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#FemaleForwardInternational
Frauen in der Zivilgesellschaft Ost- und Südosteuropas

Die Rolle der Frauen im NGO-Sektor
A civil society
© Friedrich Naumann Foundation for Freedom

Früher, als Frauen nicht die gleichen Rechte wie Männer hatten, keine erfolgreichen Geschäftsfrauen oder prominente Journalistinnen oder weltweit in politischen Führungspositionen tätig waren, gab ihnen einzig die Frauenbewegung die Möglichkeit ihre Stärken, Ambitionen und Ansichten zum Ausdruck zu bringen. Seit Jahrzehnten ist die Zivilgesellschaft ein förderliches Umfeld, um Frauenprobleme anzusprechen und das Bild der Frau als Mitglied der Gesellschaft mit eigener Meinung zu gestalten.

Da jedes Land in Ost- und Südosteuropa seine eigenen komplexen Erfahrungen mit Feminismus hat, unterscheiden sich die einzelnen Nichtregierungsorganisationen und Frauenbewegungen je nach ihrer Spezifik. Da sind zum Beispiel die postkommunistischen Länder wie Rumänien und Bulgarien, die als jüngste EU-Mitgliedstaaten versuchen demokratisch und fortschrittlich zu erscheinen. Im krassen Gegensatz steht die Türkei, die sich jedoch bemüht mehr Gleichberechtigung und Freiheiten herzustellen.

Je stärker sich die Zivilgesellschaft behaupten kann und je mehr soziale- und frauenrechtspolitische Zusammenschlüsse entstehen, desto weniger Rückschläge im Bereich der Frauenrechte und der Unterdrückung der Geschlechter müssen hingenommen werden.

In den letzten Jahren konnten wir einen gesellschaftlichen Zusammenhalt mit steigender Tendenz beobachten. Und ich hoffe die Gesellschaft kann eine bedeutende Rolle als Hoffnungsträger spielen, wenn es darum geht der Anti-Gender-Bewegungen die Stirn zu bieten. Insbesondere wenn man Vorurteile gegen die Ratifizierung der Konvention beseitigen muss. All das schweißt die bürgerliche Gesellschaft noch enger zusammen und fördert eine bessere Zusammenarbeit.

Denitsa Lyubenova, bulgarische Rechtsanwältin, Leiterin des Rechtsprogramms der bulgarischen NGO Deystvie (bedeutet „Aktion“)

Die Probleme des Feminismus

Eine Nichtregierungsorganisation muss nicht unbedingt als feministisch eingestuft werden, um sich für Frauenrechte und Chancengleichheit einzusetzen. Einem 2016 vom Ausschuss für Frauenrechte und Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlaments in Auftrag gegebenen Bericht “Mapping of NGOs working for women’s rights in selected Member States” („Kartierung von NGOs, die sich in ausgewählten Mitgliedstaaten für Frauenrechte und Chancengleichheit einsetzen“) zufolge, gibt es auch Nichtregierungsorganisationen, wie der bulgarische Frauenrat für Technologien oder der Frauenrat für Wirtschaft in Bulgarien, die zwar nicht explizit feministisch ausgerichtet sind, trotzdem aber solche Themen aufgreifen. Laut Svetla Kostadinova, Geschäftsführerin der bulgarischen Denkfabrik Institut für Marktwirtschaft, sind Geschäftsfrauen in letzter Zeit immer mehr präsent in der Öffentlichkeit. In der Tat entstehen neue Berufsverbände für Frauen, die in gewisser Weise zeigen, dass die Zivilgesellschaft besonders förderlich für die berufliche Laufbahn und ein Instrument zur Verdrängung der Männerwelt aus den seit Jahrhunderten männerdominierten Bereichen sein kann.

Ein weiteres wichtiges Thema der Zivilgesellschaft befasst sich mit geschlechtsspezifischer Gewalt - ein Problem, mit dem die Region immer noch zu kämpfen hat. In manchen Ländern fehlen starke Institutionen oder Gesetze, die Frauen dabei unterstützen ihr Recht auf Gleichberechtigung in diesen schwierigen Zeiten durchzusetzten. Bei Bedarf greifen NGOs gezielt ein und versuchen die Öffentlichkeit für diese Anliegen zu gewinnen.

In dieser Region spielen zivilgesellschaftliche Organisationen eine wichtige Rolle, gerade weil es viel zu tun gibt. Wie zum Beispiel die jüngsten Bemühungen zur Ratifizierung der Istanbul-Konvention in Bulgarien und der Türkei, die ziemlich kontrovers verliefen. Der Nichtregierungssektor sah sich in der Verantwortung, den Prozess der Implementierung der Istanbul-Konvention politisch mit zu befördern und kämpfte gegen den geführten Propaganda-Feldzug seitens Politikern und anderen Organisationen gegen die Konvention. Denitsa Lyubenova ist eine bulgarische Anwältin, die das Rechtsprogramm der bulgarischen NGO Deystvie („Aktion“) leitet. „In den letzten Jahren konnten wir einen gesellschaftlichen Zusammenhalt mit steigender Tendenz beobachten. Und ich hoffe die Gesellschaft kann eine bedeutende Rolle als Hoffnungsträger spielen, wenn es darum geht der Anti-Gender-Bewegungen die Stirn zu bieten. Insbesondere wenn man Vorurteile gegen die Ratifizierung der Konvention beseitigen muss. All das schweißt die bürgerliche Gesellschaft noch enger zusammen und fördert eine bessere Zusammenarbeit“, sagt sie. In Rumänien war die Situation ähnlich, obwohl das Land die Konvention letztendlich ratifizierte.

Burcu Karakaş, eine investigative, unabhängige Journalistin aus Istanbul und aktuell Türkei-Reporterin für die Deutsche Welle, erzählt, dass in der Türkei Abtreibungen zwar legal seien, trotzdem würden Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wollen, vor etlichen Hürden stehen. Die Rhetorik der Führungsriege des Landes gegen Abtreibungen gibt zunehmend den Ton an, deshalb erlauben die meisten Krankenhäuser keine Schwangerschaftsabbrüche mehr mit der Begründung, sie dürfen es nicht tun. Um diesen negativen Trends entgegenzuwirken, brauchte es eine starke Frauenbewegung.

„Nichtregierungsorganisationen gerieten in der Türkei nach dem Putschversuch [2016] zunehmend unter Druck… Verhaftungen, Inhaftierungen oder hartes Vorgehen gegen Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen ihrer Aussagen oder sogar Berichte sind längst keine Einzelfälle mehr“, so Barış Altıntaş, Gründer der türkischen „Media and Law Studies Association“. Um die Freiheiten der Frauen in turbulenten Zeiten zu schützen, braucht es noch mehr Unterstützung von der Gesellschaft.

Nichtregierungsorganisationen gerieten in der Türkei nach dem Putschversuch [2016] zunehmend unter Druck… Verhaftungen, Inhaftierungen oder hartes Vorgehen gegen Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen ihrer Aussagen oder sogar Berichte sind längst keine Einzelfälle mehr.

Barış Altıntaş, Gründerin der türkischen „Media and Law Studies Association

Zivilgesellschaft: Weibliche Dominanz

Einige Anekdoten in Ländern wie Bulgarien z.B. zeigen, dass der gemeinnützige (Nonprofit-)Sektor besonders frauendominiert ist. „Die Nonprofit-Welt ist eine typische Domäne der Frauen, vielleicht weil sie mehr führsorglicher sind. Frauen werden von Natur aus öfters mit Problemen konfrontiert und sie glauben, sie müssen diese Probleme lösen“, sagt Svetla Kostadinova. Es könnte aber auch einen anderen Grund dafür geben, warum der Anteil weiblicher Beschäftigten im Nonprofit-Sektor besonders hoch ist: die Entgeltunterschiede. Zivilgesellschaftliche Jobs haben, was den Verdienst angeht, keinen besonders guten Ruf, so dass sie von Männern, die in der Familie als „Ernährer“ gelten, gemieden werden.

Barış Altıntaş ist da anderer Meinung. „Es gibt keine Studien zu diesem Thema, zudem würde ich es weder als männer- noch frauendominierte Bereich bezeichnen. Natürlich gibt es viele Frauenorganisationen, auch die türkische Frauenbewegung ist seit langer Zeit eine mächtige Organisation“, behauptet sie. Und fügt hinzu, dass obwohl Frauen am zivilgesellschaftlichen Leben teilhaben, es immer noch Bereiche gibt - wie Medien oder Politik – wo Frauen in der Türkei eher eine Besonderheit sind und ausgegrenzt werden. Deshalb sind NGOs ihre einzige Chance zur Einflussnahme.

Sie schaffen es auch in Führungspositionen. Svetla Kostadinova leitet eine wirtschaftsorientierte NGO und hat nach eigenen Worten problemlos einen Mann im Chefsessel abgelöst. Auch Barış ist Mitbegründerin einer Organisation und erwähnt, dass viele der führenden Menschenrechtsorganisationen in der Türkei von Frauen geleitet werden.

Die Bemühungen der Zivilgesellschaft sind von zentraler Bedeutung für den Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und Abtreibungsrechten in verschiedenen Ländern.

Feminismus - Vergangenheit und Zukunft

Durch ihre Arbeit im zivilgesellschaftlichen Sektor verändern Frauen die Wahrnehmung der Menschen und sogar das Leben anderer Frauen. Länder mit totalitärer Vergangenheit haben ein fragileres Verständnis von Demokratie und Gleichstellung der Geschlechter. Daher müssen ihnen ständig diese Werte vor Augen geführt werden.

Postkommunistische Länder tragen beispielsweise die Last jahrzehntelanger nichtliberaler Wahrnehmungen. Tatsächlich haben feministische Historikerinnen und Philosophiegruppen darüber diskutiert, ob nicht der Kommunismus für Frauen vorteilhaft war. Prof. Mihaela Miroiu, eine prominente rumänische Philosophin, Feministin und Akademikerin, erklärt zum Beispiel, die Gleichberechtigung der Frauen in der kommunistischen Gesellschaft vor 1989 sei für Frauen nicht besonders hilfreich gewesen. „Meiner Meinung nach können wir beim Kommunismus nicht von Feminismus reden. Der Feminismus ist ein Weg zur weiblichen Autonomie, und beim Kommunismus kann man von niemandes Autonomie sprechen. Es war unmöglich, einen anderen, abtrünnigen Standpunkt zu vertreten“, meint sie. Auch wies sie darauf hin, dass die ersten unabhängigen Frauenorganisationen tatsächlich in Russland entstanden sind und damit die Anfänge der weiblichen Zivilgesellschaft in Osteuropa dort zu suchen sind. Allerdings war es Lenin, der erste kommunistische Anführer, der diese feministischen Tendenzen ablehnte und Organisationen verbot, erklärt Prof. Miroiu. „Im Kommunismus wurde Feminismus als bürgerlich-reaktionäre Ideologie verstanden. Ein solches Regime hat mit Feminismus nichts zu tun“, sagt die Philosophin.

Wie Studien des Pew Research Centers aus dem Jahr 2019 zeigen, ist Osteuropa im Vergleich zum Westen eher rückständig, insbesondere wenn soziale Themen in den Vordergrund rücken, wie z.B. Homosexualität und die Rolle der Frauen in der Gesellschaft.

Durch ihre Arbeit im zivilgesellschaftlichen Sektor verändern Frauen die Wahrnehmung der Menschen und sogar das Leben anderer Frauen. Länder mit totalitärer Vergangenheit haben ein fragileres Verständnis von Demokratie und Gleichstellung der Geschlechter. Daher müssen ihnen ständig diese Werte vor Augen geführt werden.

Zum Glück gibt es noch Helden, die hart daran arbeiten, diese Situation zu ändern. Als Anwältin versucht Denitsa Lyubenova die Familienpolitik zu beeinflussen und Frauen in gleichgeschlechtlichen oder heterosexuellen Lebensgemeinschaften zu helfen ihre Rechte geltend zu machen. Sogar die Europäische Union betreibt eine gewisse Politik der Doppelmoral. Die Gemeinde in Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, verlangten von einer Frau in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung nachzuweisen, dass sie die leibliche Mutter ihres Kindes ist, um die Staatsbürgerschaft anzuerkennen und es anzumelden. Nach deren Weigerung das Kind anzumelden, legten Denitsa und ihre Mandanten Berufung ein und das bulgarische Gericht beschloss, den Fall an den Gerichtshof der Europäischen Union zu verweisen. Die Anhörung fand im Februar 2021 statt. Die Entscheidung des Gerichts könnte Frauen in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften das Recht einräumen, Mütter zu sein und ihren Kindern die Staatsbürgerschaft zu verleihen.

Auch Prof. Mihaela Miroiu war eine derjenigen, die eine ganze Generation von Feministinnen in Rumänien unterrichtete und inspirierte. Ihr Einfluss auf den Feminismus war so groß, dass gerade ihre begeisterten „Studentinnen“ den Kampf aufnahmen und aktiv an diesen neuen Diskussionen über Geschlechterfragen teilnehmen. Feministinnen in der Zivilgesellschaft kämpfen nicht nur in der Gegenwart, sondern legen auch die Weichen für eine bessere Zukunft.

Meiner Meinung nach können wir beim Kommunismus nicht von Feminismus reden. Der Feminismus ist ein Weg zur weiblichen Autonomie und beim Kommunismus kann man von niemandes Autonomie sprechen. Es war unmöglich, einen anderen, abtrünnigen Standpunkt zu vertreten.

Prof. Mihaela Miroiu, prominente rumänische Philosophin, Feministin und Akademikerin

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Diese Analyse ist Teil der Publikation #FemaleForwardInternational. 

 

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