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Extremismus
Wie kommen wir den Rassisten bei?

Zahlreiche Rechtsextreme stehen anlässlich einer Kundgebung vor dem Hauptbahnhof.

Zahlreiche Rechtsextreme stehen anlässlich einer Kundgebung vor dem Hauptbahnhof in Dresden.

© picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Alltag in Deutschland? In einem Ferienlager in Brandenburg werden Berliner Schülerinnen und Schüler von Vermummten angepöbelt, weil sie fremd aussehen oder ein Kopftuch tragen. An Schulen zeigen junge Leute den Hitlergruß, und Lehrkräfte einer Schule im Spreewald schreiben einen Brandbrief, weil sie rassistische, sexistische und homophobe Beschimpfungen nicht mehr ertragen. Rechtsextremismus tritt in Deutschland heute offen zutage. „Rechtsextremismus ist wieder sichtbarer geworden. Jungen und Mädchen zeigen deutlich: Ich bin rechts“, bestätigt Präventionsberater Philip Schlaffer. „Heute sind das nicht nur ein oder zwei Schüler, sondern ganze Cliquen.“

Ängste und Hetze

Schlaffer war bis vor einigen Jahren selbst Neonazi. Nach zwei Gefängnisstrafen ist er ausgestiegen. Heute klärt der 45-Jährige mit seiner Organisation „Extremislos“ an Schulen über Extremismus auf. Durch die vielen Krisen, die wir derzeit erleben, breche der Rechtsextremismus wieder auf, sagt er.

Sind heute also die Kinder der Baseballschläger-Generation der 1990er- Jahre aktiv? „Nein“, meint Schlaffer. „Das ist ein einprägsames Bild, aber das lässt sich nicht verallgemeinern.“ So sei der Rechtsextremismus heute – anders als in den Baseballschläger-Jahren – kein Problem Ostdeutschlands, sondern ganz Deutschlands. In Ostdeutschland sei er nur sichtbarer: „Wenn man rechtsextrem ist, erlebt man nicht so die harte Ausgrenzung wie im Westen.“

Mehrere Gründe macht Schlaffer für die zunehmende Gewalt aus. Zum einen die Erfahrungen in der Familie. „Viele von den früheren Rechten haben sich mit ihrem Weltbild nicht auseinandergesetzt. Denen geht es ja wirtschaftlich gut“, meint Schlaffer. Mit der Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine sind aber Verlustängste und das Gefühl existenzieller Bedrohung wieder aufgebrochen und Jugendliche nehmen es auf.

Zweitens spielen die sozialen Medien eine große Rolle, denn für viele rechtsextreme Jugendliche wird Musik zum Bindeglied. Die sozialen Medien transportieren rechtes Gedankengut. Auf Plattformen wie YouTube, Spotify oder TikTok sind Bands mit antisemitischen und antidemokratischen Inhalten präsent. Schlaffer: „Diese Inhalte berieseln einen von morgens um sechs bis abends um zehn.“ Die Algorithmen schlagen dann kaum noch andere Inhalte vor.

Und drittens fehlen soziale Angebote vor Ort, vor allem in ländlichen Gebieten. „Es gibt viele abgehängte Menschen in unserer Gesellschaft“, sagt Schlaffer. „Werden sie nicht abgeholt, dann machen das die Extremisten.“

Prävention mit Emotionen

Mit der Präventionsarbeit, die Schlaffer mit seinem Verein „Extremislos“ in Schulen in Ost- und Norddeutschland durchführt, erreicht er bis zu tausend Schülerinnen und Schüler im Jahr. „Wir machen Prävention cooler, authentisch und niedrigschwellig. Die Leute sehen, dass es da um Emotionen geht. Rechtsextreme versprechen ja etwas, auf das man in jungen Jahren anspringt. Sie versprechen Zusammenhalt und eine Mission“, sagt Schlaffer. Das sei sehr verführerisch. „Ich war selber ein Vertreter der Antidemokraten und wollte diesen Staat abschaffen. Aber heute weiß ich, wie verlogen das alles war.“

Im Kampf gegen Rechtsextremismus müsse Demokratie wehrhaft sein, meint Schlaffer. „Und wir brauchen mehr Wertschätzung für dieses Land und für das, was wir leisten.“ Seiner Einschätzung nach sind mehr und härtere Strafen nicht hilfreich. Sondern vor allem bei digitalen Inhalten müsse der Staat aktiver werden, Inhalte verbieten, löschen lassen und bestrafen.

Wichtig seien auch Jugendarbeit, Aufklärung und Bildung – zum Beispiel durch Demokratie-Unterricht in der Schule. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer finden solche Ideen gut, stehen aber selbst unter hohem Druck. Denn das Schulsystem tue sich mit den heutigen Lebenswelten von Jugendlichen schwer und müsse zudem enorme integrative Aufgaben leisten. „Es gibt Schüler, die sind nicht sozialisiert – das soll die Schule übernehmen“, sagt Schlaffer. Er sei in vielen engagierten Schulen gewesen, aber die Politik nehme deren hohe Belastung nicht wahr.

Wenn Prävention versagt, dann gibt es zwar spezielle Aussteigerprogramme. Viele Rechtsextreme wollten aussteigen. „Irgendwann wacht man auf und realisiert: Da ist nichts Positives mehr im Leben. Man ist nur noch von Hass umgeben.“ Aber der Ausstieg sei schwer, weil Extremisten sich langsam von der normalen Gesellschaft verabschiedet haben. „Die meisten haben Angst: Nimmt mich die Gesellschaft auf, krieg ich wieder eine Chance?“, sagt Schlaffer.

Diese Angst ist groß: Laut Verfassungsschutz haben nur etwa 800 von mehr als 13 000 gewaltbereiten Szene- Mitgliedern den Ausstieg in den vergangenen Jahren geschafft.

Axel Novak arbeitet seit 2003 als freier Journalist in Berlin und Brandenburg. Ein Umzug aufs Land kommt für ihn nicht infrage: Für seine Kinder gibt es dort außer der Natur nichts zu erleben.