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Journalismus
Ein ukrainisches Medienzentrum in Deutschland nach zwei Jahren Krieg, Exil und Kampf um die Freiheit der Ukraine?

Die Stimme der geflüchteten ukrainischen Journalisten in Deutschland
Warum wäre ein ukrainisches Medienzentrum wichtig und was kann es der deutschen Gesellschaft bringen?

Warum wäre ein ukrainisches Medienzentrum wichtig und was kann es der deutschen Gesellschaft bringen?

© picture alliance / Geisler-Fotopress | John Nacion/Geisler-Fotopress

Das Team Medienfreiheit weltweit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) suchte gleich nach dem erneuten Angriff der russischen Armee auf die Ukraine am 24. Februar 2022 nach Kontakten zu ukrainischen Journalistinnen und Journalisten und ließ diese auf der eigenen Homepage über das Geschehen berichten. Im Dezember 2023 fand auf Einladung der FNF das erste offizielle Treffen mit 16 Vertreterinnen und Vertretern der geflüchteten ukrainischen Medien-Community in Berlin statt, die eine eigene Repräsentanz in Deutschland gründen möchten und vor den Folgen der russischen Propaganda warnen.

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, fand sich Svitlana Vasylenko in Deutschland wieder, um ihren 10-jährigen Sohn vor russischen Bomben zu retten. So wurde aus der erfolgreichen Journalistin, Radiomoderatorin, Expertin für Sprache und Diktion im Handumdrehen eine der zahlreichen Flüchtlinge, die vor dem Nichts standen. Einerseits sehnte sie sich danach, in der Ukraine Teil der Nation zu sein, die für ihre Freiheit kämpft, andererseits wollte sie ihren Sohn vor dem Krieg bewahren.

So endete ihre beeindruckende Berufskarriere, und wirklich alles, worin sie 20 Jahre lang Zeit, Talent und Kraft investiert hatte, wurde zu wenigen Bulletpoints eines Lebenslaufes für die deutschen Behörden. Jetzt baut Swetlana gleichzeitig ein ukrainisch-sprachiges Radio in Potsdam und ihr eigenes Leben neu auf, indem sie versucht, die Rolle der alleinerziehenden Mutter mit der einer gesellschaftlich aktiven Journalistin unter einen Hut zu bringen.

Jeder von uns ukrainischen Journalisten in Deutschland, hat seine eigene Geschichte, aber wir haben alle eines gemeinsam: Vor zwei Jahren haben wir unser Leben neustarten müssen.

Die größten Hürden für die aus der Ukraine geflüchtete Medienschaffenden im deutschen Exil

Heute stehen ukrainische Journalisten im Exil vor einer Menge an Herausforderungen. Wir bemühen uns nicht nur, über die Entwicklungen in der Heimat auf dem Laufenden zu bleiben und mit der Ukraine in Verbindung zu bleiben, sondern erfüllen auch die Aufgaben von Eltern, die für die Sicherheit ihrer Kinder in einer neuen, fremden Umgebung sorgen. Dies setzt voraus, dass wir jeden Tag die schwierige Balance zwischen beruflichen Ambitionen und familiären Pflichten meistern.

Ein weiteres großes Hindernis für uns bleibt die deutsche Sprache. Wir kommen aus der Situation, in der das Leben und das Berufsleben eng mit der gewohnten Ausdruckskraft eigener Worte verbunden waren, und nun müssen wir wie kleine Kinder lernen, die Sprache der Menschen zu sprechen, die uns Obdach gegeben haben. Dieses Sprachproblem wird zu einer echten Herausforderung, die nur schwer zu bewältigen ist. Journalisten, die sich früher sicher auf Ukrainisch, und meist auch auf Englisch, ausdrücken konnten, stehen nun vor der Aufgabe, sich in einer anderen Sprache auszudrücken und diese überhaupt erst zu erlernen, um einen effektiven Informationsaustausch und gegenseitiges Verständnis in einem neuen soziokulturellen Umfeld zu erwirken.

In Deutschland ansässige ukrainische Journalisten stehen außerdem vor der einzigartigen Herausforderung, mit russischen Medien zu interagieren, die teils schon seit Perestrojka-Zeiten mit der deutschen Medienwelt eng verwoben sind. Diese Situation schafft ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach Objektivität und dem Verantwortungsbewusstsein gegenüber der eigenen Bevölkerung, denn auch die Ukrainer werden von der russischen Propaganda als Ziel von Desinformation angepeilt.

Als weitere Besonderheit gilt, dass die Anzahl der ukrainischen Journalisten in Deutschland im Verhältnis zu den geflüchteten russischen Medienvertretern deutlich geringer ist. Das wirkt sich hinsichtlich der Aufgabe, die subtilen und versteckten Arten der russischen Propaganda zu bekämpfen, sehr erschwerend aus, da der Zugang zur Öffentlichkeit insgesamt und somit auch die Möglichkeiten einer medialen Einflussnahme per se stark umkämpft sind.

Ukrainische Journalisten fördern keine Feindseligkeit, aber wir erkennen die Notwendigkeit an, aktiv gegen jede Form von russischer Desinformation vorzugehen. Wir ermutigen deshalb eindringlich die russischen Oppositionsmedien (die regimekritischen Exil-Journalisten aus Russland), wahrheitsgemäß Informationen über den Krieg in der Ukraine zu verbreiten, und betonen, wie sehr es jetzt auch auf ihre Ehrlichkeit und die Einhaltung der geltenden Standards journalistischer Ethik ankommt, angesichts der voranschreitenden Polarisierung und Radikalisierung der deutschen und eingewanderten Gesellschaftsteile

Mehr denn je sind wir ukrainischen Journalisten bestrebt, unsere Stimmen zu vereinen, um gehört zu werden. Nach zwei Jahren Krieg hat sich noch eine weitere Erkenntnis durchgesetzt. Die ukrainische Mediengemeinschaft muss ihren eigenen Platz hier im Exil finden bzw. einnehmen und in Deutschland ein eigenes Zentrum gründen, das zum Mittelpunkt eines neuen Informationsaustausches zwischen der Ukraine und Deutschland werden könnte.

Mutter Ukraine

Die Mutter Ukraine in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist eine im Jahr 1981 errichtete Kolossalstatue, die Teil des Museums des Krieges für die Unabhängigkeit der Ukraine ist

© picture alliance / NurPhoto | Maxym Marusenko

Warum wäre ein ukrainisches Medienzentrum wichtig und was kann es der deutschen Gesellschaft bringen?

Ein solcher „Medien-Hub“ für Exil-Ukrainer in Deutschland sollte nicht nur als Arbeitsstation mit Internetzugängen für geflüchtete Journalisten dienen, sondern würde viel mehr sein. Dort könnten Informations-Abende zu überlebenswichtigen Aspekten der deutschen Realität für Neuankömmlinge stattfinden, Einführungsveranstaltungen über die deutsche Medienlandschaft, Sprachkurse. Der Ort könnte auch zum zentralen Punkt für einen neuen tieferen gesellschaftlichen und kulturellen Dialog werden, und auch als Austauschplattform für mehr gegenseitiges Verständnis unter den Ukrainern aus verschiedenen Landesteilen untereinander und zwischen den Geflüchteten und Deutschen sorgen. Es könnte der Ort werden, an dem sich die deutsche und die ukrainische Kultur treffen, an dem gesellschaftsrelevante Dialog-Veranstaltungen organisiert werden, die auch dem Austausch von Erfahrungen und Traditionen gewidmet werden.

Die ukrainischen Journalisten im Exil würden damit ihre Stimme wiedererlangen und ihren eigenen Standpunkt zu den Ereignissen in der Ukraine und in der Welt zum Ausdruck bringen. Dies ist insofern wichtig, weil es der deutschen Gesellschaft hilft, die über Jahrhunderte unter dem Einfluss der russischen Expansion, Aggression und der seit beinahe zwei Jahren todbringenden Invasion entstandene Perspektive zu verstehen, die die ukrainische Gemeinschaft in die Diskussion einbringt.

Das angedachte Zentrum kann zu einer wichtigen Informationsquelle für das deutsche Publikum werden, wo es von ukrainischen Journalisten sachdienliche und objektive Informationen über die Ereignisse in der Ukraine erhält und so sein Verständnis der Situation erweitern kann.

Die Einrichtung eines solchen Zentrums ist auch wichtig, um Desinformation entgegenzuwirken. Eine zuverlässige ukrainische Informationsquelle kann als weiteres wichtiges, professionelles Gegengewicht gegenüber russischen Propagandamedien dienen, die in Deutschland auf Russisch und auf Deutsch über Social-Media-Blasen immer noch sehr aktiv und erfolgreich sind.

Jetzt, da es angesichts des Ernstes der russischen Bedrohung allgemein klar wurde, dass Deutschland und die Ukraine eine langfristige, enge Partnerschaft vor sich haben, wird auch eine weitere Tatsache relevant - die Notwendigkeit, starken und unabhängigen journalistischen Dialog zwischen beiden Ländern zu führen. Dies wird ebenfalls das gegenseitige Verständnis fördern und die Zusammenarbeit im Informationsraum stärken.

In der Ukraine selbst gehen derzeit diverse sehr komplexe und sehr komplizierte Prozesse vor sich hin. Es ist offensichtlich, dass sich der Krieg noch länger hinziehen kann, und es ist notwendig, einen langfristigen Vektor der Zusammenarbeit vor allem mit Partnerländern wie Deutschland aufzubauen. Gerade Medienschaffende können dabei eine wichtige Rolle spielen. Auch dafür ist es notwendig, für die ukrainische Mediengemeinschaft im Exil eine Präsenzplattform zu errichten und sie zu vereinen.

Die Erfahrungen aus der Menschheitsgeschichte stellten bereits mehrmals unter Beweis, dass die Information zu den stärksten Waffenarten gehört. Deshalb betonen wir hier mit Nachdruck, wie wichtig es ist, transparente Kommunikationskanäle zwischen Ukrainern und Deutschen zu etablieren.

Ursprünglicher Beitrag ukrainischer Journalistin und IJMD-Treffen-Teilnehmerin Iryna Matvienko; aus dem Ukrainischen übersetzt und für die FNF-Homepage adaptiert von Peter Cichon (Referent Medienfreiheit weltweit)