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Nachhaltigkeit
Gelingt die globale Energiewende mit Grünem Wasserstoff?

Erneuerbare Energien, Solar, Windkraft
© Henglein and Steets, GettyImages

Wir stehen vor enormen Herausforderungen: Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Ressourcenverbrauch und auch die Energiewende fordern uns alle heraus. Das Thema Nachhaltigkeit ist auf dem Weg in die Breite der Gesellschaft – und zwar über Ländergrenzen hinweg. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hat daher der Frage, wie mithilfe neuer Technologien die globale Energiewende gemeistert werden kann, eine Reihe von Veranstaltungen gewidmet. Gemeinsam mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern diskutierten Maike Schmidt vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg, Dr. Solomon Agbo, Forschungszentrum Jülich, und Sebastian Vagt, Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Marokko, die Erfolgsaussichten von Grünem Wasserstoff, der aus Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wurde.

Wie steht es um den Transport von Grünem Wasserstoff?

Europa zu einem klimaneutralen Kontinent machen – das ist das Ziel. Den Prozess dahin soll der "European Green Deal" einleiten. Dabei kommt Wasserstoff und seinen Folgeprodukten eine große Rolle zu, erklärte Meike Schmidt. Sie ist überzeugt, dass wir in der EU, um unseren zukünftigen Bedarf an Grünem Wasserstoff zu decken, in jedem Fall auf den Import angewiesen sind. Prinzipiell ist der Transport von Wasserstoff auf mehreren Wegen möglich, allerdings bedarf es noch an Technologieentwicklung, um ihn auch großflächig zu ermöglichen. Laut der Forscherin für Sonnenenergie und Wasserstoff kündigt sich hier ein globaler Wettbewerb an.

Grüner Wasserstoff in der Politik

Eine Diskussionsteilnehmerin hinterfragte, ob die Erkenntnisse aus der Wasserstoff-Forschung in der deutschen und europäischen Politik, insbesondere in den Bereichen Verkehr und Wirtschaftspolitik, ausreichend angekommen sind. Als Beispiel nannte sie das Zögern bei der Schaffung politischer Rahmenbedingungen und dem Einnehmen einer Vorreiterrolle öffentlicher Stellen beim Umbau auf Wasserstoff-Fahrzeuge im ÖPNV.

Frau Schmidt erläuterte, dass das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) vor 30 Jahren gegründet wurde und seither Forschung zum Thema Solar- und Wasserstoffenergie betreibt. Gerade jetzt – v.a. auch durch den European Green Deal – merkt man eindeutig, dass das Thema und vor allem die Überzeugung, dass sich die Energiewende nicht ohne Grünen Wasserstoff realisieren lässt, auf politischer Ebene angekommen ist. Allerdings stimmte sie zu, dass man im Verkehrsbereich noch weniger stark auf Wasserstoff setze als in anderen Wirtschaftszweige. Das liegt nach Meinung der Forscherin daran, dass sich die batteriebetriebene Elektromobilität schneller entwickelt hat als die Mobilität mit Brennstoffzellen.

Maike Schmidt blickt insgesamte positiv in die Zukunft: Bereits jetzt sieht sie das Thema Wasserstoff als sehr präsent in der Politik auch auf europäischer Ebene. Und sie rechnet in den nächsten Jahren mit großen Investments auch von staatlicher Seite. Wasserstoff muss in Europa etabliert und Kapazitäten aufgebaut werden. Gleichzeitig braucht es globale Partnerschaften. Schmidt erklärte weiter: Damit sich Wasserstoff bewähren kann, muss die Technologie weiter ausgebaut werden. Dafür notwendig ist wiederum der zügige Ausbau erneuerbarer Energien in Europa.

Wasserstoff in Afrika

Dr. Solomon Agbo, Mitarbeiter vom Forschungszentrum Jülich, skizzierte in seinem Impuls die Rolle von Wasserstoff für die Energiewende in Afrika. Er forscht an einem H2-Atlas für Afrika, der darstellt, wo die größten Potentiale für die Erzeugung von Grünem Wasserstoff liegen. Länder in Afrika haben riesige Ressourcen für erneuerbare Energie, insbesondere für Sonnen- und Windenergie. Hinzu kommt die sehr jungen Bevölkerung des Kontinents als Humankapital. Aufgrund dieser Ausgangsbedingungen meinte Dr. Agbbo, dass Afrika zu einem zentralen Akteur als Energieexporteur werden kann. Problematisch sah er, dass diese Ressourcen noch nicht strukturiert gefördert und erfasst sind. Als Herausforderungen sieht er die politische und ökonomische Sicherheit, fehlende Infrastruktur und Logistik sowie fehlende rechtliche und regulative Rahmenbedingungen.

Marokkos Bedeutung für die globale Energiewende

Marokko wird in der europäischen Debatte häufig als der Partner zur Energiegewinnung genannt. Sebastian Vagt, Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Marokko, bestätigte, dass das Land ein Vorreiter bei der Energiewende auf dem afrikanischen Kontinent ist. Bereits vor einigen Jahren wurden Projekte zur Energiewende angepackt, so steht beispielsweise das größtes Solarkraftwerk der Welt in Marokko. Gleichzeitig relativierte er die Euphorie über die Rolle afrikanischer Länder als alleinige Energielieferanten für Europa. Denn diese Länder müssen ihren wachsenden Energiebedarf zunächst selbst decken. Für die Herstellung von Grünem Wasserstoff müsste außerdem Meerwasser entsalzt werden, was sehr aufwendig ist, zumal Marokko keinen Süßwasservorrat hat. Vagt erwähnte auch die sozialen Aspekte der Energiegewinnung aus dem globalen Süden, weil Flächen zum Beispiel für die Viehwirtschaft dann nicht mehr genutzt werden könnten, wenn große Solarflächen gebaut werden.

Europas Verantwortung als Importkontinent

Auf der Veranstaltung fragten einige Diskussionsteilnehmer nach den Lehren, die Europa aus den Erfahrungen mit weniger erfolgreichen Projekten, wie beispielsweise „Desertec“ in Marokko, ziehen müsste. Außerdem wurde die Verantwortung Europas entlang der Lieferkette debattiert: Müsste Europa als Importkontinent entsprechende Voraussetzungen auf Seiten der Energieexportländer definieren? Sebastian Vagt bekräftigte daraufhin die Notwendigkeit einer geopolitischen Stabilität und stabiler politischer Rahmenbedingungen für solche gemeinsamen Projekte. Maike Schmidt vom ZSW betonte, dass die Entwicklung von Grünem Wasserstoff theoretisch sehr vielen Ländern die Möglichkeit bietet, zu einem Wasserstoffexportland zu werden, sofern grüne Energiequellen zur Verfügung stehen. Dadurch könnte es Europa künftig möglich sein, aus den Anbietern auszuwählen, die politisch stabiler sind, so ihre Prognose.

Einige Teilnehmer hinterfragten in diesem Zusammenhang die Auswirkungen der Energiewende in Marokko auf die Zivilgesellschaft und auf die Menschenrechte vor Ort. Es stellte sich die Frage, ob europäische Abnehmerländer zukünftig „Energielieferantenländern“ Auflagen machen könnten. Während der Diskussion fiel als Antwort darauf immer wieder der Begriff „Partner auf Augenhöhe“. Mit Blick auf die Migration gab Sebastian Vagt zu bedenken, dass es keine Garantie gibt, dass mit der wirtschaftlichen Entwicklung afrikanischer Länder zu Energieexporteuren, auch der Migrationsdruck gelindert wird. Im Gegenteil ist laut Vagt häufig zu beobachten, dass bei höher entwickelten Entwicklungsländern die Migration aus diesen Ländern erstmal ansteige.

Artenschutz, Klimaschutz und Wirtschaft

Für die Erzeugung von Wasserstoff werden Wasserressourcen benötigt. Doch welche Auswirkungen hat das auf lokale Ökosysteme? Einige Diskussionsteilnehmer skizzierten das dadurch entstehende Spannungsverhältnis zwischen Artenschutz, Klimaschutz und wirtschaftlichen Interessen, beispielsweise bei der Entsalzung von Meerwasser für die Wasserstofferzeugung und der Entsorgung der Salze. Diese Aspekte müssten berücksichtigt werden, so der Tenor. Sie sollten aber nicht als Argument dienen, die Energiewende nicht mithilfe von Wasserstoff durchzuführen. 

Veranstaltungsreihe: Learn@Lunch

Die Veranstaltungsreihe Learn@Lunch der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit bringt Menschen zusammen, die ihre Erfahrungen und Expertise zu global nachhaltigem Wirtschaften teilen und Fragen aus dem Publikum beantworten. Die Online-Veranstaltungen laden zu einem lockeren Austausch in der Mittagspause von 12:30 bis 14:00 Uhr ein. Die nächste Veranstaltung findet am 20. Januar 2022 zum Thema „Faire und unfaire Arbeitsbedingungen am Beispiel der Spielzeugindustrie“ statt.