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Brasilien: Chance vertan?

Was von Rios Olympiade bleibt
Barra da Tijuca
Rios Olympia-Park Barra da Tijuca © CC BY 3.0 BR/ commons.wikimedia.org Miriam JeskeBrasil2016.gov.br

Haben die Infrastrukturprojekte und Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen der Olympischen und Paraolympischen Spiele von 2016 die Lebensqualität in Rio de Janeiro nachhaltig verbessert? Wie sieht es konkret mit der Nutzung der ehemaligen Sportstätten, dem neuen Freizeit- und Kulturangebot, der Mobilität, der Wasserverschmutzung und der Sicherheit aus? Das Urteil über das olympische Erbe fällt ernüchternd aus.

Nutzung der ehemaligen Sportstätten

Nach dem Ende der Olympischen und Paraolympischen Spiele traten die Stadt Rio de Janeiro und das Sportministerium der Zentralregierung mit dem Erhalt der Sportstätten ein kostenintensives Erbe an. Selbst ein Jahr später ist es noch nicht gelungen, die Arenen des Olympia-Parks Barra und den Radikal-Park nutz- bzw. gewinnbringend zu verwalten. Die Sportstätten stehen die meiste Zeit leer und verschlingen monatlich viel Geld. Das Interesse der privaten Investoren konnte bislang nicht geweckt werden. Brasilien befindet sich in seiner größten Wirtschaftskrise. Auch die Kassen der Stadt und des Bundesstaats Rio de Janeiro sind leer.

Ein trauriges Beispiel ist der Radikal-Park, der einerseits als Freizeitpark für die ärmere Bevölkerung sowie als Trainingsstätte für Kajak-Fahrer und BMX-Radsportler genutzt werden sollte. Der 500.000 Quadratmeter große Park ist seit Dezember 2016 geschlossen. Seine Wassersportanlage, die aus 30 Mio. Liter Wasser besteht, ist ungepflegt. Die Instandhaltungskosten betragen monatlich R$ 750.000 – dies entspricht ca. 203 000 Euro. Die neue Stadtregierung Rio de Janeiros, die im Januar 2017 ihr Amt angetreten hat, macht den ehemaligen Bürgermeister Eduardo Paes für die Missstände verantwortlich. Er habe den Dienstleistungsvertrag mit Ende seiner Amtszeit auslaufen lassen und keine Mittel für die Instandhaltung in den Haushalt 2017 eingestellt.

Erfreulicher sieht es bei den olympischen Installationen aus, die sich auf dem benachbarten Militärgelände Deodoro befinden. Reitparcours,  Schießstand, Rasen-Hockey-Platz und Fünf-Kampf-Sportzentrum werden vom Militär genutzt - auch wenn die versprochenen Renovierungsarbeiten nicht in vollem Umfang erfolgten. Ebenso wird der in der Nähe gelegene neue Golfplatz durchgehend bespielt.

Kopfzerbrechen macht vor allem der Olympia-Park, das Herzstück der Spiele. Sein Bau verschlang nahezu 1,9 Mrd. Euro. 12 Mio. Euro kommen jährlich für die Instandhaltung des Parks dazu. Bei der 40 Mio. Euro teuren Radrennbahn fallen insbesondere für die Klimatisierung des empfindlichen Holzbodens Wartungskosten von jährlich ca. 3 Mio. Euro an. Dem gegenüber steht ein nur sehr geringer Nutzen des über 1000 Quadratmeter großen Olympia-Parks. Für die Bevölkerung ist der Zugang nur am Wochenende erlaubt. Die Arenen konnten bislang nur an zwei Großveranstaltungen, Rock in Rio und eine Rennradgroßveranstaltung, vermietet werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Baumängelliste lang ist. Allein vier Stadien des Olympia-Parks, das Tenniszentrum und die Radrennbahn, weisen stolze 1.642 Beanstandungen auf. Sie reichen von Infiltrations- und Rostschäden, über beschädigte Bodenbeläge und Türen bis hin zu defekten Stromleitungen und ungestrichenen Wänden. Einen Großteil der Mängel hat das Bauunternehmen Odebrecht zu verantworten, das in den weltgrößten Korruptionsskandal „Lava Jato“ verwickelt ist. Zudem löste kürzlich ein herabstürzender, unbemannter Heißluft-Ballon einen Brand aus und zerstörte einen beachtlichen Teil des Dachs der Rennradarena.

Ein weiteres trauriges Beispiel ist das Schicksal der im vergangenen Jahr noch als nachhaltig so hoch gelobten Zukunftsarena, in der die Handballspiele ausgetragen wurden. Sie sollte abgebaut und in vier öffentliche Schulen transformiert werden. Noch ist davon nichts zu sehen. Die Stadtverwaltung, so hieß es, habe derzeit andere Prioritäten und zudem kein Geld für das Projekt. Dem ehemaligen Wassersportzentrum droht ein ähnliches Schicksal: Die Schwimmbecken wurden vom Militär für andere Zwecke demontiert und die nun leere Halle ist ungenutzt.

Mobilität und Tourismus

Ein unbestreitbarer Gewinn für die Stadt Rio de Janeiro und seine Bürger sind die vielen realisierten Verkehrsinfrastrukturprojekte für PKW, Busse und Schienenfahrzeuge. Insbesondere die 16 km lange U-Bahnlinie 4, die Omnibusschnellspuren und die moderne Straßenbahn haben für eine deutliche Verkehrserleichterung gesorgt. Viele Carioca sparen dadurch täglich sehr viel Zeit, auch wenn wichtige U-Bahnstationen und diverse Teilstrecken der Straßenbahnlinie noch im Bau sind. Der Baustopp der U-Bahn-Station wurde vom Landesrechnungshof aufgrund überhöhter Baukosten veranlasst. Unter den Bauherren befand sich erneut der Bauunternehmer Odebrecht. Bislang fehlt es noch an der integrativen Verkehrsplanung aller öffentlichen Verkehrsmittel und einer Koordination der Tarifstrukturen. Erst dann könnte das neue Verkehrsnetz seinen vollen Nutzen entfalten. Wie lange das noch dauern wird, ist ungewiss. Solange müssen sich die Cariocas noch mit einem immerhin beachtlichen Teilerfolg zufrieden geben.

Potentiale haben sich durch die Olympiade auch für den Tourismus-Sektor Rio de Janeiros ergeben: Das futuristische „Museum von Morgen“ hat sich zu einem neuen Besuchermagneten entwickelt, genauso wie die Hafengegend mit seinem Olympia-Boulevard und dem größten Aquarium Südamerikas „Aqua Rio“. Alle Sehenswürdigkeiten können mit der neuen Straßenbahn vom Stadtflughafen oder dem Stadtzentrum aus erreicht werden. Noch liegt die durchschnittliche Hotelauslastung mit 51% deutlich unter den Erwartungen, was sowohl der aktuellen Wirtschaftskrise, als auch der hohen Kriminalitätsrate geschuldet sein dürfte.

Abwasserentsorgung und Umweltverschmutzung

Eine traurige Bilanz weisen die sanitären Projekte auf. Die mit viel Hoffnung erwarteten Säuberungen der stark verschmutzten Gewässer Rios, lassen weiterhin zu wünschen übrig. Die Zusage, die Wasserqualität (z.B. von der Guanabara Bucht, die für die Sportwettkämpfe genutzt wurde) um 80% zu verbessern, wurde bei Weitem nicht eingehalten. Obwohl mit einem Kredit der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) in Höhe 300 Mio. Euro sieben große Klärwerke renoviert bzw. neu gebaut wurden, wird weiterhin nur ein sehr geringer Anteil der Abwässer geklärt. Laut den Angaben des Bundesstaatlichen Umweltinstituts (Inea) ist die Guanabara Bucht auf Grund der schlechten Wasserqualität weiterhin nicht zum Baden geeignet. Eine Auslastung der vorhandenen Klärwerke könnte signifikant zur Zielerreichung beitragen.

Nachdem nun die Olympiade vorbei ist und keine kritischen Blicke aus dem Ausland mehr Druck auf Brasilien ausüben, wird die Hoffnung auf eine künftige Qualitätsverbesserung der Gewässer um Rio de Janeiro verschwindend klein.

Sicherheit

Das Ziel, Rio de Janeiro durch die Olympiade sicherer zu machen, wurde bei Weitem verfehlt. Das hauptsächliche Sicherheitsprojekt der Olympiade sah vor, die Polizeieinheiten zur Befriedung (UPP – Unidades de Polícia Pacificadora) auf Dutzende Favelas auszuweiten. Zudem wurden für die Olympischen Spiele 8.500 militärische Streitkräfte der brasilianischen Armee sowie diverse polizeiliche Sonderkommandos angefordert, um die Sicherheit von Athleten, Zuschauern und Bürgern zu gewährleisten. Schon kurz nach ihrem Abzug nahm die Kriminalität im letzten Quartal 2016 wieder rasant zu. Heute ist die Sicherheitslage bedrohlicher denn je. Allein in der Stadt Rio de Janeiro kam es laut dem Institut für Öffentliche Sicherheit (ISP) zwischen April und Juni 2017 zu 20.039 Diebstählen (ca. 220 pro Tag). Die Zahl der Tötungsdelikte betrug im selben Zeitraum 931. Die Landesregierung Rio de Janeiro forderte daraufhin im August 2017 erneut 4000 Soldaten der Armee an, um die Polizeieinsätze in den Favelas mittelfristig zu unterstützen.

Insgesamt entsteht der Eindruck, als hätte Rio de Janeiro die große Chance, sich durch die Olympiade zu modernisieren und die Lebensqualität der Bürger zu verbessern, weitgehend vertan. An die Stelle der olympischen Euphorie ist das Gefühl von Enttäuschung und Angst vor steigender Gewalt getreten. Lediglich die Mobilität hat sich deutlich verbessert und die neugestaltete Hafenmeile lädt die Menschen zum Flanieren ein.

 Beate Forbriger ist Projektleiterin der Stiftung für die Freiheit in Brasilien.

Für Medienanfragen kontaktieren Sie unsere Brasilien-Expertin der Stiftung für die Freiheit:

Beate Forbriger
Beate Forbriger
Telefon: +55115505 5740