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Naher Osten
Israel und die VAE: Historisches Abkommen mit Potential aber ohne Garantie

Israel Diplomatie
Präsident Donald Trump schüttelt dem Kronprinzen von Abu Dhabi, Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan, 2017 im Weißen Haus in Washington die Hand. © picture alliance/AP Photo | Andrew Harnik

Die arabische Welt kommt derzeit nicht zur Ruhe. Volatile Märkte, politische Instabilitäten, dann kam COVID-19 und vor einem Monat - Anfang Juli 2020 - sollte die ohnehin krisengeschüttelte arabischen Region um ein sicherheitpolitisches Erdbeben reicher sein. Der israelische Premierminister Netanjahu hatte mehrfach angekündigt, dass die Annektierung von Teilen des Westjordanlands in Anknüpfung an den US-amerikanischen Plan „Peace to Prosperity“ umgesetzt werden sollte. Bisher ist dies ausgeblieben und während die Schockwellen der Explosion in Beirut Anfang August noch nachhallen, wird an anderer Stelle plötzlich Geschichte geschrieben.

Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate werden volle diplomatische Beziehungen aufnehmen. Israel wird dafür im Gegenzug eben diesen Anspruch auf von Palästinensern bewohnte Gebiete im Westjordanland aussetzen. Wohlgemerkt nicht aufgeben, sondern nur aussetzen. Dieses Detail ist wichtig im Blick zu behalten, denn so historisch diese Entwicklung auch ist, sie birgt neues Konfliktpotential für die Region.

Aus vordergründiger US amerikanischer Sicht musste im Mittleren Osten etwas passieren. Die Rhetorik des amerikanischen Präsidenten war an Superlativen bisher kaum zu überbieten. Mit seinem "Deal of the Century" gab er das Versprechen ab, „Frieden in die Region" zu bringen. Von diesem Unterfangen blieb am Ende aber nicht mehr als die Eingangs genannten Annektionspläne übrig, welche nur mehr Unruhe und Konflikt in Aussicht stellten.

Also musste - auch um von internen politischen Herausforderungen vor den Wahlen abzulenken - ein Erfolg gefunden werden. Der Blick auf die Vereinigten Arabischen Emirate lag somit nah. Die VAE sind dem "palästinensischen Freiheitskampf" weit weniger ideologisch verbunden, als andere Staaten in der arabischen Region. Auch haben die VAE nie gegen Israel gekämpft. Der Botschafter der VAE in den USA veröffentlichte vor einigen Wochen einen Meinungsartikel in einer wichtigen israelischen Zeitung. Zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel gab es somit bereits Gesprächskanäle, die nun genuzt und ausgebaut wurden.

Die Emirate festigen mit dem Abkommen ihre ökonomischen Verbindungen in der Region, mit Blick auf Oman und Bahrain besteht die Möglichkeit auf einen Dominoeffekt für weitere Abkommen, der Präsident der USA kann sein Versprechen "einlösen" und eine sich anbahnende Konfliktsituation im Nahen Osten ist zunächst entschärft und - eine win-win-win Situaion möchte man meinen. Aber der Teufel liegt - wie immer - im Detail.

Die arabischen Nachbarn und deren Bevölkerung ist mitnichen erfreut über diese Entwicklung. Im Gegenteil, die Emirate werden nun von einem Großteil der arabischen Medien und Bevölkerung als Verräter gebrantmarkt. Aus ihrer Sicht hat der "palästinensische Freiheitskampf" einen weiteren arabischen Verbündeten verloren, der Einfluss auf die Arabische Liga hat und die palästinensische Agenda vorantreiben könnte. Wichtiger aber ist die Tatsache, dass Saudi-Arabien und die VAE traditionell für die muslimisch-sunnitische Welt sprechen. Für Saudi-Arabien eröffnen sich durch die neuen Entwicklungen zwar neue inoffizielle Gesprächskanäle, aber der Iran wird die Gunst der Stunde zu utzen wissen, um sich als Beschützer von Al Aqssa zu profilieren und die Zusammenarbeit mit Partnern in der Region maximieren. Dies reicht von einer größeren Zusammenarbeit mit Katar und dem Ausbau der Unterstützung für Hamas und Hesbollah. Die sunitisch-schiitische Kluft ist somit mit dem gestrigen Tag ein ganzes Stück weit größer geworden. Länder wie der Libanon und Irak, in denen der Iran relevanten Einfluß hat werden in den nächsten Monaten die Auswirkungen zu spüren bekommen.

Das Abkommen ist ein klarer Gefallen der VAE für Trump. Die Beziehungen hatten in letzter Zeit gelitten. Mit dem Schritt gestern sind die Emirate in der Gunst der USA gestiegen und könnten bei Verhandlungen mit dem Iran in der Zukunft eine wichtige Rolle spielen.“ sagt Bachar Halabi, ein politischer Analyst der MENA Region, welcher für Carnegie Middle East Center und das Issam Fares Institute for Public Policy and International Affairs schreibt.

Neben all der Euphorie, die bei diesem Abkommen mitschwingt ist somit festzstellen, dass das Abkommen zwischen Israel und den Vereinigten Araischen Emiraten genau genommen eine pragmatische Weiterentwicklung arabischer Realität ist, mit einer klar ökonomischen Orientierung und verbunden mit der Hoffnung auf neue Gesprächskanäle, die zur Befriedung in der Region führen - aber auch Verbunden mit der Gefahr neue Unruhen an anderer Stelle auszulösen.

Dirk Kunze leitet das Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für Nordafrika und den Mittleren Osten in Amman, Jordanien.