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Europa
Startschuss für deutsch-französische parlamentarische Zusammenarbeit

Neue Versammlung von Bundestag und Assemblée nationale tagte erstmals in Paris
Blick in den Salle Lamartine während der konstituierenden Sitzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung.

Blick in den Salle Lamartine während der konstituierenden Sitzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung.

© Deutscher Bundestag/ Sylvia Bohn

Paris stand diese Woche im welt- und europapolitischen Mittelpunkt. Am Vortag des Treffens zwischen dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatspräsident Emmanuel Macron sowie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fand sich am Montag die hundertköpfige deutsch-französische parlamentarische Versammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Schnell wurde klar: nahezu alle Mitglieder sind an einer konstruktiven bilateralen Zusammenarbeit interessiert, die ebenfalls der europäischen Integration als Ganzes zugutekommen soll.  

„Die neue Versammlung wird die Souveränität beider Staaten weder beeinträchtigen noch abschaffen.“ Mit diesen Worten nahm Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gleich zu Beginn der gemeinsamen Sitzung den Skeptikern rechts und links des Rheins den Wind aus den Segeln. Die deutsch-französische parlamentarische Versammlung, eine bisher einzigartige Zusammenarbeit der Parlamente zweier Länder, ist eine Ergänzung der bisherigen Kooperation. Diese ist vertraglich im Elysée-Vertrag von 1963 und dem in diesem Jahr beschlossenen Aachener Vertrag festgehalten. Letzterer hatte die parlamentarische Zusammenarbeit eher stiefmütterlich behandelt, im Januar war es in letzter Minute gar zu einer Terminüberschneidung zwischen der deutschen und französischen Exekutive und ihren Parlamenten gekommen, so dass die Unterzeichnung des Abkommens verschoben werden musste.

Gemeinsam für Europa

Solche Verstimmungen sind nun passé. War es Zufall, dass das deutsch-französische Parlamentsabkommen am 25. März, also auf den Tag genau 62 Jahre nach den Römischen Verträgen, unterzeichnet wurde? Wahrscheinlich. Das Datum steht aber exemplarisch für die Botschaft, die das neue Abkommen aussendet: die deutsch-französische Kooperation soll in einen europäischen Kontext gestellt werden.

In den Wortbeiträgen der Abgeordneten während der ersten Sitzung standen die Aufgaben der neuen Institution im Vordergrund. Hierzu gehört die Überwachung der Einhaltung des Elysée-Vertrags sowie des Aachener Vertrages durch die Exekutiven beider Länder und die Begleitung des jährlich tagenden Deutsch-Französischen Ministerrats und des neu geschaffenen Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats. Ein zentraler Punkt des Abkommens ist zudem die Erarbeitung von Vorschlägen, die die deutsch-französischen Beziehungen betreffen und die der Rechtsangleichung zwischen beiden Ländern dienen sollen. Dies betrifft den deutsch-französischen Wirtschaftsraum, grenzüberschreitende Transportnetze oder die Gesundheitsversorgung in Grenzregionen. 

Neuer Impulsgeber

Die Versammlung hat vor allem die Rolle eines Impulsgebers für die zukünftige bilaterale Kooperation. Sie kann zwar weder Gesetze noch Sanktionen beschließen, jedoch gezielt gemeinsam entwickelte Vorschläge in die nationale Parlamentsarbeit einbringen. Die Zusammenarbeit von Bundestag und Assemblée nationale erhält so eine ganz neue Dimension, da jenseits der Exekutive in Ausschüssen und Arbeitsgruppen an konkreten Vorschlägen gearbeitet werden kann. Dafür muss die Versammlung erst einmal banal anmutende administrative Hürden nehmen und sich eine gemeinsame deutsch-französische Arbeitsordnung geben, wie die Abgeordneten am Montag erfahren mussten. Eine kurzfristig von der Fraktion Die Linke eingebrachte Resolution kann nach den Regeln der Assemblée nationale nicht debattiert werden, im Deutschen Bundestag wäre dies möglich.


„Die Volksvertretungen beider Länder haben jetzt die Chance, konkrete Projekte voranzubringen, die unser Europa für die Bürgerinnen und Bürger mit all seinen Vorteilen erfahrbar macht“, begrüßte Nicola Beer, FDP-Generalsekretärin und Spitzenkandidatin für die Europawahl, die neue Institution. Auch Michael G. Link, europapolitischer Sprecher der FDP-Fraktion und Vorstandsmitglied sowohl der neuen deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung als auch der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, freute sich auf die kommende Arbeit. Er plädierte dafür, auf eine Kultur des Vertrauens statt Misstrauens zu setzen. Ziel der Versammlung sei es, den Vertrag von Aachen mit Leben zu füllen und für die Bürgerinnen und Bürger erlebbar zu machen. Dies betreffe die Wirtschafts- und Sozialpolitik ebenso wie die Regulierung der Eurozone, wo man die neuen Instrumente der Versammlung im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft kreativ nutzen und dabei auch voneinander lernen könne. Den chinesischen Staatsbesuch kommentierend merkte Link an, dass man nur gemeinsam stark sei – genug Destabilisierungsversuche von außen gäbe es allemal.

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Die nächste Sitzung der Versammlung wird in Deutschland stattfinden, wahrscheinlich in Berlin. Dann wird sich zeigen, ob der kühne Wunsch von Parlamentspräsident Richard Ferrand, dass alle Abgeordneten am Ende der Legislaturperiode fließend die Sprache des Nachbarlandes sprächen, eine Chance auf Erfüllung hat. Derzeit sind vor allem die Parlamentsdolmetscher noch die eigentlichen Brückenbauer zwischen beiden Ländern – mais on verra bien (sinngemäß dt.: es wird sich noch zeigen)!

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Blick hinter die Kulissen

Im Anschluss an das offizielle Programm beider Parlamente lud die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zu einem deutsch-französischen Hintergrundgespräch mit Michael G. Link sowie Sabine Thillaye, deutsch-französische Abgeordnete der Nationalversammlung, Vorsitzende des Europaausschusses sowie ebenfalls Vorstandsvorsitzende der neuen deutsch-französischen parlamentarischen Versammlung, ein. Die komplett auf Französisch geführte Diskussion lieferte zahlreiche Einblicke hinter die Kulissen der mehr als zwölfmonatigen Vorbereitung der binationalen Arbeitsgruppe und offenbarte interessante interkulturelle Unterschiede in der Herangehensweise an politisches Gestalten. Auch zeigte sie Antworten auf die Frage nach den nächsten Arbeitsschritten der Versammlung und einer möglichen Überwindung der Bürgerferne nationaler und europäischer Politik durch das neu angestoßene deutsch-französische Modellprojekt auf. Deutlich wurde auch, dass selbst zwischen scheinbar ähnlichen Ländern wie Deutschland und Frankreich selbst nach jahrelanger Kooperation auf politischer, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene noch ausreichend Handlungsbedarf besteht. „Il reste encore beaucoup à faire (dt. „Es gibt noch viel zu tun“)“, wie ein Teilnehmer der Versammlung den eigenen Arbeitsauftrag sehr treffend zusammenfasste.

 

Carmen Gerstenmeyer ist European Affairs Managerin im Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel und koordiniert die Stiftungsaktivitäten in Frankreich.