EN

Liberalismus
Vor 75 Jahren: Liberaler Neubeginn in Berlin und Deutschland

Gedenktafel zur Gründung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands LDP
Gedenktafel zur Gründung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands LDP in Bayerischen Straße in Berlin. © Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf

Eigentlich ist es erstaunlich, dass ausgerechnet Berlin 1945 zum wichtigen Ausgangspunkt liberaler Reorganisationsbemühungen wurde. Denn der Kampf um die „Reichshauptstadt“ gehörten zu den letzten Schlachten des Zweiten Weltkriegs und war besonders erbittert geführt worden. Entsprechend lag hier das Alltagsleben noch mehr danieder als in anderen Teilen des besiegten Deutschland. Zwei Umstände begünstigten einen frühen politischen Neubeginn dort: Zum einen war da der Wille der sowjetischen Besatzungsmacht, politische Pflöcke für eine Nachkriegsgesellschaft einzuschlagen und politische Parteien wieder zuzulassen. Diese Absicht traf sich mit der Tatsache, dass in Berlin als langjährigem politischen Zentrum trotz des Exodus, den die Stadt im letzten Kriegsabschnitt erlebt hatte, immer noch viele Weimarer Politiker ansässig waren. Wo dies nicht der Fall war wie bei den Kommunisten, flogen die Sowjets „Vertrauensleute“ aus dem Exil ein.

Zu den früheren Liberalen, die den Endkampf um Berlin überlebt hatten, gehörten auch die beiden früheren Reichsminister Eugen Schiffer und Wilhelm Külz. Der 1860 in Breslau geborene Schiffer war als Nationalliberaler schon im Kaiserreich Staatssekretär gewesen und dann zu Beginn der Weimarer Republik mehrfach für die Linksliberalen Reichsminister und Fraktionsvorsitzender. Der 15 Jahre jüngere Sachse Külz amtierte zunächst 1925/26 als Reichsinnenminister und dann ab 1931 als linksliberaler OB von Dresden, wo ihn 1933 die Nazis absetzten.

Beide verkörperten also gewichtige Verbindungslinien in den hauptstädtischen Liberalismus des frühen 20. Jahrhundert. Mit wenigen Gleichgesinnter trafen sie sich am 16.6.1945 in einer Wilmersdorfer Wohnung, um die Gründung einer neuen Partei zu beschließen. Vorbild waren die früheren liberalen Parteigründungen, die seit 1861 fast immer von Berlin ausgegangen waren. Und natürlich war an eine Wiederbelebung des Weimarer Linksliberalismus gedacht, sollte der Parteiname doch Deutsche Demokratische Partei sein.

Doch so autonom wie früher konnten Liberale jetzt nicht mehr agieren. Da war zunächst die konkurrierenden Bestrebungen für eine christlich-demokratische Partei, weshalb der eigene Parteiname flugs in „liberal-demokratisch“ geändert wurde. Und da war vor allem die Besatzungsmacht, die selbst den Fahrplan für die Parteigründungen bestimmen und Regularien für die Parteiarbeit festlegen wollte. Deshalb durfte die neue LDP erst mit Verzögerung an die Öffentlichkeit gehen und galt in der DDR der 5. Juli als offizieller Gründungstag.

Auch in anderer Hinsicht zeigte sich der Einfluss der Besatzungsmacht auf die junge Partei, denn kurz darauf musste sie wie CDU, SPD und KPD dem „Block der antifaschistisch-demokratischem Block“ beitreten, der zu einem wichtige Instrument auf dem Weg in die SED-Diktatur wurde.  Und im Herbst musste der erste LDP-Vorsitzende, Schiffers Schwiegersohn Waldemar Koch, seine Position auf Geheiß der Sowjets an Külz abgeben, der ihnen als „flexibler“ galt.

Dieser unübersehbare Einfluss der Besatzungsmacht war der eine Grund, warum 1945 von Berlin aus keine gesamtdeutsche Partei des Liberalismus mehr gegründet werden konnte. In den Westenzonen war die politischen Öffnung für die Deutschen zögerlicher, aber auf Dauer natürlich nachhaltiger. Die westlichen Siegermächte hatten kein Interesse, dass in ihren Zonen von Berlin aus gesteuerte, damit möglicherweise „sowjet-freundliche“ Parteien agierten. Dort erfolgte der politische Neubeginn im Gegensatz zur SBZ, wo vornherein auch bei den Parteien Berlin den Ton angab, von unten nach oben. Der deutsche Nachkriegsliberalismus war zumindest im Westen deutlich föderaler als vor 1933.

Die sich vertiefenden Gegensätze zwischen den Siegermächten unterbanden auch mittelfristig alle Versuche der Liberalen in West und Ost, zumindest in den eigenen Reihen gesamtdeutsche Verbindungen aufrecht zu erhalten. Ihnen fiel auch bald die Eigenständigkeit der LDP zum Opfer, die ab 1948 Schritt um Schritt gleichgeschaltet und zu einem äußerlich loyalen Bestandteil des „Realexistierenden Sozialismus“ wurde. Die liberale Aufbruchsstimmung von 1945 wirkte aber insofern weiter, als viele überzeugte Liberal-Demokraten in den Westen flohen und dort den liberalen Kurs z. T. maßgeblich beeinflussten. Erst durch den Zusammenschluss zur gesamtdeutschen FDP vor 30 und den Umzug der FDP-Bundesgeschäftsstelle nach Berlin-Mitte vor 20 Jahren wurden die Hoffnungen der liberalen Gründungsväter vom Juni 1945 mit Verzögerung dann doch noch Wirklichkeit.