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China-Strategie
Die USA und wir Europäer sollten eine globale "Demokratische Allianz" gründen

Systemwettbewerb
© picture alliance / Zoonar | deAr

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Johannes Vogel, MdB, plädiert im „FNF China Bulletin“ für eine China-Strategie, die eine Kooperation von marktwirtschaftlichen Demokratien jenseits des transatlantischen Bündnisses vorsieht. Diese „Demokratische Allianz“ müsse ihre Interessen bündeln - als Gegengewicht zum zunehmend aggressiven Kurs Chinas.

China ist ein faszinierendes Land mit unschätzbarem kulturellen Reichtum und einer Geschichte, die größten Respekt verdient. Aber China verfügt auch über ökonomische und militärische Macht, die höchste Achtsamkeit verlangt. Denn das China der Gegenwart wird seit 2013 mit Xi Jinping an der Spitze der Kommunistischen Partei von einem Autokraten geführt, der mit seinem nach innen wie nach außen zunehmend aggressiven Kurs die Welt in einen neuen Systemwettbewerb geführt hat. Altkanzlerin Angela Merkel (CDU), so verdienstvoll ihre Arbeit insgesamt auch war, hat sich nie fundamental auseinandergesetzt mit den enormen geopolitischen Veränderungen nach diesem Führungswechsel bei der KP. Und so kann es nicht verwundern, dass Xi Jinping, der in Hongkong und Taiwan der Freiheit die Luft abschnürt, Angela Merkel fast schon wehmütig zum Abschied den zweifelhaften Ehrentitel „alte Freundin“ Chinas verlieh.

Wie lässt sich China ausbalancieren?

Nicht nur Deutschland, sondern dem „globalen Westen“ der marktwirtschaftlichen Demokratien insgesamt fehlt es noch an einer einheitlichen Strategie im Umgang mit der geopolitischen wie ökonomischen Expansionspolitik der chinesischen Führung. Wir haben gerade erst angefangen, diesen neuen Systemwettbewerb strategisch zu durchdenken. Und es ist dabei noch nicht einmal abschließend geklärt, wer sich eigentlich zu diesem „Wir“ zählen lässt.

Eine einheitliche europäische, und darüber hinaus vor allem auch eine transatlantische China-Strategie ist daher der zwingend notwendige erste Schritt. Das ist die Voraussetzung dafür, in dieser Auseinandersetzung bestehen zu können. Die Administration von US-Präsident Joe Biden bietet mit ihrem klaren Kurs die Chance dazu. Deshalb ist es wichtig und ein klarer Fortschritt, dass exakt diese beiden Aspekte im Koalitionsvertrag hervorgehoben werden: Europäischer Gleichklang und enge transatlantische Abstimmung sollen, so haben es alle drei Partner festgelegt, die China-Politik dieser Ampel-Regierung prägen.

Wir machen uns nichts vor: Die Herausforderungen im Umgang mit China in den drei Dimensionen Partnerschaft, ökonomischer Wettbewerb und Systemrivalität sind enorm und werden im Koalitionsvertrag endlich klar benannt. Das ist die wesentliche Voraussetzung dafür, sie zu bewältigen. Bei zentralen globalen Fragen ist Kooperation zwingend notwendig. Das führt allein schon das Beispiel Dekarbonisierung vor Augen: Ohne die Zusammenarbeit mit China ist der Kampf gegen den Klimawandel nicht zu gewinnen. Die - übrigens wechselseitigen - ökonomischen Abhängigkeiten sind allgegenwärtig. Zugleich zwingt die Systemrivalität zu unmissverständlichen Positionen. Im Koalitionsvertrag beschreiben wir da einen klaren Kurs – auch mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen, Übergriffe und Einschüchterungsversuche etwa in Hongkong und Taiwan. Die kritischen, ja warnenden Worte, die Peking mit Blick auf die Ampelvereinbarungen vernehmen ließ, irritieren uns nicht. Sie sind eine Bestätigung – gerade für uns freiheitsliebende Liberale.

Kalter-Krieg-Mentalität ist nicht hilfreich

Diesen Systemwettbewerb neuer Art dürfen wir allerdings nicht als Wiederholung des Kalten Krieges begreifen. Wir brauchen keine ökonomische Abschottung, sondern faire Spielregeln auf Augenhöhe. Deshalb darf die Antwort auch nicht De-Globalisierung, also die Rückabwicklung von Investitions- und Handelsabkommen, sein. Unsere liberale Überzeugung ist: Herausforderungen, die sich aus etwaigen Abhängigkeiten vom chinesischen Markt ergeben, lassen sich nur ausbalancieren, wenn gerade jetzt Freihandels- und Investitionsabkommen mit anderen Weltregionen entschlossen ausgeweitet werden.

Diese Dimension, Ausbau der Kooperation mit anderen marktwirtschaftlichen Demokratien jenseits des transatlantischen Bündnisses, muss nach meiner Überzeugung ein zentrales Ziel einer neuen internationalen China-Strategie sein – und zwar weit über ökonomische Fragen hinaus. Dies ist im Koalitionsvertrag zumindest angelegt. Denn insbesondere die „like-minded countries“ im pazifischen Raum - Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, perspektivisch etwa auch Malaysia – können ein mächtiger Hebel sein, um in der Auseinandersetzung mit China gemeinsame strategische Interessen erst überhaupt zu definieren und dann durchzusetzen. Ein zentraler Satz im Koalitionsvertrag lautet deshalb: „Wir streben eine enge transatlantische Abstimmung in der China-Politik an und suchen die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren.“

Der Koalitionsvertrag ließe sich an dieser Stelle weiterentwickeln, denn die westliche Politik sollte sich eingestehen, dass die tradierten internationalen Organisationen nicht mehr ausreichen. Es gibt eine Leerstelle, die es Xi Jinping erleichtert, strategische Interessen durchzusetzen. Es fehlt eine Organisation, in der alle marktwirtschaftlichen Demokratien der Welt unter sich als Gegengewicht ihre eigenen Interessen bündeln können. Denn auch Organisation schafft Strategie. Gemeinsam mit der neuen amerikanischen Regierung sollten wir Europäer daher, davon bin ich zutiefst überzeugt, auf die freien Nationen in aller Welt zugehen und eine globale „Demokratische Allianz“ gründen - mit der transatlantischen Partnerschaft als Gravitationsfeld.

* Johannes Vogel ist Mitglied des 20. Deutschen Bundestages. Seit Mai 2021 ist er stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP und seit Dezember 2021 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.

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