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Mit diesen sieben Plänen wird es Deutschland besser gehen

Den meisten Deutschen geht es heute so gut wie noch nie. Doch gerade jetzt muss die Politik dafür sorgen, dass das in den nächsten Jahren auch so bleibt.
Fachkräfte gewinnen

Erkennt die Gesellschaft die auf uns zukommende große Integrationsaufgabe?

© iStock/ andresr

Dieser Artikel erschien erstmals am 04. 01. 2018 auf Welt.de.

Merkel-Bashing ist zum politischen Normalfall geworden. So billig wie einfach ermöglicht es mancherorts, von eigenen Schwächen abzulenken und die Verantwortung für selbst verschuldete Fehler auf andere abzuwälzen. Vergessen und verloren geht dabei, dass die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache einige Punkte durchaus gut getroffen hat.

Dazu gehört die nur sehr vage formulierte Absicht, „jetzt die Voraussetzungen dafür (zu) schaffen, dass es Deutschland auch in zehn, 15 Jahren gut geht. Und wirklich gut geht es Deutschland, wenn der Erfolg allen Menschen dient und unser Leben verbessert und bereichert.“ Aus welchen Bausteine müsste eine Agenda 2030 zusammengesetzt sein, damit der Plan Realität wird?

Erstens kann es nicht schaden, „den Staat zum digitalen Vorreiter zu machen“, wie es die Bundeskanzlerin fordert. Aber mit etwas mehr Online-Verwaltung oder einer elektronisch einzureichenden Steuererklärung ist es genauso wenig getan, wie damit, zusätzlich ein paar Kilometer Glasfaserkabel zu verlegen. Mehr und schnellere Breitbandversorgung ist zwar unverzichtbar. Hinreichend, um „bestehende Arbeitsplätze zu sichern wie auch ganz neue Jobs für die Zukunft zu schaffen“, ist das jedoch bei Weitem nicht.

Ein fundamentaler Richtungswechsel ist nötig

Dazu bedarf es, zweitens, der grundsätzlichen Einsicht, dass Digitalisierung zwar viel mit Technologie zu tun hat, wohl noch mehr aber mit „Geisteshaltung“. Notwendig sind eben auch die gesellschaftliche Akzeptanz, der politische Wille und die ökonomische Überzeugung, Digitalisierung als historische Chance für eine komplett andere Arbeitswelt als die der Industrialisierung zu verstehen mit einer gänzlich anderen Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine, einer anderen Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und mit anderen Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodellen als in der Vergangenheit.

Somit ist drittens ein fundamentaler Richtungswechsel der gesetzgeberischen Perspektive einzufordern. „Resilienz“ heißt das neue Zauberwort. Es beschreibt die Fähigkeit eines Systems, sich zweckmäßig, rasch und effektiv an Veränderungen anzupassen. In der Arbeitsmarktpolitik sollte es somit weniger darum gehen, bestehende Beschäftigungsverhältnisse zu schützen, sondern die Beschäftigungsfähigkeit zu fördern – also die Fähigkeit, stets und immer wieder mit dem Strukturwandel mitzuhalten und neuen Anforderungen gerecht werden zu können.

Konkret ergibt sich daraus, viertens, dass die Gesetzgebung starre durch flexible Regeln erst ergänzt, früher oder später wohl aber ersetzen müsste. Nicht mehr der Input, sondern der Output ist zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Auftraggeber und Auftragnehmer zu vereinbaren. Arbeitszeiten und Arbeitsorte – wann und wo was erledigt wird – sollten für Beschäftigte frei wählbar sein.

Fixe Wochenarbeitszeiten müssten genauso durch Jahresarbeitszeiten ersetzt werden, wie fixe Ruhestandsgrenzen durch Lebensarbeitszeitmodelle. Individuell gestaltbare Erwerbskonten – wie sie DIW-Präsident Marcel Fratzscher vorschlägt – könnten eine ökonomisch effektive, gesellschaftlich breit akzeptierte Lösung sein, um für Bildung, Qualifikation, Familie und Ruhestand mehr Flexibilität und Autonomie zu ermöglichen.

Vorsicht vor dem „digital divide“

Weil sich viele Menschen verständlicherweise Sorgen machen, in einer so dynamischen Arbeitswelt abgehängt zu werden, bedeutet das, fünftens, „uns und unsere Kinder mit bester Bildung und Weiterbildung auf den digitalen Fortschritt vorzubereiten“, wie es die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache ausdrückte.

Bildungspolitik muss für Digitalkompetenz sorgen. Und zwar nicht nur bei Jungen, sondern ein Leben lang immer wieder. Damit keine „digital divide“ entsteht, müssen (Weiter-)Bildungs- und (Um-)Schulungsangebote für alle immer und immer wieder offenstehen. Dabei geht es weniger um Wissensvermittlung als um die Fähigkeit, wie man die Wissensflut verdichtet, Wichtiges von weniger Wichtigem trennt und Neues mit Bekanntem vernetzt.

Sechstens ist somit die Forderung der Bundeskanzlerin „die Familien in den Mittelpunkt zu stellen, sie finanziell zu entlasten, damit sie Familienleben und Beruf noch besser vereinbaren können“ zu erweitern. Zur Vereinbarkeit gehört auch, Menschen immer wieder Freiräume zu öffnen, damit sie es sich leisten können, die erforderliche Zeit für einen Neuanfang zu nehmen.

Das gilt in ganz besonderem Maße für jene Beschäftigten, deren Jobs zuallererst durch die Digitalisierung wegfallen werden – also Angestellte, die in Supermärkten an der Kasse sitzen, in Banken Belege weiterverarbeiten, in der Logistik, im Transportgewerbe oder in der Produktion einfache standardisierte Tätigkeiten erledigen.

Aktivierende Bemutterung ist zu defensiv

Ob die freie Zeit für Anpassung und (Weiter-)Bildung durch ein Grundeinkommen, mit einem „Lebenschancenkredit“ (so Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin) oder einem „Chancenkonto“ (so Ex-Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles) finanziert wird, ist letztlich sekundär. Wichtiger ist die Einsicht, dass verbesserte Teilhabe und größere Chancengleichheit mehr Autonomie und zeitlichen Freiraum voraussetzen.

Siebtens ist Angela Merkel rundum zuzustimmen: „Der Leitgedanke der sozialen Marktwirtschaft, dass wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Zusammenhalt zwei Seiten einer Medaille sind, (kann) auch in der Zeit des digitalen Fortschritts unser Kompass sein.“ Die Sozialpolitik muss nicht neu erfunden werden. Sie ist nur zu modernisieren. Wie gesamtwirtschaftlich hat auch mikroökonomisch „Resilienz“ – also die Fähigkeit sich neuen Zeiten anzupassen – das Ziel zu sein.

Die Sozialpolitik auf eine aktivierende Bemutterung der Problemfälle und Sorgenkinder auszurichten ist zu defensiv und rückwärtsgewandt. Klüger ist es, Menschen stets wieder durch Bildung und finanzielle – auch steuerliche – Anreize zu ermutigen und ermächtigen, die Chancen der Digitalisierung zu packen und daraus das Beste für sich und ihre Kindeskinder zu machen.