EN

"Kim spürt auch innenpolitisch mehr Druck"

Unser koreanischer Büroleiter Lars-André Richter über kuschelnde Koreas vor Olympia
Nordkoreanische und Südkoreanische Eishockeynationalmannschaft der Frauen

Nord- und Südkoreanische Eishockeynationalmannschaften der Frauen

© CC BY-NC-SA 2.0/ Korea.net/Flickr/bearbeitet

Dieser Artikel wurde am Montag, den 05. Februar 2018 bei n-tv veröffentlicht und ist online auch hier zu finden.

Am Freitag beginnen die Olympischen Winterspiele in Südkorea - und der Norden ist dabei. Die Frauen bilden sogar ein gemeinsames Eishockey-Team. Das Thema sei durch das politische Tauwetter sogar noch einmal gepusht worden, sagt Nordkorea-Experte Lars-André Richter, der das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul leitet. An eine substanzielle Wiederannäherung glaubt Richter im Moment aber nicht. Denn hinter der Gesprächsbereitschaft von Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un steckt seiner Meinung nach mehr als eine olympische Idee.

n-tv.de: Wenn Sie in Seoul unterwegs sind, spüren Sie da eine Vorfreude auf Olympia in Pyeongchang?

Lars-André Richter: Das Ganze ist auf jeden Fall ein Thema, auch wenn die Winterspiele nicht in der Hauptstadt stattfinden. Aber auch in Seoul stößt man überall auf die Maskottchen und die Embleme. Die Südkoreaner sind natürlich stolz darauf, dass die Spiele im eigenen Land stattfinden und dass die Welt auf das Land und vor allem auf Pyeongchang schaut. Man wünscht sich erfolgreiche Spiele.

Hat sich die Stimmung noch einmal verändert, seit es zu einer Entspannung im Korea-Konflikt gekommen ist?

Ich habe den Eindruck, dass das Olympia-Thema noch einmal richtig gepusht wurde, weil Nordkorea nun mitmacht. Das war sozusagen ein gutes Timing. Wenn man jetzt hier über die Winterspiele redet, steht das meistens im Zusammenhang mit dem Norden. Zudem hat das viele Menschen beruhigt, weil dadurch die Gefahr minimiert wird, dass es zu Provokationen kommt und die Spiele gestört werden. Man hatte sich Sorgen gemacht, dass ausländische Delegationen gar nicht erst kommen oder früher wieder abreisen.

Im Frauen-Eishockey soll ein gesamtkoreanisches Team antreten. Wie wird das aufgenommen?

Das ist eine recht prominente Sache und gab es so noch nie, zumindest nicht bei Olympischen Spielen. Aber natürlich ist das in erster Linie eine politische Entscheidung, denn sportlich ist es sehr fragwürdig, kurz vor Olympia eine Mannschaft quasi neu zusammenzustellen. Deshalb gibt es durchaus Kritik daran.

Sieht man die Annäherung der beiden Länder eher als politisches Thema oder auch emotional?

Das kommt darauf an, wen man fragt: Ältere oder Jüngere, jemand, der politisch eher rechts steht oder eher links. Die Neujahrsansprache von Kim Jong Un, die diese Entwicklung angestoßen hat, ist ja nun schon wieder einen Monat her. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen zunächst positiv überrascht waren, weil sie gar nicht mehr mit einer nordkoreanischen Olympia-Teilnahme gerechnet hatten. Aber mittlerweile werden auch kritische Stimmen laut. Emotional ist es also durchaus, wenn auch nicht nur positiv.

Hat Sie Kims Neujahrsansprache überrascht?

Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung hat mich das durchaus überrascht. 1988 gab es ja eine ähnliche Situation, als die Sommerspiele in Seoul stattfanden. In Südkorea herrschte kurz nach Ende der Diktatur Tauwetter und dem Norden wurde eine Teilnahme an Olympia angeboten, aber letztlich sagten sie diese ab. Deshalb habe ich auch diesmal nicht mit einer nordkoreanischen Teilnahme gerechnet, zumal nach den Provokationen der letzten Jahre mit den Atom- und Raketentests.

Wie schätzen Sie die Chancen der Wiederannäherung ein?

Bei aller Sympathie für die Gespräche sehe ich nicht, dass sich substanziell das Verhältnis beider Staaten ändert, solange Nordkorea am Atomwaffen- und Raketenprogramm festhält. Südkoreas Präsident Moon Jae In, der seit vergangenem Mai im Amt ist, hat ja vor Kims Neujahrsansprache immer wieder Gespräche und sogar eine Reise nach Nordkorea angeboten, ohne aber eine Antwort zu bekommen. Erst die Perspektive, an Olympia teilzunehmen, verbunden mit der Reputation, aber auch mit Geldern, hat Nordkorea veranlasst, nun doch nach der ausgestreckten Hand zu greifen. Andererseits hat Nordkorea kürzlich eine Kulturveranstaltung mit südkoreanischer Beteiligung wieder abgesagt. Dieses Hin und Her zeigt, dass man schnell wieder in alte Muster verfallen kann.

Der Olympische Park in Gangneung
Der Olympische Park in Gangneung © CC BY-NC-SA 2.0/ Korea.net/Flickr/bearbeitet

Steckt mehr hinter Kims Motivation als die symbolisch aufgeladene Teilnahme an Olympischen Spielen - also etwa ein wirtschaftlicher Druck infolge der Sanktionen?

Ja, das würde ich sagen. Es geht sicher weniger darum, eine olympische Idee zu befeuern oder nordkoreanischen Sportlern die Teilnahme zu ermöglichen. Die Sanktionen, die 2017 erstmals auch von China ernsthafter umgesetzt wurden, scheinen Prozesse in Nordkorea ins Rollen gebracht zu haben. Daher halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass Kim Jong Un auch innenpolitisch, vor allem wirtschaftlich, mehr Druck spürt. Olympia ist eine willkommene Möglichkeit, sich etwas zu öffnen. Aber natürlich immer in der Erwartung, dass es Gegenleistungen gibt, etwa Wirtschaftshilfen.

Nutzt das auch Kim selbst?

Für Kim ist es eine Möglichkeit, sein Image aufzupolieren, sowohl gegenüber Südkorea, wo das Thema seit Wochen die Schlagzeilen dominiert, aber auch gegenüber der Weltgemeinschaft und selbst den USA. Aber natürlich ist es auch ein Zeichen im eigenen Land, zu sagen: Wir werden von der Weltgemeinschaft ernst genommen.

Man könnte auch spekulieren, dass Kim es sich mit einer fertigen Atombombe im Rücken leisten kann, selbstbewusster aufzutreten und auf Entspannung zu setzen.

Absolut. Das Atomprogramm soll auch zeigen: Wir können auf Augenhöhe mit Staaten wie den USA verhandeln. Nordkorea hat sich nach dem letzten Test einer Interkontinentalrakete Ende November selbst zur Atommacht erklärt. Ganz so einfach ist das natürlich nicht. Wovon man ausgehen kann: Nordkorea hat Atomsprengköpfe und Raketen. Die Frage ist aber, ob sie die Sprengköpfe auch schon in ein Ziel bringen können. Da gibt es wohl nach Expertenmeinung noch zwei technische Probleme: der Wiedereintritt der Raketen in die Erdatmosphäre und die Frage, ob die Raketen die Last von Atomsprengköpfen tragen können. Nordkorea stellt für die USA wohl erst dann eine ernsthafte Gefahr dar, wenn diese Probleme behoben sind. Vielleicht kamen dafür die Winterspiele aber einfach ein Jahr zu früh.

Den USA hat Kim in seiner Neujahrsansprache mit Krieg gedroht, parallel zum Gesprächsangebot an Südkorea. Könnte Pjöngjang einen Keil zwischen die Verbündeten in Seoul und Washington treiben?

Ich kann mir vorstellen, dass das das Ziel ist. Das könnte auch die Billigung Chinas finden, das natürlich auch kein Interesse daran hat, dass viele US-Soldaten in Südkorea stationiert sind. Die Regierung in Seoul muss aufpassen, dass sie sich nicht vor den Karren einer solchen Politik spannen lässt. Ich kann aber nicht erkennen, dass es eine Mehrheit dafür gäbe, die Partnerschaft mit den USA aufzugeben, um eine Entspannung mit Nordkorea voranzutreiben.

Ist eine Wiedervereinigung beider Länder, wie sie Nordkorea zuletzt vorgeschlagen hat, überhaupt realistisch?

Den Vorschlag gab es ja nicht zum ersten Mal, zudem wurden keine Bedingungen formuliert. Ich halte das eher für Symbolpolitik, das gibt es ja auch in Südkorea. Gleichwohl halte ich die Wiedervereinigung in einer bestimmten historischen Konstellation natürlich für denkbar. Die Geschichte hat gelehrt, dass sie für viele Überraschungen zu haben ist. Und ich traue das den Koreanern auch zu, denn sie sind sehr patriotisch. Richtig ist natürlich auch: Die materiellen, wirtschaftlichen Unterschiede sind enorm, dagegen war die deutsche Einheit ein Kinderspiel. Aber wenn es die Chance gibt, würde ich den Südkoreanern dazu raten. Im Moment allerdings kann man sich nicht vorstellen, dass es überhaupt zu dem Punkt kommt, geschweige denn, dass ein Prozess zur Wiedervereinigung startet.

Werden Sie als Vertreter einer deutschen Stiftung oft zum Thema Wiedervereinigung befragt?

Wir werden sehr oft dazu befragt. Es ist zwar nicht der einzige Kernpunkt unserer Arbeit hier, aber es geht immer wieder um Erfahrungsberichte zur deutschen Einheit. Da geht es um ganz konkrete Fragen zur Sozialpolitik, zur Vereinigung der Armeen oder zu Beamten und öffentlichem Dienst. Gefragt wird aber etwa auch, warum die PDS als Nachfolgepartei der SED nach 1990 nicht verboten wurde. Immer wieder müssen wir dann sagen: Nicht alles ist auf Korea übertragbar. Und es wurden auch Fehler gemacht, aus denen man lernen kann.

Sie arbeiten jetzt seit fünf Jahren in Südkorea. Wie fühlt man sich da angesichts des Korea-Konflikts?

Ich fühle mich immer noch wohl hier. Und es ist natürlich interessant, die Entwicklung hier beobachten zu können. Natürlich in der Hoffnung, dass sich die Krise irgendwann dauerhaft legt. Denn ungefährlich ist diese nicht. Der Konflikt könnte im Frühling, nach Ende der Paralympics, leider wieder ausbrechen.

Mit Lars-André Richter sprach Markus Lippold

Dr. Lars-André Richter ist Projektleiter für Korea und Japan der Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Seoul.