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Impfstrategie
Cry, the beloved country – Impfchaos in Südafrika

Südafrika Protest Corona
Demonstranten aus der Gastronomie protestieren in der Nähe des Parlamentes gegen die Sperrstunde und die harten Folgen des Lockdown. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Nardus Engelbrecht

Die zweite Coronavirus-Welle hat nun auch Südafrika mit voller Wucht erfasst, und das Gesundheitssystem ächzt unter der hohen Belastung. Verschärfend kommt hinzu, dass das Land es offenbar mit einer neuen Variante des Virus zu tun hat, die noch ansteckender zu sein scheint als die erste.

Laut offizieller Statistik liegt die Zahl der COVID-19-Todesfälle bei 33.000; jedoch verzeichnet das Land mit insgesamt 71.000 mehr Toten als in vergleichbaren Zeiträumen der Vorjahre eine hohe Übersterblichkeit. Die Situation ist also viel gravierender, als die offiziellen Statistiken vermuten lassen. Obwohl es bis Anfang Januar 2021 nach offiziellen Angaben 1,2 Mio. bestätigte Covid-19-Infektionen gegeben hatte, dürfte die tatsächliche Zahl laut Expertenmeinung weitaus höher liegen. Bereits im September schätzte Discovery, der größte Krankenversicherer Südafrikas, die tatsächliche Fallzahl auf 13 Mio. Zum Vergleich: Südafrika hat eine Bevölkerung von etwa 60 Mio. (Die hohe Dunkelziffer ist erschreckend, dürfte in anderen afrikanischen Ländern jedoch noch viel höher liegen, da es fast überall an Ressourcen und der nötigen Infrastruktur mangelt.)

Viele Staaten beschäftigen sich bereits seit Mitte 2020 mit der Beschaffung von Impfstoffen und der Entwicklung von Impfstrategien. Die südafrikanische Regierung hingegen war mit unzähligen Korruptionsskandalen um die Covid-19-Hilfsmittel beschäftigt. Die Reaktion der Regierung auf das Virus lässt auch aufgrund ihrer allgemeinen Inkompetenz und ihrer irrationalen Entscheidungen zu wünschen übrig. Seit Jahrzehnten belohnt sie bedingungslose Treue gegenüber der Regierungspartei anstatt Kompetenz. In der Folge wurde der Staat fast völlig ausgehöhlt.  

Natürlich haben diese Faktoren auch erhebliche Auswirkungen darauf, wie Südafrika mit der Impffrage umgeht. Kurz gesagt: Es herrscht das Chaos. Die Regierung hat keinen Plan.

Bis Anfang Januar 2021 hatte die Regierung zur Beschaffung von Impfstoffen lediglich eine Vereinbarung mit der COVAX-Initiative getroffen. Diese galt jedoch nur für 10% der Bevölkerung – und die Regierung verpasste nicht nur einen, sondern gleich zwei Zahltermine, um sich die lebensrettenden Medikamente zu sichern. Die Aktion wurde von Experten scharf kritisiert, die darauf hinwiesen, dass die COVAX-Initiative es den ärmsten Ländern der Welt ermöglichen soll, in den nächsten sechs bis neun Monaten Impfstoffe zu erhalten, und Südafrika gilt nicht als ein armes Land.

Experten werfen der Regierung vor, beim Thema Impfungen völlig versagt zu haben. Erst als der öffentliche Druck immer größer wurde, schaffte die Regierung es endlich in der ersten Januarwoche, mit dem Serum Institute of India einen Vertrag über 1,5 Mio. Impfdosen für besonders gefährdete Mitarbeiter im Gesundheitssektor abzuschließen. Die Impfstoffe sollen Südafrika möglicherweise im Februar erreichen. 

Aber noch immer gibt es keinen Kaufvertrag mit den bekanntesten Herstellern von Impstoffen, wie etwa Pfizer-BioNTech, Moderna oder AstraZeneca. Die Regierung versucht die Kritik mit dem Hinweis darauf abzumildern, dass die Verhandlungen schwierig seien und viele Impfstoffe unerschwinglich. Diese Argumente haben weder Hand noch Fuß: Die Beschaffung sollte keine langwierigen Preisverhandlungen erfordern, da die Preise bereits seit längerer Zeit öffentlich bekannt sind. Zudem haben große Pharmaunternehmen ihre Preise stark gesenkt, damit Länder mit mittlerem Einkommen wie Südafrika sich die Impfstoffe leisten können. Außerdem hat der leistungsfähige Privatsektor der Regierung jede erdenkliche Unterstützung angeboten (sowohl finanziell als auch durch Sachleistungen), um so schnell wie möglich mit den Impfungen beginnen zu können. Der Staat scheint demgegenüber wie gelähmt – kein Wunder, verlässt er sich doch auf eine brisante Mischung aus Feindseligkeit gegenüber der Privatwirtschaft, Staatsgläubigkeit, Stolz und geballter Inkompetenz.

Für Südafrikaner erweckt diese erstaunliche Lähmung – im Angesicht großen menschlichen Leidens und Sterbens und trotz großzügiger Hilfsangebote – Erinnerungen an das Trauma der AIDS-Pandemie der 2000er. Unter dem damaligen Präsidenten, Thabo Mbeki, einem AIDS-Leugner, galten offizielle Regierungsrichtlinien, wonach die Verabreichung von lebensrettenden Medikamenten an Kranke verboten wurde, obwohl die Regierung in der Lage gewesen wäre, diese zur Verfügung zu stellen. Mbekis Politik kostete hunderttausende Südafrikaner das Leben und ist für Südafrikas junge Demokratie ein bleibender Schandfleck. 

Womöglich ist die Lage jedoch noch düsterer, als es den Anschein hat. Der Gesundheitsminister bestätigte Gerüchte, wonach Südafrika mit China und Russland in Verhandlungen zur Beschaffung von Impfstoffen steht. Dies gibt Anlass zu großer Sorge, nicht allein wegen der Qualität und Wirksamkeit der Medikamente, sondern auch bezüglich möglicher Korruption bei der Beschaffung und Verteilung.

Ferner hat die Regierung angekündigt, über die Beschaffung und Verteilung aller COVID-19-Impfstoffe die alleinige Kontrolle übernehmen zu wollen. Wenn man bedenkt, dass die Regierung es nicht einmal fertigbrachte, besonders gefährdeten Mitarbeitern persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen – eine weitaus einfachere Aufgabe als die Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen – kann man sich die Konsequenzen leicht ausmalen. Bürgerrechtliche Organisationen bereiten sich daher bereits darauf vor, dagegen rechtlich vorzugehen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es nicht nur keinen Plan zur Beschaffung von Impfstoffen gibt, sondern auch keinen Plan zur Verteilung. Massenimpfungen erfordern monatelange Vorbereitung, die Einrichtung von komplexen Steuerungssystemen sowie den strategischen Einsatz von Ressourcen. Keine dieser notwendigen Vorbereitungen hat bisher stattgefunden.

Aufgrund des Versagens der südafrikanischen Regierung dürfte dem Land das Schlimmste noch bevorstehen.