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Russland
Verbot der Menschenrechtsarbeit in Tschetschenien

Verurteilung des Menschenrechtsaktivisten Ojub Titiev
Der Menschenrechtsaktivist Ojub Titiev wurde vom Stadtgericht Schali zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt

Der Menschenrechtsaktivist Ojub Titiev wurde vom Stadtgericht Schali zu vier Jahren Haft im Arbeitslager verurteilt.

© picture alliance / AP Images

Die Verurteilung des Menschenrechtsaktivisten Ojub Titiev symbolisiert das Ende der Menschenrechtsarbeit in Tschetschenien – der autoritär regierten Kaukasusrepublik im Süden Russlands.

Anfang der Woche wurde Ojub Titiev, Leiter der Menschenrechtsarbeit des Stiftungspartners Memorial in Tschetschenien zu vier Jahren Haft im Arbeitslager verurteilt. Die Verurteilung Titievs, der 2018 für den Boris-Nemtsov-Preis nominiert wurde, erfolgte formal wegen des Besitzes von Marihuana, das ihm nach eigenen Aussagen untergeschmuggelt wurde. Laut Titievs Anwälten steht hinter seiner Verurteilung jedoch viel mehr eine symbolische Bestrafung seiner Dokumentation von Menschenrechtsverstößen in Tschetschenien. Das Urteil zeigt die Zerrissenheit des russischen Staates im Umgang mit der immer totalitärer regierten Kaukasusrepublik Tschetscheniens.

Während einer Polizeikontrolle im Januar 2018 war bei einer Durchsuchung von Titievs Auto, der er selbst nicht beiwohnen durfte, nach Behördenangaben „ein Plastikbeutel mit einer pflanzlichen Substanz und dem Geruch von Marihuana“ gefunden worden. Nach seiner abschließenden Verhaftung wegen des angeblichen Verstoßes gegen Artikel 228/2 des Strafgesetzbuches (illegale Beschaffung, Aufbewahrung und Transport von Drogen) hatte er auf unschuldig plädiert und seine Vermutung geäußert, der Beutel sei ihm bei der Durchsuchung untergeschoben worden. Alexander Tscherkassov von Memorial sagte, dass die Verhaftung mit Titievs Arbeit verbunden sei, die schon länger „von den tschetschenischen Behörden missbilligt“ wurde.

Ojub Titiev hatte seit 2000 für Memorial Menschenrechtsverstöße in seiner Heimatrepublik Tschetschenien dokumentiert – auch während der blutigen Pogrome gegen Homosexuelle in Tschetschenien im Jahr 2017, über die der liberale LGBTI-Aktivist Yuri Guaiana für die ALDE-Partei berichtet hatte. Michael Link, Mitglied des Bundestages und des Vorstands der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, forderte 2017 in seiner Funktion als Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) in Warschau: “Die russischen Behörden müssen dringend die erschreckenden Berichte von Menschenrechtsverstößen gegen homosexuelle Männer in Tschetschenien untersuchen. Dazu müssen sie alle bekannten Täter identifizieren, verurteilen und bestrafen” und “sofortige Schutzmaßnahmen für die Opfer und gefährdete Individuen, die Opfer werden könnten, einleiten.“

Ramsan Kadyrow, Präsident der Teilrepublik Tschetschenien, wurde von westlichen Staaten für die Verhaftung, Folter und den Mord an homosexuellen Männern in Tschetschenien verantwortlich gemacht und mit Sanktionen (Einreiseverbot, Einfrieren von Konten) belegt. Als Reaktion kündigte er an: „Wenn ich nicht nach Europa und in den Westen kann, sage ich, dass deren Mitarbeiter, die sich selbst Menschenrechtsaktivisten nennen, kein Recht mehr haben in mein Territorium zu reisen“. Während Menschenrechtsorganisationen auch in anderen Regionen Russlands wachsendem Druck ausgesetzt sind, widerspricht ein solches Generaleinreiseverbot russischer Regierungspolitik.

Im Jahr 2015 hatte Ramsan Kadyrov deutlich gemacht wie wenig er von jeglichem Eingriff nicht-tschetschenischer, russischer Behörden in seiner Region hält, als er nach einem Präzedenzfall im tschetschenischen Fernsehen den Schießbefehl auf angehörige russischer Sicherheitsorgane, egal ob „aus Moskau oder Stawropol“ gegeben hatte. Im Anschluss verkündete er zwar seine persönliche Loyalität gegenüber Vladimir Putin, das Verhältnis zu anderen russischen Behörden blieb aber angespannt. Nach dem Mord an Boris Nemtsov im Februar 2015 hatte Ramsan Kadyrow angeboten zurückzutreten, nachdem die überführten Killer aus seinem näheren Umfeld stammten. Er behielt im Endeffekt jedoch seine Position und der Mord an Boris Nemtsov bleibt bis heute unaufgeklärt.

Beobachter aus der russischen Menschenrechtsgemeinschaft vermuten, dass die gegen Ojub Titiev verhängte Strafe von vier Jahren in einem Arbeitsstraflager mit der Möglichkeit auf Entlassung nach einem Drittel der Zeit, auf einen Konflikt innerhalb der Behörden zurückzuführen ist. Während das Gericht unter internationalem und Moskauer Druck keine zu hohe Strafe verhängen wollte, durfte es gleichzeitig auch keinen Gesichtsverlust gegenüber den tschetschenischen Behörden durch einen Freispruch zulassen. Igor Kotschetkow, Mitglied der liberalen Jabloko-Partei, der 2018 für seinen Einsatz im russischen LGBTI-Netzwerk den vom Stiftungspartner Jegor-Gaidar-Stiftung verliehenen Preis für Entwicklung der Zivilgesellschaft gewonnen hatte, kommentierte: „Man kann froh sein, dass die Strafe am Ende vergleichsweise milde ausgefallen ist. Dennoch verdeutlicht das Urteil, dass Tschetschenien zu einer verbotenen Region [für Menschenrechtler] wird.“

Es bleibt abzuwarten, wie lange der Konflikt zwischen den Ansprüchen des russischen Staates, sein Recht durchzusetzen mit den Autonomieansprüchen der immer totalitärer regierten Teilrepublik Tschetschenien, weiter so verhältnismäßig glimpflich ausgehen kann. Einige Beobachter sehen Tschetschenien gar als „Vorreiter“ für andere russische Regionen im Bereich immer totalitärer Durchsetzung von Unterdrückungsmechanismen. Auch wenn Ojub Titiev vergleichsweise milde bestraft wurde, bedeutet sein Fall ein deutliches Signal an alle Menschenrechtsorganisationen, das einem Verbot der Menschenrechtsarbeit in Tschetschenien gleichkommt.

 

Julius von Freytag-Loringhoven, Leiter Büro Moskau, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Stellvertretender Vorsitzender der Boris Nemzow Stiftung.