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Coronakrise: Freiheitsrechte in Not

Die ausnahmsweise notwendigen Eingriffe in die persönliche Freiheit der Bürger müssen so schnell wie möglich auslaufen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
© Tobias Koch

Die aktuelle Coronavirus-Pandemie beweist, dass Gesundheitskrisen unser Leben zum Stillstand bringen können. Deutschland befindet sich im totalen Krisenmodus. Krisen führen regelmäßig zu massiven Einschränkungen der persönlichen Freiheiten, man denke nur an Kriege, terroristische Anschläge oder Finanz- und Wirtschaftskrisen, die eines gemeinsam haben: Der Staat ist Krisenmanager, während Demokratie und Freiheitsrechte leiden. Aus guten Gründen gibt es keine Regelung für einen generellen Ausnahmezustand in Deutschland, anders als beispielsweise in Frankreich. Es gilt auch in Krisensituationen die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung, die Grundrechte setzen die Grenzen.

Deshalb ist das Gebot der aktuellen Krise: Keine Freiheitseinschränkung darf unverhältnismäßig sein und über das Ziel hinausschießen. Sie muss zielführend sein, also einen besseren Schutz gefährdeter Menschen ermöglichen. Es gibt keine Pauschalermächtigung zu Freiheitseingriffen in Krisenzeiten, doch können Eingriffe ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn nur so Gefahr für das Leben vieler Menschen abgewendet werden kann.

Ausgangsbeschränkung als absolute Ausnahme

Die Bundesregierung stützte ihre bisherigen Maßnahmen zur Krisenbewältigung auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) von 2000. Dagegen regte sich jedoch zunehmend Kritik, da die darin enthaltenen Kompetenzenregelungen und Rechtsgrundlagen, insbesondere hinsichtlich der durch einige Bundesländer bereits eingeführten generellen Ausgangssperren, als unzureichend erschienen. Vor diesem Hintergrund änderte der Bundestag letzte Woche eilig das IfSG. Das Parlament kann nun eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellen und so das Bundesgesundheitsministerium zu besonderen Eingriffsmaßnahmen ermächtigen. Auch die Rechtsgrundlagen für Ausgangssperren wurden umformuliert und sollen nun eindeutiger greifen.

Es ist zu begrüßen, dass ein klarer Mechanismus für Eintritt und vor allem Aufhebung der Krisenlage gefunden ist. Auch ist es wichtig, dass sich das Parlament diese Kompetenz erstritten hat und nicht die Regierung, die nach dem ersten Gesetzesentwurf noch für das Ausrufen der epidemischen Lage zuständig sein sollte. Der Ausnahmezustand muss sobald wie möglich wieder aufgehoben werden und darf niemals zum Dauerzustand auf unbestimmte Zeit werden.

Bei den Rechtsgrundlagen für die tiefen Eingriffe in die Freiheitsrechte der Menschen bleiben jedoch auch nach der aktuellen Gesetzesänderung Zweifel, ob diese ausreichen und bestimmt genug sind. Zwar können viele der Maßnahmen angesichts der dramatischen Virus-Situation mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip in Einklang gebracht werden und können nach sorgfältiger Abwägung auch Grundrechte wie die allgemeine Handlungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Berufsausübung einschränken. Weitgehendere Ausgangsbeschränkungen müssen aber auf absolute Ausnahmesituationen beschränkt bleiben. Eine strikte Ausgangssperre wird auch weiterhin unverhältnismäßig sein. Es gilt der Grundsatz: Je rigoroser die geplanten Eingriffe, um so größer müssen die realen Gefahren für die Gesundheit und das Leben der Bürger sein. Deshalb muss permanent geprüft werden, ob sich die Gefahrenlage verändert. Wichtig ist auch, dass diese Instrumente nach der aktuellen Krise nicht zum Standard, etwa bei der Bekämpfung gewöhnlicher Grippewellen, werden.

Zunehmend größer wird auch der Ruf, die Möglichkeiten der digitalen Welt zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus zu nutzen. So nutzte China die GPS-Daten der Smartphones der Menschen dazu, um anhand von Bewegungs- und Kontaktprofilen die Ausbreitung des Virus zu bekämpfen. In Deutschland halten Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) derartige Maßnahmen für ein sinnvolles Konzept und haben bereits ausprobiert, wie man anhand von Ortungsdaten aus dem Smartphone die Einhaltung der Kontaktsperren überprüfen kann.

Leicht zu entschlüsseln

Der beruhigend gemeinte Hinweis der Experten des RKI, die verwendeten Smartphone-Daten der Telekom seien ja anonymisiert, ist mit Vorsicht zu genießen. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen eindeutig: Auch anonymisierte Daten lassen sich leicht aufschlüsseln.

Diesen Vorschlägen begegnen aber auch darüber hinaus schwerwiegende Bedenken. Die Ausforschung und intensive Überwachung der Bürger sind keine Mittel des freiheitlichen Rechtsstaates, sondern autoritärer Systeme.

Es ist unklar, wie zielführend und praktikabel die Verwendung dieser Daten überhaupt ist, denn die Handy–Ortung über Funkzellen ist sehr grobkörnig. Was passiert, wenn Menschen, die in Hochhäusern wohnen, aufgefordert werden, Abstand zu halten? Die werden doch wahnsinnig. Deshalb sollte nach weniger eingriffsintensiveren Maßnahmen gesucht werden, wie eine freiwillig heruntergeladene App.

Die Erfahrungen in Deutschland in den letzten Jahren zeigen, dass einmal geschaffene Datenbanken und Eingriffsbefugnisse nicht nur schwer wieder aufzuheben sind, sondern die Begehrlichkeiten groß sind, die Daten auch zu anderen Zwecken zu nutzen. Deshalb muss es bei allen Sondermaßnahmen eine zeitliche Befristung geben und eine klare Definition, dass der Zugriff nur für die Corona-Krise gestattet ist.

Besondere Krisen machen besondere Maßnahmen unumgänglich. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass es auch eine Zeit nach der Krise geben wird. Die ausnahmsweise notwendigen Eingriffe in die persönliche Freiheit der Bürger müssen so schnell wie möglich auslaufen. Und auch in einer Krise ist nicht alles erlaubt.

 

Der Artikel erschien am 01.04 in der Volksstimme und ist hier zu finden.

Ralf Fücks im Gespräch mit der ehe­ma­li­gen Jus­tiz­mi­nis­te­rin Sabine Leu­theus­ser-Schnar­ren­ber­ger: Wie können libe­rale Demo­kra­tien auch in Zeiten der Covid-19-Pan­de­mie ihre Grund­werte bewah­ren und zugleich effek­tiv handeln?

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