bartmer, „das ist der Pfad einer verantwortungsvollen Landwirtschaft der Moderne.

 

Carl-Albrecht Bartmer stand von 2006 bis 2018 an der Spitze der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft. Doch das Verbandsamt betrieb der 58-Jährige stets nur als Nebenberuf. Mit Leidenschaft beackert Bartmer mit seiner Familie und seinen Mitarbeitern rund 1.000 Hektar Land.