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Europa
Visionen für ein Zukunftsprojekt Europa 2030

Liberales Bodensee-Treffen zur Zukunft der europäischen Idee und den Herausforderungen für die politische Bildung
60 Jahre FNF

Liberale aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren zum Bodensee-Treffen gekommen, um über ihre Vision für Europa zu diskutieren

© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Am Bodensee kamen Liberale aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Waldhaus Jakob, der ehemaligen Bildungsstätte der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, zusammen, um über ein „Zukunftsprojekt Europa 2030“ zu diskutieren.

Da die EU ist in den letzten Jahren in Bedrängnis geraten ist und es neben dem Brexit weitere Tendenzen zur Renationalisierung gibt, etwa in den Visegràd-Staaten oder jüngst in Italien, wie die Bildung einer dezidiert EU-kritischen Regierung belegt, sind wir gemeinsam mit unseren Partnern neosLab aus Österreich und Operation Libero aus der Schweiz der Frage nachgegangen, wie diese Erosionserscheinungen bekämpft, das Vertrauen der Bürger gestärkt und die europäische Idee mit neuem Leben gefüllt werden kann.

Wie wichtig dabei die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist, betonte schon der Landtagsabgeordnete Jürgen Keck in seinem Grußwort. Es müssen regionale Lösungen gefunden werden, die allen helfen, so Keck. Angesichts der Tatsache, dass der Gedanke eines gemeinsamen Europas für viele bereits Geschichte sei, müsse vor allem auch die Jugend darin bestärkt werden, den Gedanken der Freiheit zu leben.

Für politische Bildung gibt es kein Lehrbuch.

Dr. Wolfgang Gerhardt

Auch Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, betonte, dass jede Generation etwas für die Freiheit und deren Erhaltung tun müsse. Dies sei auch das Anliegen unserer Stiftung, so Gerhardt, jedoch gebe es für politische Bildung kein Lehrbuch und diese müsse immer wieder neu gedacht und gestaltet werden. Zwar bestünden in Europa viele Chancen für den Einzelnen und es herrsche eine „Komfortzone sozialer Sicherheit“, in kritischen Situationen gewinne aber der Populismus an Gewicht, da oftmals Verantwortung abgeschoben und Schuldige gesucht werden. Für Liberale müsse es um einen wirksamen Umgang mit Ungewissheit gehen, so Gerhardt: „Wir wissen, dass die Welt nicht einfach ist, wir müssen uns darauf einstellen, mit schwierigen Situationen fertig zu werden.“ Vor den großen Herausforderungen unserer Zeit und dem Hintergrund von Populismus und Gewaltkonflikten brauchen auch große Länder Verbündete, „Freunde, denen man wirklich in einer Wertegemeinschaft verbunden ist“.

In zwei länderübergreifend besetzten Workshops wurden der Umgang mit dem Brexit sowie mit politischem Populismus diskutiert.

Der stellvertretende Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Karl-Heinz Paqué, betonte, dass die Ursache für das Brexit-Votum keine ökonomische Rationalität gewesen sei, da mehr als 50 % aller Importe des Landes aus der EU kommen und 45% aller Exporte in die EU gehen. Vielmehr liege der Grund tiefer, nämlich in der Kluft zwischen den Somewheres und den Anywheres, die der britische Journalisten David Goodhart in seinem Buch „The Road  to Somewhere“ als die beiden Gruppen der britischen Gesellschaft identifiziert hatte. Die Somewheres fühlen sich demnach eher an einem Ort verwurzelt, haben durchschnittlich eine geringere Bildung und stehen der Globalisierung und Digitalisierung eher skeptisch gegenüber. Die Anywheres hingegen finden sich gut mit diesen Veränderungen ab, haben keine starke lokale Verwurzelung und sind beruflich normalerweise besser qualifiziert. Dass Städte wie London sowie intellektuelle Zentren oder Zentren moderner Technologie mehrheitlich für „remain“ gestimmt haben, das Land und altindustrielle Regionen jedoch für den Brexit, verdeutliche diese Erklärung. Ähnliche Entwicklungen durch populistische Veränderungen in der Gesellschaft seien auch bei der Wahl Trumps und bei den Wahlergebnissen der AfD zu bemerken.

Der Brexit ist ein großer Rückschlag für Europa. Wir müssen den Brexit so gestalten, dass Großbritannien möglichst nahe an der EU bleibt.

Paqué
Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Heinz Paqué

Das Panel war sich einig, dass die Entscheidung Großbritanniens letztlich auch für Europa Auswirkungen und Veränderungen mit sich bringen werde. Bei den aktuellen Diskussionen um einen „Hard Brexit“ oder einen „Soft Brexit“ sei es daher wichtig, nach vernünftigen, pragmatischen und praktikablen Lösungen zu streben und die Situation nicht durch besondere Härte befeuern, so Paqué: „Wir brauchen Großbritannien dringend in einer europäischen Architektur“. Eine faktische Freizügigkeit und Zollunion – wenn auch letztlich unter einer anderen Bezeichnung – müsse angestrebt werden.

Im zweiten Workshop zum Umgang mit politischem Populismus diskutierten die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, zugleich Mitglied des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, der stellvertretende Klubobmann der NEOS im Nationalrat, Niki Scherak, und der Schweizer Nationalrat Walter Müller. Letzter betonte, dass es nichts bringe, wenn man versuche, den Populismus zu bekämpfen, vielmehr müsse man die besseren politischen Lösungen anbieten. Dem pflichtete auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu: In Deutschland sei die AfD nicht mehr wegzudiskutieren. Auch bei uns sei die Schere zwischen den Anywheres und den Somewheres zu beobachten, die sich vor allem darin zeige, dass viele das Gefühl haben, dass die Etablierten die Anliegen der Bürger nicht mehr wahrnehmen.

Noch nie war die Zivilgesellschaft so gefordert, so die ehemalige Justizministerin. Populistische Parteien gehen an die Substanz unserer Demokratie und es sei wichtig, ihnen mit den eigenen Vorstellungen einer offenen Gesellschaft entgegenzutreten und den Freiheitsgedanken umzusetzen. Walter Müller bekräftigte dies aus Schweizer Perspektive: Liberale Politik müsse in diesen Zeiten möglichst nahe am Bürger sein.

Rechtpopulisten gehen an das, was für uns Substanz und konstitutives Element von Demokratie ist. Zuschauen reicht nicht – noch nie war die Zivilgesellschaft so gefordert, sich auch einzubringen. Es ist nie etwas so fest, dass es nicht auch gefährdet werden kann.

Leutheusser-Schnarrenberger: „Die Figur des 'ausländischen Agenten' ist absurd“
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Wie aber kann es gelingen, ein positives Zukunftsbild der Europäischen Union zu zeichnen, das einem drohenden Nationalismus die Stirn bietet? Wichtig sei dabei, so Niki Scherak, die Anwendung eines Emotionskonzepts. Populisten arbeiten sehr stark mit Emotionen – so dass hier oftmals rein rationale Argumente nicht ausreichen, um den Kampf zu gewinnen. Leutheusser-Schnarrenberger ergänzte, dass die EU zudem zeigen müsse, dass sie in schwierigen Situationen auch handle und Entscheidungen treffe. Die Politik müsse mit konkreten Themen werben und gegenüber populistischen Tendenzen entgegenhalten.

Der Bundestagsabgeordnete Michael Theurer entwickelte nach den Workshops in einem Vortrag noch eine liberale Perspektive für Europa 2030. Die wichtigste Frage sei die nach Identität, so Theurer. Wir bleiben Deutsche, Schweizer,  Österreicher etc. – zugleich aber auch Europäer. Die EU zerfalle, weil wir es zulassen, dass neoautoritäre Kräfte auf sie einwirken. Wenn wir die Herausforderungen nicht anpacken, bestehe die Gefahr des Auseinanderbrechens. Theurer hielt ein flammendes Plädoyer für ein Bekenntnis zur EU, basierend auf einer Zielvorstellung, wohin diese sich entwickeln sollte. Die EU ist noch lange nicht auf der Zielgeraraden, so der Vorsitzende der Freien Demokraten Baden-Württemberg, vielmehr müsse sie an einigen Stellen reformiert werden. Dafür sei es wichtig, sich auf einige konkrete Projekte für die nächsten Jahre zu konzentrieren.

Das Liberale Bodensee-Treffen hat deutlich gemacht, dass angesichts der aktuellen Herausforderungen durch autokratische Bewegungen politische Bildung wichtiger denn je ist. Gerade bei der Gestaltung eines zukunftsfähigen Europas gibt es aber auch viele Chancen, bei denen das Einbringen der Bürgerinnen und Bürger existentiell ist.

Dass sich die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit dieser Aufgabe verschrieben hat und mit Bildungsarbeit ihren Teil zu der Befähigung der Gesellschaft beitragen will, wurde beim anschließenden Sommerfest anlässlich des 60. Jubiläums der Stiftung deutlich.

Bei seiner Ansprache würdigte auch der designierte Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, Karl-Heinz Paqué, die Bedeutung der parteinahen Stiftungen für unsere liberale Demokratie. Die politische Arbeit der Stiftungen sei ein Schatz, um den uns viele Staaten beneiden. Als die zentralen Zukunftsaufgaben der Stiftung beschrieb Paqué die Erarbeitung von liberalen Lösungsansätzen der aktuellen Herausforderungen sowie die Ertüchtigung der Bürgerinnen und Bürger zum politischen Engagement. Dies setze Wissen und Wertebewusstsein gleichermaßen voraus, was die Stiftung als Plattform zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft bieten wolle. Die Grundwerte, an denen man sich auch weiterhin orientieren wolle, bleiben dabei unverrückbar der Einsatz für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und die offene Gesellschaft.

 

Weitere Informationen zum Stiftungsjubiläum: www.freiheit.org/60jahre