Nachruf
Burkhard Hirsch: Ein Kämpfer für den liberalen Rechtsstaat

Der FDP-Politiker und frühere nordrhein-westfälische Innenminister Burkhard Hirsch ist im Alter von 89 Jahren gestorben. Eine Würdigung von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Burkhard Hirsch, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhart Baum
Burkhard Hirsch, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhart Baum.

Dieser Artikel erschien am 12. März in der Welt und ist online hier zu finden.

Burkhard Hirsch hat wie wenige andere Politiker dieses Landes die deutsche Nachkriegspolitik geprägt. Als Politiker war er Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen und Bundestagsvizepräsident. Doch sein Vermächtnis geht weit über politische Funktionen hinaus. Als liberaler Bürgerrechtler war er eine starke Stimme für den sozialen Liberalismus, für Demokratie und Rechtsstaat, für individuelle Freiheit, die offene Gesellschaft, Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Diese Stimme ist nun für immer verstummt. Nachfolgende Generationen werden seine Standpunkte aufgreifen und weiterentwickeln. 

Die politischen und gesamtgesellschaftlichen Verdienste von Burkhard Hirsch können nicht genug gewürdigt werden. Der ganzheitliche Liberalismus und ein an Werten ausgerichteter Rechtsstaat waren die Antriebskräfte seines liberalen Engagements. Stets blieb er seinem moralischen Grundsatz verpflichtet: „Es gibt keine individuelle Freiheit ohne gesellschaftliche Freiheit.“ Mit liberalen Freunden strengte er zahlreiche Verfassungsbeschwerden an. Mit juristischem Florett focht er erfolgreich gegen das Luftsicherheitsgesetz, das den militärischen Abschuss eines entführten Flugzeuges legitimieren sollte, gegen den sogenannten Lauschangriff und gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Drei Erfolge für die Grundrechte und für eine angemessene Reaktion des Staates auf terroristische Gefährdungen. Hirsch war nicht der Politiker der schnellen Antworten, sondern der reflektierten, fundierten Lösungsvorschläge. Seine Expertise und seine juristische Brillanz beeindruckten Freunde und Kritiker. Für Burkhard Hirsch hatten der Schutz, das Wohl und die Würde des Menschen stets höchste Priorität.  

Was selbstverständlich klingt, ist im ewigen Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit stark umstritten. Hirsch war Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen zu einer Zeit, als die linksextremistische RAF das Land mit Terror überzog. Der Ruf nach einem starken Staat wurde laut. Hirsch, dessen guter Bekannter Hans-Martin Schleyer selbst Opfer der RAF wurde, hörte diesen Ruf. Er war der festen Überzeugung, dass das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit niemals vernachlässigt werden darf. Der Staat müsse daher immer stärker sein als das Verbrechen. Eine materielle Stärkung des Rechtsstaates und seiner Organe wurde von Burkhard Hirsch stets befürwortet. Doch dürfe, so Hirsch, im Kampf gegen das Verbrechen niemals der Zweck die Mittel heiligen. So wandte er sich regelmäßig gegen Gesetzesänderungen, mit denen unter dem Deckmantel der Verbrechensbekämpfung die individuelle Freiheit übermäßig eingeschränkt werden sollte. Die Freiheitsrechte werden in Verfassungen verankert, damit sie nicht beschränkt werden. Gesetze schützen die Freiheit, statt dass sie diese einschränken. Diesem liberalen Grundsatz blieb er auch nach seinem Ausscheiden aus der Tagespolitik verpflichtet.  Er bleibt über seinen Tod hinaus eine Ikone des liberalen Rechtsstaates.

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Burkhard Hirsch, der gebürtige Magdeburger, kämpfte gemeinsam mit Gerhart Baum für die Erneuerung der FDP in Nordrhein-Westfalen, zu einer Zeit, als diese noch ehemalige Nationalsozialisten in ihren Reihen hatte. Der Eintritt in die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt und die darauf folgende neue Ostpolitik wurden von ihm aktiv betrieben und unterstützt. Den Koalitionswechsel 1982 und damit die Abkehr von den sozialliberalen Positionen in der FDP empfand er bis zuletzt als persönliche Niederlage.

Sein Leben und Wirken waren von einer Niederlage jedoch weit entfernt. 1976 erhielt er zusammen mit Egon Bahr den Theodor-Heuss-Preis für seinen Einsatz für die Demokratie. Der aufrechte Gang gegen Antisemitismus und Rassismus ohne jede Relativierung gehörten zu seinen Grundüberzeugungen. Auch in diesem Jahr nahm er an Veranstaltungen zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz teil. Der Fritz-Bauer-Preis wurde ihm für sein Engagement gegen das Vergessen und für das Gedenken an die Kämpfer für den materiellen Rechtsstaat verliehen.

Im Zuge der umfassenden Digitalisierung in allen Lebensbereichen befasste Hirsch sich intensiv mit den Gefahren für den Datenschutz, für die Privatsphäre des Bürgers und für die Demokratie, die wegen des Hasses, der Schmähungen und der Desinformation in Gefahr gerät.

Die FDP-Politiker Burkhard Hirsch, die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhard Baum am Mittwoch, 3. März 2004, vor der Urteilsverkündung im Verfahren über den grossen Lauschangriff.
Die FDP-Politiker Burkhard Hirsch, die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gerhard Baum am Mittwoch, 3. März 2004, vor der Urteilsverkündung im Verfahren über den grossen Lauschangriff. © picture alliance / AP Photo

Wenn Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, forderte er eine humane Asylpolitik. Wenn der Staat seine Bürger ausspioniert, klagte er vor dem Verfassungsgericht. Und wenn Deutschland heute von rechtem Terror bedroht wird, war er der erste, der die Apologeten des Hasses in die Verantwortung nahm. In einem Interview aus dem Jahr 2016 fasste Burkhard Hirsch seine Grundüberzeugung einmal treffend zusammen: „Eine liberale Gesellschaft ohne soziale Verantwortung ist mörderisch.“ 

Burkhard Hirsch vertrat einen modernen, ganzheitlichen Liberalismus, der sich aus der Aufklärung speist und die Würde des Menschen als überragende Maxime jedes politischen Handelns achtete. Liberale seines Schlages werden angesichts der immensen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen dringend gebraucht. Er wird uns ein Vorbild für unsere politische Arbeit bleiben. Seine mahnende Stimme wird uns anspornen.