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Türkei
Machtfaktor Bahceli – Erdogans rechtsextremer Koalitionspartner verlangt die Wiedereinführung der Todesstrafe

Devlet Bahceli
Devlet Bahceli © picture alliance / AA | Ali Balikci  

Seit 1997 amtiert Devlet Bahceli als Vorsitzender der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Der 72-jährige gilt als einer der einflussreichsten Politiker in der Türkei. Bis 2016, als seine Ablösung durch die eher moderate, rechtskonservative Meral Aksener, die heute die İYİ-Partei anführt, drohte, positionierte sich Bahceli in Fundamentalopposition zu Präsident Erdogan. Er galt als entschiedener Gegner des von Erdogan betriebenen Präsidialsystems. Der MHP-Chef änderte seine Meinung, als Erdogan die Friedensgespräche mit der kurdischen PKK abbrach.

Im Jahr 2017 machte Bahceli den Weg für das Verfassungsreferendum frei und rief seine Wählerschaft auf, Verfassungsänderung zu unterstützen. Anschließend trat er der „Volksallianz“ bei, einem von der AKP angeführten Bündnis für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2018. Die Allianz half Erdogan, die für die Präsidentschaft erforderlichen 51% zu erreichen. Bahceli konnte das Risiko umgehen, dass seine MHP bei der Parlamentswahl unter die 10%-Hürde fällt. Seither unterstützt er in vielen Belangen die Linie des Staatspräsidenten und fungiert immer wieder als politischer Stichwortgeber. So war beispielsweise er der erste, der 2018 vorgezogene Neuwahlen forderte, die daraufhin auch tatsächlich stattfanden.

Eine von Bahceli wiederholt formulierte Forderung ist die Wiedereinführung der Todesstrafe. Um den Weg für Beitrittsverhandlungen mit der EU zu ebnen, hatte die AKP-Regierung diese 2004 abgeschafft. In einer schriftlichen Erklärung an das türkische Parlament vom 2. September argumentiert der MHP-Vorsitzende nun, dass die Todesstrafe besonders gegen „abscheuliche und primitive Verbrechen“ wie Frauenmorde, Kindesmissbrauch und Vergewaltigungen vorbeugen würde. Mehmet Tezkan von der unabhängigen Internetzeitung „T24“ meint, Bahceli wisse durchaus, dass die Todesstrafe nicht wiedereingeführt werde. Mit seinem Vorstoß eile er lediglich Erdogan einmal mehr zur Hilfe. Mit dem Thema Todesstrafe wolle er „von der eigentlichen Tagesordnung ablenken. Die Regierung ist innen- und außenpolitisch derart in Bedrängnis, dass sie immer wieder nach Ablenkungsstrategien sucht“ – ähnlich, wie es die AKP mit der Umwidmung der Hagia Sophia kürzlich getan habe.

Der Kolumnist der unabhängigen Regionalzeitung „Tarsus Akdeniz“, Mehmet Can Bulut, analysiert, dass Bahcelis Forderung ein Widerspruch zu seinem Verhalten vor wenigen Monaten sei, als dieser „die Evakuierung von rund 100.000 Menschen [aus Gefängnissen] bewirkt hat, indem er „Amnestie, Amnestie" rief“. Die damals viel diskutierte Gefangenen-Freilassung stand im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Covid-19 Virus in den überfüllten türkischen Strafanstalten. Bahceli sei unglaubwürdig, so Kolumnist Bulut, wenn er jetzt die Todesstrafe als Abschreckungsmaßnahme für schwere Verbrechen verlange. Auch gegen die Türkische Ärztekammer (TTB) eröffnete der MHP-Chef das Feuer. Diese hatte die offiziellen Zahlen zur amtlichen Corona-Statistik angezweifelt. Die Zeitung „Hürriyet“ schreibt: „Aus Sicht Bahcelis zeigt der TBB ein unpatriotisches und unmoralisches Verhalten.“ Der Kolumnist Ali Saydam vom Regierungsblatt „Yeni Safak“ springt Bahceli in seiner Forderung nach einer Auflösung der türkischen Ärztekammer bei und schreibt an die Adresse der TTB: „Verhalten Sie sich nicht wie eine politische Partei.“ Demgegenüber stellt Ali Sirmen in der Zeitung „Cumhuriyet“ mit Blick auf Bahcelis Äußerungen, die Ärzte der TTB seien „Vaterlandsverräter“, fest: „Alle autoritären, totalitären Regime brauchen ein Konzept aus ‚Feinden‘ und ‚Verrätern‘, um ihre Reihen zu schließen.“