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Transatlantische Beziehungen
"Amerikanische und europäische Sicherheitsinteressen müssen zwangsläufig in Kooperation münden"

Freiheit.org sprach mit dem amerikanischen Sicherheitsexperten Elbridge Colby über die transatlantischen Beziehungen und Sicherheitspolitik
NATO
© picture alliance / AA

Das Thema der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz war "Westlessness": der "Westen" ist sich in vielen Fragen uneins. Freiheit.org sprach mit dem amerikanischen Sicherheitsexperten Elbridge Colby, über die Zukunft der westlichen Sicherheitspolitik und der transatlantischen Beziehungen. 

 

Die europäische Außenpolitik war in den letzten Jahrzehnten stark transatlantisch geprägt. Dazu hatte u.a. auch Großbritannien erheblich beigetragen. Wie sehen Sie das transatlantische Verhältnis nach dem Brexit?

Elbridge Colby: Ja, Großbritannien war ein wichtiger transatlantischer Anker innerhalb der EU. Aber ich bin ganz optimistisch, dass die transatlantische Ausrichtung der EU auch nach dem Brexit erhalten bleiben wird. Angesichts des wirtschaftlichen und militärischen Aufstiegs Chinas zu einer strategischen Weltmacht stimmen die amerikanischen und europäischen Sicherheitsinteressen weitgehen überein und müssen zwangsläufig in Kooperation münden. Ich stimme Präsident Macrons Forderung zu, dass die Europäer mehr für Ihre Verteidigung investieren müssen.

Die in Europa und Deutschland weit verbreite Vision, dass zwischen den Großmächten USA und China eine moralische Äquivalenz bestünde, ist falsch. Für mich ist klar, dass Europa als wertebasierte Gemeinschaft den USA viel näher steht als China, auch wenn man vielleicht den aktuellen Präsidenten nicht sehr schätzt. Deutschland versteht sich als moralische Instanz und gerade deshalb sollte nicht vergessen werden, dass China ein sehr repressiver Staat ist, mit Konzentrationslagern in der Provinz Xinjiang, mit totaler Überwachung seiner Bürger und sehr harter Hand gegen Hong Kong und Taiwan.  

 

Wir sehen eine widersprüchliche Haltung der USA zu den Bemühungen Europas um strategische Autonomie. Einerseits wird diese auch von den USA gefordert (z.B. 2%-Forderung bezüglich NATO) andererseits wollen sie weiterhin auf die Sicherheitspolitik der EU-Einfluss nehmen (5G, Nordstream II, Iran-Abkommen etc.), sich den Zugang zu europäischen Stützpunkten erhalten und auch den US-Rüstungsfirmen Zugang zum europäischen Markt sichern. 

Elbridge Colby: Ja, das ist in der Tat eine gewisse widersprüchliche Haltung der US-Regierung und ist Ausdruck der Transition, die wir gerade durchlaufen – von einer unipolaren Welt mit den USA als unangefochtene Superpower hin zu einer bipolaren Weltordnung mit dem Systemrivalen China. Die USA müssen europäische Bestrebungen nach mehr Autonomie anerkennen, solange sie sich auf der Basis der transatlantischen Beziehungen bewegen. Ansätze, die USA von sicherheitspolitischen Strategien auszunehmen, wie sie der französische Präsident Macron während der Münchner Sicherheitskonferenz vorgeschlagen hat, sind dagegen nicht zielführend. Russland oder China könnten diese offene Flanke der Uneinigkeit des Westens für ihre eigenen Ziele ausnutzen. Die USA sollten in Nordafrika und Mittleren Osten und auch Syrien offener sein für Konsultationen mit den Europäern. Und der Ausschluss Huaweis aus den 5G-Netzwerken liegt im ureigenen Sicherheitsinteresse Europa. Sie tun damit nicht den USA einen Gefallen. Zu den Stützpunkten ist zu sagen, dass sie dem Schutz der Nato-Alliierten dienen.  

 

Wo sehen Sie die NATO in fünf Jahren? Sind die USA im Jahre 2025 noch Mitglied der NATO und gilt Artikel 5 zur Beistandspflicht noch? Glauben Sie, dass Präsident Trump beabsichtigt, aus der NATO auszutreten?

Elbridge Colby: Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass die Trump-Administration die NATO verlassen wird. Innerhalb des Kongresses, der Administration und auch der Bevölkerung gibt es eine sehr hohe Zustimmung zur NATO. Ich sehe eine ganz andere Gefahr für die Zukunft der NATO: Wenn die Europäer und auch Deutschland nicht endlich ihren Verpflichtungen in der NATO nachkommen, kann die Zustimmung ihr gegenüber in den USA schwinden. Hierbei geht es vor allem um die Verteidigung der Baltischen Staaten und Polens, die Bereitstellung von Logistik, Infrastruktur etc. Denselben Schutz, den Deutschland bis 1989 durch die NATO genossen hat, sollte sie jetzt auch ihren Nachbarn im Osten gewähren. Deutschland hat die ökonomischen Voraussetzungen, es fehlt der politische Wille. Aber es ist sehr wichtig, dass die Europäer und speziell die Deutschen die Ernsthaftigkeit ihrer Verpflichtungen unter Beweis stellen.  

 

Wir sehen das Ende des Vertrages über nukleare Mittelstreckensysteme, dem sogenannten INF-Vertrag, und des Iran-Abkommens sowie gescheiterte Verhandlungen mit Nordkorea. Hat die nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung noch eine Chance? 

Elbridge Colby: Angesichts der labilen Sicherheitslage weltweit, hat Rüstungskontrolle derzeit eine sehr hohe Priorität. Ich bin relativ optimistisch, dass es zu einer Verlängerung des „New START-Abkommens“ über 2021 hinauskommen kann. Sowohl Präsident Trump als auch Präsident Putin haben dafür Bereitschaft signalisiert. Die Demokratische Partei und auch Teile der Republikanischen Partei würden dies unterstützten. Denkbar ist auch eine Überarbeitung des INF-Vertrages mit z.B. regionalen Vereinbarungen und neuen Obergrenzen etc. Aber diesbezüglich sind mir keine Aktivitäten bekannt. Nukleare Abrüstung ist im Hinblick auf die aktuelle Weltlage meines Erachtens keine Option. Ich glaube nicht, dass die Review-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag im April 2020 nennenswerte Ergebnisse bringen wird. 

Elbridge Colby im Interview
© Friedrich Naumann Foundation 

Elbridge Colby ist Gründer und CEO der kürzlich gegründeten Marathon-Initiative, einer Initiative, die sich darauf konzentriert, die Vereinigten Staaten auf den Großmachtwettbewerb vorzubereiten. Er ist der ehemalige Direktor des Verteidigungsprogramms am Center for New American Security (CNAS), wo er die Arbeit in Verteidigungsfragen leitete. Zuvor war Colby von 2017-2018 als stellv. Sekretär des Verteidigungsministers für Strategie- und Streitkräfteentwicklung tätig. In dieser Funktion war er federführend an der Entwicklung und Einführung der Nationalen Verteidigungsstrategie (National Defense Strategy) 2018, beteiligt.

Das Gespräch wurde für Freiheit.org geführt von Dr. Gabriele Reitmeier, Themenmanagerin Liberale Entwicklungspolitik & Vernetzte Sicherheit