Foto 
  Karl-Heinz
 
  Paqué
Eine Kolumne von Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué

EU-Mercosur
Zwerg oder Riese?

Die EU erwartet eine geopolitische Stunde der Wahrheit. Sie muss das EU-Mercosur-Abkommen ratifizieren, sonst macht sie sich lächerlich.
Mercosur-Flagge

Mercosur-Flagge

© picture alliance / Zoonar | Valerio Rosati

Für die breitere Öffentlichkeit ist es nicht mehr als ein Randthema: die Ratifikation des EU-Mercosur-Abkommens. Wer interessiert sich schon hierzulande für das Ergebnis von komplexen Verhandlungen zum internationalen Handel, die jahrelang in Brüssel stattfinden und die Wirtschaftsbeziehungen von Europa mit der fernen La Plata-Region Südamerikas betreffen?

Tatsächlich geht es bei diesem Handelsabkommen – ausnahmsweise (?) – um viel mehr. Sein Abschluss oder sein Scheitern am Freitag dieser Woche kommt nämlich zum Ende eines Jahres, in dem EU die schlimmste protektionistische Demütigung von seinem wichtigsten Handelspartner, den Vereinigten Staaten, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erleben musste. Sie trug sich Ende Juli zu, als die USA – im Wesentlichen ohne Gegenleistung – in sogenannten Verhandlungen einen Importzoll von 15 Prozent auf alle Importe aus der EU festlegten. Ein unmissverständliches Signal, dass Trumps Amerika kein verlässlicher wirtschaftlicher Partner mehr ist und einfach unilateral aus der Globalisierung nach eigenem Gutdünken ausschert.

Damit ist klar: Die Globalisierung ändert sich grundsätzlich. Europa muss eigene Wege gehen, und dazu zählt es, als durchaus noch mächtige Führungsmacht des weltweiten Handels mit anderen Regionen der Welt ambitionierte Partnerschaften einzugehen. Der erste Kandidat dafür ist eben geostrategisch die große Mercosur-Region. Hier liegt ein fertiger Entwurf eines Handelsabkommens vor, nach jahrelangen Verhandlungen. Ihn entschlossen zu ratifizieren wäre ein richtiges Signal von den richtigen Partnern zum richtigen Zeitpunkt. Die EU würde anzeigen: Wir sind bereit, als globale Führungsmacht des freien Handels die verwaiste Rolle der USA zu übernehmen. Nach Mercosur könnten dann weitere Regionen und Länder der Welt folgen – in einer Offensive der Offenheit der Europäischen Union.

Dagegen gibt es allerdings Widerstand, vor allem aus der Landwirtschaft. Deshalb hat das Europäische Parlament – angemessen, klug und pragmatisch – in dieser Woche noch einige Sonderregelungen gebilligt, die bei besonderer Marktbelastung bei Agrarprodukten das Ziehen einer Notbremse erlauben. Damit müssten die südamerikanischen Partner noch leben können. Aber es scheint vor allem Frankreich nicht zu genügen. Präsident Macron plädiert für weitere massive Zugeständnisse an die heimische Landwirtschaft, aus Angst vor Bauernprotesten, und die würden dann doch das Abkommen insgesamt gefährden – und damit auch das geopolitische Gewicht der EU dramatisch reduzieren. Partikularinteressen wären imstande, die Rolle Europas als handelspolitische Führungsmacht auszuhebeln. Die EU würde zum geostrategischen Zwerg statt zum Riesen.

Europa hat also die Wahl: Entweder man überzeugt die sonst so machtbewussten Franzosen nachzugeben oder überstimmt sie sogar, denn Einstimmigkeit ist nicht erforderlich. Oder man gibt gegenüber Frankreich nach, muss dann aber jeden globalen Führungsanspruch aufgeben. Denn eines ist klar: Ein Kontinent, der wegen Rindfleisch und Rotwein auf die Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen freiwillig verzichtet, hat auf der Weltbühne der künftigen Mächte nichts zu suchen, egal welche Rhetorik gepflegt wird. Er verspielt jeden Anspruch auf eine führende Rolle, er macht sich lächerlich.

Es ist also für Europa eine Stunde der Wahrheit. An Weihnachten wissen wir mehr.