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Medienfreiheit
Der Medienpluralismus in Osteuropa steht unter Druck

Demonstranten protestieren in Krakau mit der polnischen und der EU-Flagge gegen die geplante Mediensteuer
Demonstranten protestieren in Krakau mit der polnischen und der EU-Flagge gegen die geplante Mediensteuer. © picture alliance / NurPhoto | Beata Zawrzel

Einige private polnische Radiosender schalteten letzte Woche stumm. Die Titelseiten vieler polnischer Zeitungen und Nachrichtenportale sowie die Bildschirme privater Fernsehsender blieben schwarz. In einer gemeinsamen Aktion unter dem Schlagwort „Medien ohne Wahl“ protestierten sie gegen das Vorhaben der nationalpopulistischen PiS-Regierung, eine Steuer auf die Werbeeinnahmen von Medienunternehmen einzuführen sowie Kinos und Anbieter von Großflächen für Außenwerbung zur Kasse zu bitten. Die Regierung bezeichnet die Steuer als eine „Solidaritätsabgabe“, die zur Finanzierung der Ausgaben für das Gesundheitswesen und dem Kultursektor beitragen solle, welche aufgrund der Corona-Pandemie gestiegen seien.

Der Vorschlag hat die Besorgnis über das Schicksal des Medienpluralismus in Polen verstärkt. In einem offenen Brief an die Regierung stellten mehr als 45 unabhängige Fernseh- und Radiosender, Internetportale und Printmedien fest, dass die Einführung der Steuer zur Schwächung oder sogar Auflösung einiger unabhängiger Medien führen würde, die ihre Einnahmen vor allem durch Anzeigen generieren. Sie kritisierten ebenso die Instrumentalisierung der Pandemie als Vorwand für einen Angriff auf die polnische Medienlandschaft, die ohnehin durch die Covid-19-Krise schwer getroffen wurde.

Auch die Opposition hat sich deutlich gegen die geplante Werbesteuer ausgesprochen. „Das Ziel der PiS-Regierung ist es, volle Kontrolle über die Medienlandschaft in Polen zu erlangen“, schrieb der Vorsitzende der liberalen Partei Nowoczesna Adam Szłapka auf Facebook. Die Werbesteuer sei ein weiteres Instrument, um die liberale Demokratie zu zerstören und Polen aus der Europäischen Union zu treiben. Senatsmarschall Tomasz Grodzki von der oppositionellen Bürgerplattform twitterte: „Freie Medien sind ein Pfeiler der Demokratie und ein Garant für Pluralismus, ein Damm vor einer Überschwemmung durch Propaganda und Lügen im staatlichen polnischen Fernsehen.“

Kritik kam auch aus dem Ausland. Christian Wigand, Sprecher der EU-Kommission, drückte in einer Erklärung die tiefe Besorgnis der EU über die polnische Medienpolitik aus: „Auch wir haben die schwarzen Bildschirme gesehen. Unsere Bedenken bezüglich des Medienpluralismus in Polen sind bekannt und wurden in unserem Bericht zur Rechtsstaatlichkeit dargelegt.“

Wen betrifft die Werbesteuer?

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki (PiS) rechtfertigt die Steuer als Teil der umfassenderen europäischen Strategie, digitale Großunternehmen wie Facebook und Google zu besteuern. Die vorgeschlagene Steuer trifft allerdings in erster Linie inländischen Medienakteure. Abhängig von Erträgen des Unternehmens sowie der Art der Werbung solle der Steuersatz 2 bis 15 Prozent der Werbeeinnahmen betragen.

Zeitungen mit nationalen und regionalen Ausgaben, deren Werbeeinnahmen bei rund 3,5 Mio. Euro liegen, wie etwa die einflussreichste Oppositionszeitung Gazeta Wyborcza, wären stark betroffen. Den polnischen Verlagen zufolge könnten nach der neuen Steuerregelung Unternehmen wie Google 11 bis 22 Mio. Euro Steuern pro Jahr zahlen, während der Betrag der lokal tätigen Medienunternehmen jährlich bei rund 180 Mio. Euro liegen könnte.

Nach Einschätzungen von Experten würde die neue Steuer besonders die regierungskritischen Medienunternehmen betreffen, allen voran die Mediengruppe Agora, die die Tageszeitung Gazeta Wyborcza herausgibt; die polnische Tochtergesellschaft des deutsch-schweizerischen Konzerns Axel Springer AG, welche die polnischen Zeitungen Fakt und Newsweek Polska herausgibt und die Mehrheit der Anteile des größten polnischen Internetportals Onet.pl hält sowie den amerikanischen Sender TVN.

Im Gegensatz zu vielen privaten Medien würden der öffentlich-rechtliche Sender TVP und der staatliche Hörfunk, die in den letzten Jahren zu einem reinen Sprachrohr der Regierung geworden sind, nicht in Existenznot geraten, da sie bereits jetzt vom Staat stark subventioniert werden. Kritiker der Steuer machten darauf aufmerksam, dass sich die neue Werbesteuer zwar auch auf die öffentlich-rechtlichen Medien beziehen würde, theoretisch könnten diese aber das Geld von dem staatlichen Fond für Kulturförderung zurückerstattet bekommen. Der Fond würde durch die Einnahmen der Werbesteuer finanziert werden.

Orbáns Beispiel folgen?

Kritischen Stimmen zufolge muss man die aktuelle Initiative der polnischen Regierung im breiteren Kontext ihrer Bemühungen sehen, die polnischen Medien zu „re-polonisieren“ und damit die Kontrolle über die Medien im Land auszuweiten. Die PiS verfolgt seit Jahren das Ziel, Verlage aus ausländischem Besitz in (regierungsnahe oder regierungseigene) polnische Hände zu überführen und damit die Medienunternehmen mit ausländischem Kapital aus dem Markt zu drängen.

So kündigte der staatlich kontrollierte polnische Mineralölkonzern Orlen kürzlich an, dass er die Regionalzeitungsgruppe Polska Press, die 20 von insgesamt 24 der führenden Regionalzeitungen Polens herausbringt, von der deutschen Verlagsgruppe Passau (VGP) abkaufen werde. Obwohl Orlen – interessanterweise – nun den offenen Protestbrief gegen die Werbesteuer an die Regierung mitunterzeichnete, wiesen viele Beobachter darauf hin, dass der geplante Aufkauf der Regionalzeitungsgruppe durch Orlen faktisch eine Übernahme durch die Regierung darstelle und in sich eine Gefahr für die Unabhängigkeit der lokalen Medien bedeute.

Die Strategie der polnischen Regierung folgt dabei weitgehend einem „Drehbuch“, das der amerikanische Publizist Fareed Zakaria als „illiberale Demokratie“ bezeichnet hat. Formell gelten in einer „illiberalen Demokratie“ zwar demokratische Mechanismen, deren konstituierende Wertepfeiler wie Pluralismus oder Meinungsfreiheit werden jedoch schleichend außer Kraft gesetzt. Es gibt somit auch in Polen keinen direkten Angriff auf die Pressefreiheit im Sinne von Zensur oder Enteignung von Privatmedien. Dennoch werden Medien unter Vorwänden ihrer Anzeigeneinnahmen beraubt, oder es werden großzügige Aufkaufangebote durch finanzstarke staatsnahe Konzerne wie Orlen lanciert. Diese Methoden sind juristisch schwerer zu ahnden als direkte Angriffe auf die Medienfreiheit.

In diesem Zusammenhang interpretieren die Regierungskritiker auch das aktuelle Vorhaben: die Steuer sei ein weiterer Schritt der Regierung zur Schwächung der oppositionellen Medien und der Beschränkung der Pressefreiheit in Polen. Sie befürchten, dass Polen dem Beispiel Ungarns folgen werde: „In Wirklichkeit kommt das Vorbild aus Ungarn“, erklärte Agnieszka Burzyńska vom polnischen Boulevardblatt Fakt. „Dort hat Premier Viktor Orbán auch zuerst den großen Giganten wie Google den Krieg erklärt. Aber er hat keinen Giganten besiegt, sondern machte alle freien Medien fertig und ordnete sie sich unter.“ Orbáns Regierung zerstörte die meisten unabhängigen Medien in Ungarn durch verschiedene Vorschriften, den Entzug von Werbeeinnahmen durch den Staat oder regierungsnaher Unternehmer sowie durch Aufkäufe von Orbán nahestehenden Unternehmern.

Bereits im Jahre 2016 wurde die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung Népszabadság, die kritisch über Orbáns Regierung berichtete, überraschend eingestellt. Origo.hu, eines der führenden unabhängigen Nachrichtenmagazine in Ungarn, wurde nach seinem Verkauf durch die ungarische Telekom im Jahre 2015 auf Regierungslinie gebracht. Nach der Entlassung des Chefredakteurs von Ungarns meistgelesener liberaler Nachrichtenwebseite index.hu im Sommer 2020, der gegen die geplante Umstrukturierung des Verlags protestierte, reichten mehr als 80 Mitarbeiter ihre Kündigung ein. Der letzte unabhängige ungarische Radiosender, Klubrádió, verlor vergangene Woche seine Lizenz. Laut unabhängigen Studien stehen mittlerweile fast 80 Prozent des ungarischen Nachrichtenmarkts mehr oder weniger direkt unter Regierungskontrolle.

Letztlich hat Orbán mit seinem Vorgehen eine Blaupause für das jetzige Vorgehen der polnischen Regierung geschaffen. Die Entwicklungen in beiden Ländern sind bedenklich. Seit ihrem Amtsantritt im Jahre 2015 hat die PiS eine Reihe umstrittener Mediengesetze durchgesetzt. Im internationalen Ranking zur Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ zeigt seitdem die Richtung konstant nach unten. 2015 belegte Polen den 18. Platz, im 2020 war es auf den 62. Rang abgerutscht. Ungarn steht inzwischen auf Platz 89 von 180. Jetzt rächt es sich, dass die EU-Mitgliedstaaten, die die Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Ländern zu sanktionieren haben, zu lange zu wenig unternommen haben.

Rechtsstaat in Gefahr – Warum die EU jetzt handeln muss

Die Regierungen in Polen und Ungarn gerieten in den vergangenen Jahren wegen ihrer Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien der Europäischen Union häufig in Kritik. Die EU eröffnete gegen beiden Ländern Verfahren nach Art. 7 der EU-Verträge aufgrund der Verletzung von Grundwerten. Im Falle Polens kritisiert Brüssel insbesondere die kontroverse Justizreform, die die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte unterminiere, sowie die Angriffe der Regierung auf die Minderheiten- und Frauenrechte. Ungarn wird die Erlassung umstrittener Gesetzte vorgeworfen, die das unabhängige Funktionieren von gemeinnützigen Organisationen und Universitäten sowie die Pressefreiheit einschränken. Konkrete Resultate hat das Vorgehen allerdings noch nicht gezeitigt. Wie der Vorstoß zur Werbesteuer von Medienunternahmen in Polen zeigt, ist der Trend zur „illiberalen Demokratie“ in Polen ungebrochen.

Ende 2020 blockierten Polen und Ungarn zuerst den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU bis 2027 und den dazugehörigen Corona-Hilfsfonds, da sie den damit verbundenen Rechtsstaatsmechanismus, also Koppelung von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien, ablehnten. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft handelte am Ende einen Kompromiss mit Polen und Ungarn aus, die tatsächliche Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit des Mechanismus wird nun jedoch von manchen Experten bezweifelt.

Die beunruhigenden Entwicklungen in Polen und Ungarn müssen im Westen genau beobachtet werden. Freie und unabhängige Medien und rechtsstaatliche Prinzipien sind die Grundpfeiler der Demokratie. Die EU darf nicht länger zuschauen, wie diese Werte in ihren Mitgliedstaaten unterminiert werden. Auch der Professor für Europastudien an der Universität Oxford, Timothy Garton Ash, appelliert für eine größere internationale Aufmerksamkeit in Richtung Polen: „Jarosław Kaczyński hat es seit Langem als oberste Priorität angesehen, die Medien unter Kontrolle zu bringen, und er hat nie ein Geheimnis daraus gemacht. Ich möchte betonen, dass dies nichts weniger als ein Kampf um den Kern der Demokratie ist. Man wird keine freien und fairen Wahlen durchführen können, wenn man nicht über starke unabhängige Medien verfügt.

Natálie Maráková ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Büro für die Mitteleuropäischen und Baltischen Staaten in Prag.

Dr. Detmar Doering ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Mitteleuropa und die baltischen Staaten in Prag.