EN

Türkei
Sanktionen ohne Biss? Nach der EU verhängt auch der US-Kongress Strafmaßnahmen gegen Ankara

S-400 Raketenabwehrsystem
Die Verwendung des russischen S-400 Raketenabwehrsystems durch das türkische Militär gilt als Hauptgrund für die amerikanischen Sanktionen. © picture-alliance / RIA Novosti | Ria Novosti Iliya Pitalev

Am 10. Dezember verständigten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) auf eingeschränkte Sanktionen gegen die Türkei. Nur wenige Stunden später stimmte in Washington nach dem Repräsentantenhaus auch der Senat dem Gesetzespaket zum Verteidigungshaushalt zu. Dieses verpflichtet Präsident Trump, Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen. Hintergrund ist Ankaras hochumstrittener Kauf des russischen Raketensystems S400. Auch der Senat hat dem Gesetz mit einer Zweidrittelmehrheit zugestimmt. Mit dieser Mehrheit können die Abgeordneten das von Trump angekündigte Veto überwinden.

Beide Sanktionen – die europäischen wie die amerikanischen – sind sehr „leichte“ Strafmaßnahmen. Die Europäer haben beschlossen, die bereits bestehenden Sanktionen gegen türkische Firmen und Individuen, die an nicht autorisierten Erdgasbohrungen in den Küstengewässern um Zypern beteiligt sind, zu verlängern. Der Europäische Rat hat eine Entscheidung über härtere Maßnahmen auf März vertagt. In der regierungsfreundlichen türkischen Presse wurde so getan, als seien keine Sanktionen verhängt worden. „Griechenland und Frankreich haben nicht das bekommen, was sie wollten“, so der Tenor der Schlagzeilen.

Auf dem Papier sehen die amerikanischen Maßnahmen weitaus härter aus: Der Präsident hat die Wahl zwischen fünf von 12 Strafmaßnahmen. Diese beziehen sich etwa auf den bilateralen Handel, die Kreditvergabe von Banken oder internationalen Institutionen. Es ist davon auszugehen, dass Trump sich für die leichteren Optionen entscheiden wird. Im Übrigen wird damit gerechnet, dass die Sanktionen einzig und allein die Direktion der türkischen Verteidigungsindustrie (SSB) treffen werden und deren Leitung. Joe Biden hätte womöglich in dieser Sache wesentlich härtere Strafmaßnahmen gegen Ankara erwogen. Insofern kommt das Timing des Kongressbeschlusses der türkischen Regierung in hohem Maße entgegen.

Die Reaktion Präsident Erdogans auf den Sanktionsbeschluss fiel daher – anders als von ihm gewohnt – verhalten aus. Er nannte den Vorgang „respektlos gegenüber einem strategischen NATO-Verbündeten“. Die Sanktionen der EU hatte er bereits vor deren Bekanntgabe als „belanglos“ abgetan.

Die Finanzmärkte gaben Erdogan am 11. Dezember recht. Türkische Notierungen reagierten so gut wie gar nicht auf die Ankündigungen aus Brüssel. Die Europäische Union hat zwar erheblichen wirtschaftlichen Einfluss, vor allem in Bezug auf den Handel, den Tourismus und bei Investitionen. Doch war allgemein damit gerechnet worden, dass es nicht zu harten Strafmaßnahmen kommen würde. Gegenüber dem Dollar verlor die Landeswährung Lira nach dem Beschluss des Senats kurzzeitig an Wert, erholte sich dann aber wieder.

Gleichwohl sind die politischen Risiken, die der türkischen Wirtschaft aus den USA und seitens der EU drohen, nicht aus der Welt. Die Europäische Union hat sich vorbehalten, im März härtere Sanktionen zu verhängen. Ein Gericht in New York beschuldigt die staatliche Halkbank, Sanktionen gegen den Iran umgangen zu haben. Derweil ist nicht damit zu rechnen, dass Joe Biden die gleichen Sympathien gegenüber Erdogan hegen wird wie Trump.

Solange Erdogan davon absieht, die Beziehungen mit den USA zu reparieren, indem er das S400-Rakensystem einmottet, und das Verhältnis mit Europa auf eine neue Grundlage stellt, indem er eine weniger aggressive Haltung in Bezug auf das östliche Mittelmeer einnimmt, werden diese Risiken wie ein Damoklesschwert über ihm schweben.

Unter normalen Umständen wäre nicht damit zu rechnen, dass der starke Mann in Ankara klein beigibt. Doch angesichts der wirtschaftlichen Lage, dem extremen Bedarf an Geld aus dem Ausland und den verheerenden Auswirkungen einer weiteren Währungskrise, wird er womöglich einen Politikwechsel einleiten. Wer weiß, vielleicht wird 2021 ja zu dem Jahr, in dem Erdogan seine lädierten Beziehungen zum Westen repariert.