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Paraguay
Nach Korruptionsvorwürfen: Springprozession in Paraguay

Hugo Velazquez, Vizepräsident von Paraguay

Hugo Velazquez, Vizepräsident von Paraguay

© picture alliance / EPA | Nathalia Aguilar

Die Worte der USA haben Gewicht in Paraguay. Zu viel, so hört man eine Klage dieser Tage, und das nicht nur in Kreisen, in denen das Weiße Haus ohnehin schon immer als Wohnstatt und Wirkungsstätte des Teufels galt. Innerhalb weniger Wochen hat Washington durch Einlassungen seines Botschafters in Asunción gleich zwei namhafte Vertreter der konservativen Partido Colorado („Rote Partei“, PC) in Verlegenheit gebracht und damit recht unverblümt in die paraguayische Innenpolitik eingegriffen. Einer von ihnen war Ex-Staatschef Horacio Cartes, der andere Hugo Velázquez, Stellvertreter des amtierenden Präsidenten Mario Abdo Benítez.

Cartes war Präsident in den Jahren von 2013 bis 2018. Er war der Erste, den US-Botschafter Marc Ostfield unlängst mit zahlreichen Korruptionsfällen in Verbindung gebracht hatte. Das Visum für die Einreise in die Vereinigten Staaten wurde ihm entzogen. Das Ganze wiederholte sich Mitte August. Diesmal traf es mit Hugo Velázquez den aktuellen Vizepräsidenten. Auch gegen ihn erhob die US-Botschaft in Asunción schwere Korruptionsvorwürfe, auch ihm wurde das Visum entzogen.

Kolonialherren-Gehabe

In anderen Ländern wären Vorgänge wie diese als Kolonialherren-Gehabe gebrandmarkt worden. Gewaltsame Ausschreitungen gegen die USA hätten die Folge sein können. In Paraguay indes blieb es weitgehend ruhig, weniger in den Maschinenräumen von Politik und Medien, wohl aber auf den Straßen. Velázquez selbst kündigte am 12. August ohne weitere Umschweife an, als Vizepräsident zurückzutreten und auf die Spitzenkandidatur seiner Partei bei den Präsidentschaftswahlen im April zu verzichten. Nicht mal von Präsident Abdo Benítez gab es Rückendeckung. Er bedaure, so der Staatschef, die Anschuldigungen gegen seinen Vize und begrüße dessen Rücktrittsentscheidung. Leicht dürften ihm diese Worte nicht über die Lippen gekommen sein. Schließlich hatte er sich stets für Velázquez‘ Kandidatur im kommenden Jahr starkgemacht. Nun drohte seine Partei im Chaos zu versinken.

Wenige Tage später kam es allerdings zur Kehrtwende. Er habe sich, so Velázquez, entschlossen, im Amt zu bleiben. Die Begründung: Er habe die offizielle Bestätigung, dass die paraguayische Staatsanwaltschaft nicht gegen ihn ermittle. Und die inoffizielle, dass es auch in den USA keine Ermittlungen gebe. Die Staatsanwaltschaft stehe nach seiner Kenntnis mit der US-Botschaft in Verbindung, um zu eruieren, auf welche Belege sich der Vorwurf der Bestechlichkeit stütze.

Erfahrung mit revidierten Rückzügen

Den schwarzen Peter hat er damit wieder den USA zugeschoben. Die Colorados allerdings haben bereits ihre Erfahrungen mit revidierten Rückzügen und den damit verbundenen staatspolitischen Turbulenzen. Auch Horacio Cartes war – immerhin als Staatsoberhaupt – zurückgetreten, 2018, im letzten Jahr seiner Amtszeit. Seine Partei hatte den Amtsverzicht seinerzeit nicht akzeptiert. Nach vier Woche Schwebezustand war Cartes wieder im Amt. Auf eine Partei wie die PC werfen derlei Volten natürlich ein schlechtes Licht. Sie tritt in Paraguay ähnlich staatstragend auf wie der Peronismus im benachbarten Argentinien. In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war das Land fest in Händen der Blauen, der liberalen Partei. In den 1940er-Jahren hat sich das Blatt gewendet. Seither stellen die Roten fast durchgehend das Staatsoberhaupt. Nicht mal die Tatsache, dass auch der deutschstämmige Militärdiktator Alfredo Stroessner PC-Vertreter war, hat das Ansehen der Partei substanziell und dauerhaft beschädigen können.

Auch nach Stroessners Sturz im Februar 1989 blieb das Land fest in Colorado-Hand. Nur einmal, 2008, haben die Wähler die PC aus dem Palacio de López, dem Präsidentenpalast in Asunción, vertrieben. Für fünf Jahre übernahm die Opposition die politische Regie. Die Präsidentschaft von Fernando Lugo, einem laisierten ehemaligen katholischen Bischof, endete allerdings vorzeitig mit einem Amtsenthebungsverfahren im Juni 2012. Bis zu den regulären Wahlen im Folgejahr kam mit Vizepräsident Federico Franco von der PLRA (Partido Liberal Radical Auténtico, Wahrhafte liberal-radikale Partei) erstmals seit Jahrzehnten wieder ein Liberaler an die Schalthebel der Macht. Als glorreich bezeichnen allerdings nicht mal die Kritiker der Dauerherrschaft der PC dieses Intermezzo.

Hotspot des Drogenschmuggels

Für die USA, die in diesen Tagen mit in den Fokus gerückt sind, ist Paraguay seit Langem von großer geostrategischer Bedeutung. Vor allem die Region des Dreiländerecks Paraguay, Argentinien und Brasilien sowie das Grenzgebiet zu Bolivien gelten als Hotspots des weltweiten Drogenschmuggels und des illegalen Grenzverkehrs terroristischer Organisationen. In den Vorwürfen der US-Botschaft gegen Cartes und Velázquez war viel die Rede von einer versuchten Einflussnahme auf die Justiz. Umgerechnet eine Million US-Dollar sollen geflossen sein, um die Aufklärung von Vorfällen grenzüberschreitender Korruption zu vereiteln. Es bleibt abzuwarten, ob die US-Seite das entsprechende Beweismaterial vorlegt. Die paraguayischen Behörden jedenfalls scheinen dieser Tage vorzubauen. Die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten seien ausgezeichnet. Man hoffe, die Vorwürfe seien bald aus der Welt geschafft.

Die regierende PC deutet die geänderte Tonlage der US-Seite als beginnenden Liebesentzug. Er käme zur Unzeit. Im April werden nicht nur das Staatsoberhaupt, sondern auch beide Kammern des Kongresses neu gewählt. Natürlich will die PC den Palacio de López dabei genauso verteidigen wie die Mehrheiten in Senat und Abgeordnetenhaus. Alles andere würde das messianische Selbstverständnis der Partei empfindlich treffen.

Korruption, Vetternwirtschaft und Dokumentenmanipulation

Und die PLRA? Auch die zweite der beiden traditionsreichen Parteien des Landes ist chronisch zerstritten. Führende PLRA-Vertreter bezichtigen sich seit Jahren gegenseitig der Korruption, Vetternwirtschaft und Dokumentenmanipulation. Dennoch wittert die Partei angesichts der Nervosität der politischen Konkurrenz gerade Morgenluft. Den Strategen schwebt zwecks Erhöhung der Schlagkraft die Bildung eines Bündnisses aller oppositionellen Anti-Colorado-Kräfte vor. Gestützt auf eine vergleichbare Allianz war schon Ex-Bischof Lugo 2008 an die Staatsspitze gewählt worden. Auch bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr war die Strategie aufgegangen. Damals konnten oppositionelle Parteienbündnisse den Colorados sogar in einigen ihrer Hochburgen den Rang ablaufen.

Dr. Lars-André Richter leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Buenos Aires mit Zuständigkeit für die Länder Argentinien, Paraguay und Uruguay.
Marcelo Duclos arbeitet im Stiftungsbüro Buenos Aires und ist zuständig für die FNF-Projekte in Paraguay und für den Bereich Kommunikation.