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Eine Kolumne von Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué

Einigung in Nahost
Was danach, Israel?

Die Befreiung der Geiseln und der Waffenstillstand in Gaza sind ein gewaltiger Fortschritt, wenn sie wirklich zustandekommen. Dann muss es schnellstens zu Neuwahlen und zu einer neuen Politik kommen, so fordert Jair Lapid. Zu Recht!
Menschenmenge versammelt sich auf dem Hostages Square, schwenkt israelische und US-amerikanische Flaggen und feiert das Waffenstillstandsabkommen,

Menschenmenge versammelt sich auf dem Hostages Square, schwenkt israelische und US-amerikanische Flaggen und feiert das Waffenstillstandsabkommen.

© picture alliance / Anadolu | Nir Keidar

Was Donald Trump mit seinem 20-Punkte-Plan angestoßen hat, könnte im Nahen Osten zu einem Wendepunkt zum Besseren werden - zwei Jahre nach dem grausamen Massaker der Hamas an 1.200 und der Geiselnahme von 250 Jüdinnen und Juden. Eine große Chance, vorausgesetzt, der Plan wird tatsächlich vollständig umgesetzt - auch und vor allem von Seiten der Hamas. Vergessen wir nicht: einer Terrororganisation, die bisher vor nichts an Brutalität und Lügen zurückschreckte. Aber sie ist nach zwei Jahren Gaza-Krieg maßgeblich geschwächt, und die Machtverhältnisse in der Region haben sich in dieser Zeit grundlegend verändert - vom Libanon und Syrien bis zum Iran.

Jair Lapid, der frühere Außenminister von Israel, jetzt Oppositionsführer der liberal-zentristischen Partei Yesh Atid, hat dies zum Anlass genommen, vor wenigen Tagen in "Foreign Affairs" ein Zukunftsbild seines Landes Israel zu entwerfen. "A Defining Choice for Israel" - so ist der Titel des pointierten Beitrags. Er kritisiert die Regierung von Benjamin Netanjahu scharf, Israel systematisch gespalten zu haben und fordert einen Neuanfang mit Neuwahlen.

Dabei lobt er - völlig zu Recht - die bewundernswerte Resilienz, die in Israel nach dem Massaker unter Beweis gestellt wurde. Trotz Traumatisierung lief alles im Land weiter: die Demokratie funktionierte, mit der üblichen Streit- und Lautstärke, die Wirtschaft der "Start-up-Nation" blieb technologisch dynamisch, es gab eine nie vorher dagewesene Mobilisierung von Reservisten, die moralische Unterstützung der Geiseln mit dem Ruf "Bring Them Home" war und ist immer noch enorm. Aber gleichzeitig setzten rechtsextreme Minister der Regierung Netanjahu irrsinnige Forderungen in die Welt, und Siedler im Westjordanland übten Gewalt gegen Palästinenser. Ergebnis: ein resilientes, aber tief gespaltenes Land - mit weiterhin starker Basis "von unten", aber falscher Führung "von oben".

Jair Lapid fordert einen neuen Weg, "a different Israel": außenpolitisch zurück zum Geist der Abraham Accords mit stärkerer Zusammenarbeit mit den gemäßigten arabischen und muslimischen Ländern weltweit sowie innenpolitisch ein konstruktiver Weg, die Wunden in der Gesellschaft zu heilen und strukturelle Aufgaben wie zum Beispiel den Kampf gegen die enorm hohen Lebenshaltungskosten anzugehen sowie die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von muslimischen Frauen und ultraorthodoxen Juden. Die Palästinenser ruft er auf zu beweisen, dass sie zum Aufbau von funktionierenden Gemeinwesen in Gaza und dem Westjordanland in der Lage sind und nach einer Entwaffnung der Hamas tatsächlich das Wiederauftauchen eines Terrorismus unterbinden - in selbstverwalteten Regionen unter Aufsicht und Mitwirkung der USA sowie wohlwollender arabischer Staaten, mit allen Sicherheitsgarantien für Israel. Voraussetzung für all dies natürlich: schnelle Neuwahlen in Israel mit neuer Regierung.

All dies macht Sinn. Folgt Israel diesem Weg, besteht eine neue Chance für einen starken (und ehrlichen) Anlauf in eine bessere Zukunft. Die EU und vor allem Deutschland sollten diesen Weg Israels konstruktiv begleiten