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Nachwahlbericht
Zwischen „Wir mit ihr“ und „Sie kennen mich“

Analyse der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg
Wahlbriefe zur Landtagswahl in Baden-Württemberg
Wahlbriefe zur Landtagswahl in Baden-Württemberg © picture alliance/dpa | Marijan Murat

Selten wohl ist das Wort „Persönlichkeitswahl“ so berechtigt gebraucht worden, wie bezüglich der gestrigen Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Die überragenden Imagewerte von Ministerpräsidentin Dreyer in Rheinland-Pfalz und Ministerpräsident Kretschmann in Baden-Württemberg waren schon in den Umfragen vor der Wahl deutlich geworden: 71% der Befragten waren mit der Arbeit von Kretschmann zufrieden – der dritthöchste, in den letzten fünf Jahren gemessene Wert für eine/n Regierungschef/in vor einer Landtagswahl. 77% hielten ihn für einen guten Ministerpräsidenten. 69% sagten, sie würden in einer Direktwahl für Kretschmann stimmen. Er galt mehr als zwei Dritteln im Direktvergleich mit der CDU-Kandidatin als sympathischer, führungsstärker, kompetenter und glaubwürdiger. Ähnliches gilt für Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz: Mit ihrer Arbeit waren 66% sehr zufrieden oder zufrieden. 57% würden sie bei einer Direktwahl bevorzugen. Gegenüber ihrem Gegenkandidaten Baldauf galt sie einer deutlichen Mehrheit als sympathischer, führungsstärker, kompetenter und glaubwürdiger.

Das Spitzenpersonal zieht die Parteien mit

Warum verdient das Erwähnung? In beiden Ländern profitierten die jeweiligen Parteien massiv von der Popularität des Spitzenpersonals: In Baden-Württemberg entschieden sich, laut Infratest dimap, 40% der Wählerinnen und Wähler aufgrund des Kandidaten, in Rheinland-Pfalz sogar 51% aufgrund der Kandidatin - beides im Vergleich zu anderen Landtagswahlen ausgesprochen hohe Werte. Der Wahlkampf beider Parteien war genau darauf zugeschnitten. In Rheinland-Pfalz hieß der SPD-Slogan „Wir mit ihr“, in Baden-Württemberg wiederholte Kretschmann den Merkelschen Wahlkampfsatz: „Sie kennen mich!“. Das reichte beiden.

So wurde kompensiert, dass die jeweiligen Parteien in der Meinung der Befragten (laut Infratest dimap) gar nicht so gut dastanden, wie es die Wahlergebnisse darstellen: Die SPD verlor in Rheinland-Pfalz massiv bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern und massiv bei den Selbständigen. Ihr Programm war nur für 31% entscheidend. Die Beimessung an Themenkompetenz in wichtigen sozialdemokratischen Feldern, wie sozialer Gerechtigkeit, Arbeitsplätze, Schule/Bildung oder Wirtschaft ging massiv zurück. Fast zwei Drittel der Befragten meinten, die SPD stehe nicht mehr eindeutig auf der Seite der Arbeitnehmer und man wisse nicht, wofür die SPD inhaltlich stehe.

Auch die Grünen in Baden-Württemberg erreichten bei Weitem nicht die Zustimmungswerte wie ihr Spitzenkandidat. Zufrieden mit der Arbeit der Grünen im Ländle äußerten sich insgesamt 52% der Befragten - wesentlich weniger als 2016. Auffällig ist dabei insbesondere die mehrheitliche Unzufriedenheit der Anhänger des Koalitionspartners CDU. In der Kompetenzbeimessung strahlte immer noch der hohe Wert von 60% in der Umwelt-und Klimapolitik – aber auch das waren 19 Prozentpunkte weniger als 2016. In anderen wichtigen Feldern – soziale Gerechtigkeit, Schule/Bildung, Wirtschaft, Arbeitsplätze – sind die Werte gegenüber der vorherigen Wahl abgesackt. Der von drei Vierteln der Befragten geteilten Aussage: „Bei Winfried Kretschmann ist Baden-Württemberg in guten Händen“ kommt somit durchaus eine doppelte Bedeutung zu. Denn 36% der befragten Grünen-Wähler sagten auch: „Ohne Kretschmann käme ich gar nicht auf die Idee, grün zu wählen.

Klare Gewinner der Wahlen

Unbestreitbar bleiben die überzeugenden Wahlsiege von SPD im einen, und Grünen im anderen Land. Über deren Hintergründe, Ursachen und Auswirkungen wird wohl noch lange nachzudenken und zu forschen sein. Während in Rheinland-Pfalz im politischen Gesamtgefüge wohl alles bleibt, wie es war, sind die Veränderungssignale in Baden-Württemberg unübersehbar. Speziell die Ergebnisse der Grünen in Baden-Württemberg sind gesellschaftspolitisch bedeutsam: Die Älteren haben deutlich verstärkt grün gewählt, auch bei den jüngeren Frauen gab es einen ordentlichen Schub. Fast drei Viertel haben die Grünen aus Überzeugung gewählt, nicht als Alternative zur bislang favorisierten Partei. Laut Infratest dimap sind 70.000 ehemalige CDU-Wählerinnen und-Wähler zu den Grünen gewechselt, dazu 35.000 ehemalige SPD-Wählerinnen und Wähler. Unter den Parteien haben die Grünen nur an die FDP (-20.000) Stimmen verloren.

Ein großer Verlierer

Anders liegt der Fall bei der CDU, die mit den aktuellen Ergebnissen in zwei ihrer historischen – und das heißt hier wohl: ehemaligen – Hochburgen den Anschluss zu verlieren droht. Und da sind – man denke an die sehr hohe Zahl an Briefwählerinnen und Briefwählern, die schon vor Tagen oder Wochen abgestimmt haben – wohl noch gar nicht diejenigen maßgeblich, die sich vor dem Hintergrund aktueller Affären von der CDU abwenden. Das Gefühl der stolzen Christdemokraten angesichts dieser Lage dürfte wohl dem des Hamburger SV in der 2. Bundesliga ähneln. Aber der Abstieg hat auch hier seine Gründe.

In Rheinland-Pfalz ist die Partei Helmut Kohls aller Wahrscheinlichkeit nach für weitere fünf Jahre im Dauerabo Opposition gefangen, und das möglicherweise (wenn die „Ampel“ fortgesetzt wird) mit der AfD. Die Wählerschaft der CDU in Rheinland-Pfalz ist deutlich überaltert, bei Selbständigen und Angestellten gab es hohe Rückgänge. In den Parteikompetenzen gab es bei den Themen Wirtschaft, Arbeitsplätze, Schule/ Bildung deutliche Verluste an Zutrauen. Nur 40% sahen bei der CDU den richtigen Ministerpräsidentenkandidaten im Amt. Dass die CDU im Bund mit Armin Laschet den richtigen Vorsitzenden gewählt habe, sagten gar nur 34%.

In Baden-Württemberg war nur ein Drittel der Befragten mit der Arbeit der CDU in der Regierung zufrieden. Bei den Kompetenzbeimessungen gab es nur beim Thema Innere Sicherheit einen Zuwachs, aber einen Rückgang vor allem im Bereich Schule/Bildung. Es wurde der CDU in wesentlich geringerem Umfang als 2016 beigemessen, „am meisten von der Wirtschaft“ zu verstehen. In der Meinung der allermeisten hatte die CDU nicht die richtige Spitzenkandidatin, und sie hat auch nicht den richtigen Bundesvorsitzenden. In Baden-Württemberg ist sie nun von der Bereitschaft Kretschmanns abhängig, Grün-Schwarz fortzusetzen und nicht Grün-Rot-Gelb zu probieren.

Andere Länder, andere Probleme

Der Wahlsieg der SPD in Rheinland-Pfalz ist nur die eine Seite. Nimmt man vor allem die Zahlen aus Baden-Württemberg, wird ersichtlich: Auch die SPD hat große Probleme, die Menschen von sich zu überzeugen. 76% aller Befragten, und auch 46% der SPD-Anhängerinnen und –Anhänger sagten dort, man wisse derzeit nicht, wofür die SPD inhaltlich stehe. Zwei Drittel aller Befragten, und 48% der eigenen Unterstützer, sehen die SPD heute nicht mehr eindeutig auf der Seite der Arbeitnehmer. 54% sagten, die SPD kümmere sich in der Bundesregierung mehr um den Wahlkampf als um das Regieren. Und: die Sozialdemokraten scheinen ihren Key Point zu verlieren: In Baden-Württemberg ist die SPD nur noch für ein knappes Drittel die Partei, die sich am stärksten um den sozialen Ausgleich bemüht – und auch in Rheinland-Pfalz sagen das nur 43%.

Gute Werte für die Liberalen

Die FDP performte in den beiden Ländern durchaus unterschiedlich. In Rheinland-Pfalz verlor sie leicht und fiel hinter die Grünen zurück; in Baden-Württemberg gewann sie gut hinzu, ließ die AfD hinter sich und kam nahe an die SPD heran. Die Gründe dafür dürften vielschichtig sein.

In Rheinland-Pfalz wird die Arbeit in der Ampel-Koalition scheinbar nicht richtig gewürdigt – aber die Kompetenzbeimessung ist recht gut, die Werte sind deutlich gestiegen. Bei den Themen Arbeitsplätze, Wirtschaft und vor allem Digitalisierung lagen die Liberalen vor den Grünen, beim Thema Schule/Bildung gleichauf. Eine Mehrheit von 52% fände es gut, wenn die FDP in Rheinland-Pfalz weiterhin an der Regierung beteiligt wäre, und auch die Arbeit der Liberalen für Freiraum und eigene Entscheidungen und für Marktwirtschaft wurde mehrheitlich gewürdigt.

In Baden-Württemberg konnten in großer Zahl ehemalige CDU- oder AfD-Wählerinnen und -Wähler für die FDP gewonnen werden, aber auch die Zugewinne von SPD und Grünen sind beträchtlich. Insbesondere bei den Jüngeren stieg die Zahl der FDP-Wählerinnen und –Wähler deutlich. Profitieren konnte die FDP auch hier von deutlich gestiegenen Kompetenzbeimessungen in allen wichtigen Politikfeldern, und insbesondere beim Thema Digitalisierung, wo die FDP nur knapp hinter der CDU und vor allen anderen Parteien bewertet wurde.

Die Stimmen der Anderen

Die AfD verlor in beiden Ländern kräftig – möglicherweise hat sie ihren Zenit als Protestpartei bereits überschritten. Insbesondere das Vorbeiziehen der FDP in Baden-Württemberg dürfte am Selbstverständnis der AfD kratzen. Und die Beimessung an Kompetenz in den wichtigen Politikfeldern entspricht in beiden Ländern nur bei den Themen Innere Sicherheit und Asyl- und Flüchtlingspolitik ungefähr dem Wahlergebnis. Noch immer wird die AfD vor allem aus Enttäuschung über die anderen Parteien gewählt – auch wenn die Zahl derer steigt, die aus Überzeugung für die AfD stimmen.

Die Linke ist – das hatte man vor der Wahl schon so erwartet – in beiden Ländern weit von einem Einzug ins Parlament entfernt. Bei ihr wird – ähnlich wie bei der AfD – sich in den weiteren Wahlen des Jahres zeigen, welche Perspektive es für die Partei gibt.

Überraschend kam sicherlich der Parlamentseinzug der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz. Sie gewannen Stimmen vor allem von CDU und SPD hinzu. Die FW waren vor allem für die mittleren Altersgruppen attraktiv. Vorwiegendes Motiv zur Stimmabgabe war Enttäuschung über die anderen Parteien.

Und nun?

Der Westen des Landes ist mit all seinen parteipolitischen Spezifika für dieses Wahljahr abgehandelt. Natürlich wird das was folgt, nämlich die jeweilige Koalitionsbildung, von großer bundespolitischer Bedeutung sein. Bei den folgenden Wahlen „im Osten“ und im Bund ist eine stark personenkonzentrierte Wahl deutlich weniger wahrscheinlich; einzig in Thüringen scheint es annähernd vergleichbare Voraussetzungen zu geben. Möglicherweise wahlbestimmende Faktoren gibt es reichlich – in Politik und Gesellschaft.