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Liberalismus und die Kultur des Rationalismus

Eindrücke vom Gaidar-Naumann-Forum 2017

Die liberale europäische Zukunft und die deutsch-russische Zusammenarbeit – das waren große Themen für ein gemeinsames Forum der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Jegor-Gaidar-Stiftung in Berlin. Leere Phrasen wurden dabei nicht ausgetauscht: durch Konzentration und intellektuelle Disziplin gelang es, an einem einzigen Tag Ideen zu diskutieren, für deren Konkretisierung man auf so manchem groß ausgerichteten Konferenzformat allein schon eine Woche gebraucht hätte.

Vorsichtiger Optimismus und weltmüder Pessimismus

Zunächst ergab sich organisch eine Trennung der Forumsteilnehmer in zwei Lager: das der vorsichtigen Optimisten und das der weltmüden Pessimisten. Genau so war es auch zu erwarten – schließlich war es ein gemeinsames Forum von deutschen und russischen Liberalen. Sie sind einerseits Teil eines Landes, das die wirtschaftliche Lokomotive Europas darstellt, eine im Aufwind befindliche führende politische Kraft; während in jenem anderen Land schon allein die Bezeichnung „Liberaler“ fast zu einem Schimpfwort verkommen ist.

Krise des russischen Entwicklungsmodells

Andrej Netschajew, Mitglied des Kuratoriums der Gaidar-Stiftung und ehemaliger russischer Wirtschaftsminister, sprach über die Krise des russischen Entwicklungsmodells. Und er meinte damit nicht Sanktionen und Gegensanktionen – das Problem sei das raue Investitionsklima und die wachsende Staatsübernahme der Wirtschaft. Jewgenij Jassin setzte das Thema fort: während in den frühen 2000er Jahren der Anteil der Staatswirtschaft in Russland bei 36-38 Prozent des BIP lag, liegt er heute bei 70 Prozent. Jassin unterstrich auch den kontinuierlichen Verfall des Lebensstandards der Bevölkerung – in den letzten vier Jahren sank er allein um 11-15 Prozent. Dennoch protestiere das russische Volk nicht, sondern schnalle lieber den Gürtel enger.

Lencke Steiner für mehr Unternehmergeist

Gibt es unter solchen Umständen überhaupt noch Ansatzpunkte, die russisch-deutsche Zusammenarbeit fortzusetzen und auszubauen? Glücklicherweise ja. Reden muss man vor allem über die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bezug auf den Mittelstand – was eng verbunden ist mit traditioneller Volksdiplomatie. An dieser Stelle ergriff Lencke Steiner, Unternehmerin und Vorsitzende der FDP-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, das Wort. Es war eine flammende Rede für mehr Unternehmergeist, die sowohl im Forum als auch noch einige Tage danach ausführlich diskutiert wurde. Steiner sprach von den Familienbetrieben in Deutschland (rund 90 Prozent aller deutschen Unternehmen) sowie über ihre eigenen Werte: Verantwortungsgefühl, Verbundenheit mit der Heimatregion, Generationenzusammenhalt. In diesem Zusammenhang kritisierte sie die negative Entwicklung einer steigenden Dominanz der Politik über die Wirtschaft, die auch in Deutschland droht. Karl-Heinz Paqué von der Naumann-Stiftung setzte das Thema mit einem Plädoyer für Freihandel fort und fragte: «Warum scheiterten die Sondierungsgespräche zur Jamaika-Koalition? Weil nicht der Mut aufgebracht wurde, sich echten Veränderungen zu stellen».

Globalisierung, Digitalisierung und Populismus

Um die Veränderungen des Lebens ging es dann auch in der Podiumsdiskussion «Die digitale Revolution und die Zukunft unserer Gesellschaften – Neuer Arbeitsmarkt und neuer Populismus» – ein Meinungsaustausch zwischen rationalen Optimisten auf beiden Seiten.

Rostislav Kapeljuschnikow von der Higher School of Economics in Moskau zerstörte den Mythos, der sich um die Bedrohung der «Robocalypse» rankt und davon ausgeht, dass Fortschritt zwangsläufig Arbeitsplätze vernichtet. Einen interessanten Gedanken entwickelte Thomas Sattelberger, FDP-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Vorstand der Deutschen Telekom. Er sprach über Smart Services und Zukunftsvisionen, wie wir schon in naher Zukunft «unsere Schuhe auf 3D-Druckern direkt im Laden drucken werden».

Aber wie hängen der radikale Wandel durch Globalisierung und Digitalisierung mit dem wachsendem Populismus zusammen? Wie sollen wir gegen die Mythen über den „ach so gefährlichen Fortschritt“ und den „bösen Liberalismus“ ankämpfen? «Müssen wir uns gar Rückgriffe nehmen auf populistische Rhetorik, um uns erfolgreich gegen Populismus zu wehren?», fragte Julius von Freytag-Loringhoven von der Naumann-Stiftung. Das Fazit dieser Diskussion fasste Rostislaw Kapeljuschnikow zusammen: «Schädlich ist jede Rhetorik, die der Kultur des Rationalismus ihre Bedeutung abspricht».

Kann man nach einer solchen Veranstaltung sich einfach mit einem Handschlag verabschieden und auseinandergehen? Es ist jetzt schon klar, dass dieses Gespräch eine Fortsetzung finden wird.