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Invasion der Ukraine
Die Rolle der Türkei im Russland-Ukraine-Konflikt

 Das Patrouillenschiff Dmitri Rogatschew der russischen Marine passiert den Bosporus in Istanbul, Türkei, am 16. Februar 2022.

 Das Patrouillenschiff Dmitri Rogatschew der russischen Marine passiert den Bosporus in Istanbul, Türkei, am 16. Februar 2022. 

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picture alliance / AA | Mehmet Murat Onel

Wenige Tage nach Kriegsbeginn willigte die Türkei nun ein, die Bosporusdurchfahrt für russische Kriegsschiffe zu sperren, so weit dies unter dem Montreux-Abkommen von 1936 möglich ist – Schiffen der Schwarzmeerflotte kann demnach die Rückkehr in den Heimathafen nicht verwehrt werden. Die russische Aggression bezeichnen Präsident Erdoğan und Außenminister Çavuşoğlu deutlich als „Krieg“, während von russischer Seite nur von einer „Militäroperation“ die Rede ist. Andererseits beteiligt sich die Türkei nicht an der inzwischen beinahe europaweiten Sperrung des Luftraums für russische Flugzeuge, die den Kreml im Zweifel härter treffen würde als die Sperrung des Wasserwegs. Auch im Rahmen internationaler Abstimmungen fällt ein gewisses Lavieren auf: Bei der Suspendierung der russischen Mitgliedschaft im Europarat enthielt sich die Türkei als einziges Land, stimmte aber am selben Tag dafür, den Beitrittsprozess Russlands zur OECD auszusetzen. Die Gründe für diese Sonderrolle und die wiederholten Vermittlungsinitiativen liegen in vielfältigen Interessen und Abhängigkeiten, die die Türkei mit beiden Staaten verbinden.

Die Türkei in einer Sonderrolle

Die Türkei nimmt seit Jahren innerhalb der NATO-Staaten eine Sonderrolle in Bezug auf Russland und die Ukraine ein, indem sie ihre Beziehungen zu beiden Ländern auszubalancieren versucht. Sie gehört wie Großbritannien oder die USA zu den Ländern, die militärische Hilfe für die Ukraine befürworten und waffentechnische Güter an Kyjiw liefern. Einer im Januar beschlossenen militärischen Verstärkung der NATO-Präsenz in Ländern mit Grenzen zur Ukraine und Russland stimmte sie zu, ohne jedoch eine Beteiligung zuzusagen. Zugleich hält sie Sanktionen gegen Russland für nicht wirksam. Bereits nach der Annexion der Krim hatte die Türkei diese scharf verurteilt und die UN-Resolution 68/262 zur Ungültigkeit des Krim-Referendums unterschrieben. Auch die jüngste Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk bezeichnete Erdoğan als inakzeptabel. An den Sanktionen gegen Russland hat sich die Türkei bisher dennoch nicht beteiligt. Stattdessen wird aus Ankara immer wieder die Notwendigkeit von Dialog betont und auf russische Sicherheitsinteressen verwiesen.

Ankaras Angebot als Ort für Gespräche

Schon während der russische Präsident Putin in den vergangenen Monaten seine massive militärische Drohkulisse um die Ukraine aufbaute, bemühten sich nicht nur amerikanische und europäische Politiker mit reger Reise- und Telefondiplomatie um Deeskalation. Auch die Türkei als Land, das sowohl mit Russland als auch der Ukraine vielfältig verbunden ist, hat sich wiederholt nachdrücklich als Vermittlerin angeboten – allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Weder Angebote für einen russisch-ukrainischen Friedensgipfel in Ankara noch Avancen, die Minsk-Gespräche in die Türkei zu verlagern, stießen in Moskau auf Gehör. Erst als Präsident Erdoğan persönlich mit der Erklärung auftrat, alles in seiner Macht Stehende tun zu wollen, um eine militärische Eskalation zu verhindern, erklärte Kreml-Sprecher Peskow die Bereitschaft Putins zu einem Besuch in der Türkei, sobald es „die Pandemie und der Terminkalender“ erlaubten. Am 3. Februar reiste Erdoğan immerhin zu Gesprächen mit Präsident Wolodymyr Selenskij nach Kyjiw, in deren Rahmen nicht nur die aktuelle Krise besprochen, sondern auch ein lange geplantes Freihandelsabkommen abgeschlossen wurde. Nach der russischen Invasion in der Ukraine scheint die Welt inzwischen eine andere zu sein. Ankaras Angebot als Ort für Gespräche steht weiterhin.