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Türkei
Politische Instrumentalisierung der Hagia Sophia

Hagia Sophia
Die Hagia Sophia oder Sophienkirche in Istanbul. © picture alliance / AA | Muhammed Enes Yildirim

Nach der umstrittenen Umwandlung der Haiga Sophia zur Moschee findet dort heute das erste Freitagsgebet statt. Erdogan nimmt schrittweise die säkularen Reformen des Staatsgründers Attatürk zurück, um religiöse Wähler zu mobilisieren. Die türkische Regierung instrumentalisiert die Religion zunehmend für politische Zwecke – nun auch die Haiga Sofia.
 

Als am 20. Mai anstelle des Gebetsrufes das italienische Protestlied „Bella Ciao“ von den Minaretten einer Moschee in Izmir klang, trauten viele ihren Ohren nicht. Wenig später ertönte ein türkisches Protestlied aus den Lautsprechern zwei weiterer Gebetshäuser.

Mit ihrer Aktion, die in die religiöse Atmosphäre am Ende des Fastenmonats fiel, haben unbekannte Hacker einen wahren Tumult ausgelöst. Die regierungsnahe Zeitung Sabah titelte „Skandal“, die Zeitung Star sprach von einer „abscheulichen Provokation“. Die Polizei ist weiterhin auf der Suche nach den Drahtziehern der Aktion.

Der Verdacht kam auf, die Hacker seien Unterstützer von Tunç Soyer, dem CHP-Bürgermeister von Izmir. Dieser hatte seinen Wahlsieg letztes Jahr zu „Bella Ciao“ gefeiert. Gleichwohl: der Bürgermeister fand die Moschee-Aktion gar nicht lustig: „In einer Zeit, in der wir uns alle auf das Fest des Fastenbrechens vorbereiten, hat das Spielen des Lieds die Bürger Izmirs und auch mich verärgert.“

Auch wenn sich die CHP („Republikanische Volkspartei“) von dem Vorgang distanzierte und die „Provokation“ umgehend verurteilte, warf Erdoğan der Oppositionspartei vor, insgeheim zu frohlocken: „Die CHP verpasst es nicht, ihr hässliches Gesicht zu zeigen. CHP-Führungskräfte freuen sich in den sozialen Medien über die respektlose Ausstrahlung.“

Der Vorfall kommt zu einer Zeit, in der die Regierung die Religion zunehmend für politische Zwecke instrumentalisiert. Am 10. Mai ging ein Tweet von Fahrettin Altun, dem Kommunikationsdirektor des Präsidenten, mit einem Bild der Hagia Sophia viral: „Wir haben sie vermisst! Aber noch etwas Geduld. Wir werden es gemeinsam schaffen...“ Damit spielte der Politiker auf den alten Herzenswunsch der islamischen Bewegung an, die Hagia Sophia erneut in eine Moschee zu verwandeln.

Die Byzantiner bauten die historische Stätte 537 als christliche Kirche, doch nach der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 funktionierten die Osmanen das vielbewunderte Gotteshaus symbolträchtig in eine Moschee um. Die säkulare Regierung unter Mustafa Kemal Atatürk machte die Hagia Sophia schließlich zu einem Museum. Seitdem dient das Weltkulturerbe als „heiliger Gral" der türkischen Islamisten und muss immer wieder für eine politische Instrumentalisierung herhalten, schreibt der Journalist Kadri Gürsel im Analyseportal al- Monitor.

Bereits vor den Kommunalwahlen im März 2019 hatte Präsident Erdoğan versprochen, den Museumsstatus der Hagia Sophia aufzuheben, um religiöse Wähler zu mobilisieren. In den sozialen Medien vertreten einige User die Meinung, diesmal gehe es der Regierung darum, von wirtschaftlichen Problemen im Zuge der Corona-Pandemie abzulenken.

Am 29. Mai fand das erste Freitagsgebet seit Jahrzehnten auf dem Vorplatz der Hagia Sophia statt. Und: Ein Imam rezitierte in den Gewölben des ehemaligen Sakralbaus die sogenannte „Eroberungssure“ aus dem Koran. Das Datum war nicht zufällig gewählt: Es markiert den 567. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels.

Griechenland betrachtet die Rezitation aus dem Koran am 29. Mai in der Hagia Sophia bereits jetzt als „inakzeptabel“ und „Beleidigung der religiösen Gefühle von Christen auf der ganzen Welt“. Auch türkische Politiker äußerten Unverständnis. Der Vize- Vorsitzende der neu gegründeten DEVA-Partei („Partei für Demokratie und Fortschritt“), Mustafa Yeneroğlu, findet die Nutzung der Hagia Sophia für Freitagsgebete als „absurd“ und „bedenklich“.