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Lebensverhältnisse in Stadt und Land
Gleichwertig ist nicht gleich

Dorf
© picture alliance / Westend61 | Lisa und Wilfried Bahnmüller

Das Grundgesetz schreibt gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land vor. Das verlangt keine Gleichmacherei. Der ländliche Raum darf aber nicht abgehängt werden.

Das Leben in den Städten dominiert unsere Diskussionen über Verkehrskonzepte, Digitalisierung, Energiewende, Wohnen und Lebensstile. Doch die Menschen in Deutschland leben nicht nur in Städten, sondern zu einem substanziellen Teil auch in ländlichen Regionen. Daher dürfen diese Diskussionen nicht nur aus der Großstadtperspektive geführt werden.

Einige ländliche Regionen laufen mehr und mehr Gefahr, infrastrukturell abgehängt zu werden – trotz der grundgesetzlich in Art. 72 verankerten Forderung gleichwertiger (nicht gleicher!) Lebensverhältnisse. Das schlägt sich bei den betroffenen Bürgern nicht selten in Resignation und Frust sowie in steigender Wirtschaftskonvergenz zwischen den Räumen nieder. Klar ist aber auch, dass es „den“ ländlichen Raum nicht gibt. Eine exakte Definition existiert nicht, weder weltweit noch in Deutschland. Unterschiedliche Quellen weisen daher auch unterschiedliche Bevölkerungsanteile für den ländlichen Raum in Deutschland aus. Je nach Institut und Quelle bewegen sich die Schätzungen zwischen etwa 20 und fast 60 Prozent der Bevölkerung.

Die Herausforderungen im ländlichen Raum selbst sind unterschiedlich: Regionen in der Nähe großer Städte profitieren oft sehr stark von der Ausstrahlungskraft des jeweiligen Ballungszentrums und haben in der Regel weniger Probleme, eine gute Infrastruktur wie etwa Verkehrsanbindungen und medizinische Versorgung zu gewährleisten. Anders ist es in peripheren ländlichen Räumen, wie etwa Teilen Brandenburgs, dem Norden Sachsen-Anhalts, aber auch zahlreichen Regionen in Westdeutschland.

Für diese Gegenden ist es mitunter äußerst schwierig, eine hinreichende Daseinsvorsorge für ihre Bürger zu gewährleisten. Der Grund: Die verfügbaren Einkommen sind erheblich geringer, die demographische Lage ist durch Alterung und Schrumpfung angespannter, und auch die kommunalen Steuereinnahmen betragen oftmals nur einen Bruchteil dessen, was manchen Städten zur Verfügung steht. Eine selbständige Steuerung der eigenen Entwicklung und somit ihre kommunale Selbstverwaltung wird für die betroffenen Gemeinden und Landkreise immer schwieriger. Die Folgeprobleme sind beträchtlich.

Niedrige Arbeitslosigkeit

Eine Analyse der vorliegenden Datensätze zur regionalen Entwicklung in Deutschland zeigt, wie unterschiedlich die Voraussetzungen in Stadt und Land tatsächlich sind. Städtische Regionen sind in der Regel wirtschaftlich stärker, beheimaten eine jüngere Bevölkerung und weisen eine deutlich bessere infrastrukturelle und medizinische Versorgung auf. So weit, so erwartbar. Es lassen sich jedoch auch positive Entwicklungen ablesen. Insbesondere ist die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren signifikant gesunken – auch und insbesondere auf dem Land. Dort liegt die durchschnittliche Arbeitslosigkeit inzwischen sogar unterhalb des Niveaus in den Städten.

Aussichtslos ist die Situation also keineswegs. Die derzeitige Revolution der Arbeitswelt mit einem Aufstieg des mobilen Arbeitens in Zusammenspiel mit einem sich verstärkenden Fachkräftemangel schafft für den ländlichen Raum neue Perspektiven, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. So könnte der ländliche Raum zum neuen Gründungshotspot werden, der das Arbeiten im Grünen ermöglicht und den Traum vom Eigenheim für mehr Menschen Realität werden lässt.

Dies ist jedoch kein Selbstläufer, vielmehr müssen die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden. Für Digitalisierung und smarte Regionen bildet der Breitbandausbau die technologische Basis. Dieser ist in Deutschland – vor allem in ländlichen Räumen – noch immer im Aufbau und die Verfügbarkeit gigabitfähiger Netze weiterhin deutlich niedriger als in der Stadt, obwohl umfangreiche Fördermittel bereitgestellt wurden. Dennoch könnten eine einfachere Förderkulisse, schnellere Genehmigungsverfahren oder auch effiziente Kooperationen zwischen Kommunen und der Wirtschaft helfen, die Verwaltung personell und kostenseitig zu entlasten und zugleich (digitale) Infrastrukturen voranbringen.

Gleichheit nicht wünschenswert

Der ländliche Raum kann in Zukunft folglich attraktiver werden. Es braucht eine bessere digitale Infrastruktur auch abseits der Speckgürtel, einen Abbau unnötiger Bürokratie, eine moderne Verkehrsinfrastruktur, um Stadt und Land optimal zu verbinden, eine serviceorientierte Verwaltung und eine Politik, die den Erwerb von Wohneigentum unterstützt sowie dem ländlichen Raum notwendige Freiheiten zugesteht. Auf diese Weise wäre ein starker ländlicher Raum auch eine Chance für die überlasteten Städte, die mit wachsendem Verkehrsaufkommen und steigenden Mieten zu kämpfen haben. Künstliche Preisdeckel helfen hierbei keineswegs. Vielmehr richten sich solche Maßnahmen explizit auch gegen den ländlichen Raum und machen den Wohnungsengpass in den Städten langfristig nur noch schlimmer.

Die Stärkung des ländlichen Raumes ist aus wirtschaftlicher, sozio-demographischer und auch nachhaltiger Perspektive notwendig, um einen weiteren Standortnachteil für Bürger und Wirtschaft zu verhindern. Zudem geht es darum, das grundgesetzlich verankerte Postulat gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht aus den Augen zu verlieren. Stadt und Land müssen nicht gleich sein. Im Gegenteil: Dies wäre vor dem Hintergrund unterschiedlicher Wohn- und Lebenspräferenzen der Menschen gar nicht wünschenswert. Aber es muss gewährleistet sein, dass die Voraussetzungen insoweit gleichwertig sind, dass ländliche Räume vermehrt als Wohn- und Wirtschaftsstandorte infrage kommen.


Dr. Dirk Assmann ist Themenmanager Innovationsräume und Urbanisierung bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Dr. Oliver Rottmann ist Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e.V. an der Universität Leipzig.

Dieser Artikel erschien erstmals am 20.02.2023 auf faz.net.