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Die Wiederentdeckung des Westbalkans

EU-Westbalkan-Gipfel in Sofia
Die Wiederentdeckung des Westbalkans
Bereits vor 5 Jahrene initiiert und hier im Jahr 2015, die Westbalkankonferenz in Wien. © Bundesministerium für Europa, Integration und Äusseres CC BY 2.0 I adaptiert

Am 17. Mai trafen sich in Sofia die Spitzen der EU und der Westbalkan-Staaten. Auch wenn die Erklärung von Sofia den Dialog qualitativ verbessert, erscheint eine schnelle Erweiterung der Union unrealistisch. Wichtiger bleibt es, das europäische Engagement in der Region glaubhaft zu stärken und auch Fehlentwicklungen klar anzusprechen.

Die Zukunft der Balkanstaaten liegt in der Europäischen Union. Das ist offizielle Linie Brüssels seit 2003 als Serbien, Montenegro, Kosovo, Bosnien & Herzegowina, Albanien und Mazedonien die Perspektive eines Beitritts zugesagt wurde. Zur Begleitung des Prozesses sollte alle drei Jahre eine Konferenz  stattfinden. Seitdem sind 13 ost- und zentraleuropäische Staaten der Union beigetreten und die sogenannten WB6-Staaten verbleiben von EU-Mitgliedern umringt im „Warteraum“.

Trotz merklich abgekühlter Erweiterungseuphorie hat die EU im Februar eine neue Westbalkan-Strategie vorgelegt, gefolgt von Fortschrittsberichten für die einzelnen Länder. Serbien und Montenegro wird 2025 als möglicher Zeitpunkt für einen Beitritt zur Union genannt. Die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien wird empfohlen. Die Strategie nennt sechs Initiativen bei denen die EU verstärkt mit den WB6 zusammenarbeiten möchte. Damit soll verdeutlicht werden, dass es mehr Engagement aller Seiten bedarf, um den Beitrittsprozess mittelfristig abzuschließen. Unter diesen Vorzeichen fand in Sofia der EU-Westbalkan-Gipfel statt, an dem die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten und der WB6 teilnahmen.

Neue Strategie, bekannte Herausforderungen

Groß waren die Erwartungen, als die Kommission ihre Strategie veröffentlichte. Doch glichen die - für EU-Jargon - deutlichen Worte eher einer kalten Dusche für die betroffenen Hauptstädte. Zwar wurden Montenegro und Serbien der Beitritt 2025 in Aussicht gestellt, gleichzeitig aber auch von einem „extrem ambitionierten" Zeitplan gesprochen. Deutlicher werden Brüsseler Kreise im direkten Gespräch: 2025 sei als Zielmarke für beide zu hoch gegriffen. Bosnien & Herzegowina und Kosovo seien noch relativ weit entfernt, überhaupt die Kriterien für Beitrittskandidaten zu erfüllen. Der Kosovo wird zudem von fünf EU-Mitgliedern nicht anerkannt, was einen Beitritt formal ausschließt. Einzig die Fortschritte, die Albanien und Mazedonien gemacht haben, könnten dazu führen, dass der Rat im Sommer ein Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen nennt. Für alle Staaten gilt als Beitrittskriterium, dass sämtliche Grenzstreitigkeiten beigelegt sein müssen. Die EU hat daraus gelernt, dass importierte Grenzkonflikte wie bspw. zwischen Kroatien und Slowenien zu einer belasteten Vertrauensbasis führen. Selbstredend müssen auch der griechisch-mazedonische Namensstreit und die Frage des Status des Kosovo abschließend und völkerrechtlich wasserdicht geklärt werden. Vor diesem Hintergrund betont Michael Link, europapolitischer Sprecher der FDP, dass die Mitgliedschaft der WB6 zwar das Ziel sein muss, es aber voreilig sei ein Datum zu nennen. Der Beitrittsprozess müsste sich klar an den Leistungen der Kandidaten orientieren.

Die Wiederentdeckung des Westbalkans
Die Länder des Westbalkans © Marko7 Wikimedia CC BY-SA 3.0 I adaptiert

Im Hinblick auf das Treffen in Sofia kann daher nicht von einem Erweiterungsgipfel gesprochen werden. Das Thema stand dort nicht auf der Agenda. Und dennoch war die Zusammenkunft wichtig,  um Schwung in die europäischen Bemühungen um die Region zu bringen. Europa hat erkannt, dass es statt Instabilität zu importieren, dazu übergehen muss, konsequenter Stabilität in Form von Unterstützung bei der Förderung demokratischer Institutionen zu exportieren. Ein erstes wichtiges Signal wäre, dass sämtliche EU-Staaten beim Gipfel möglichst hochrangig präsent sind. Auch die fünf Staaten, die den Kosovo formal bislang nicht anerkennen.

Die sechs in der Strategie genannten Aktionspläne sind noch nicht ausformuliert und mit Wegmarken versehen worden. In Sofia wurden eher weichere Themen wie Transport- und Energiekonnektivität und Fragen der Sicherheit und Migration besprochen. Die dicken Bretter Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte, wirtschaftliche Reformen, Versöhnung und gute nachbarschaftliche Beziehungen werden nicht mehr im Rahmen der bald endenden bulgarischen Ratspräsidentschaft diskutiert. Bis Ende des Jahres soll eine Arbeitsgruppe auch eine Digitale Agenda für den Westbalkan formulieren.

Brüssel probiert den Balance Akt

In Brüssel ist bekannt, dass der Westbalkan eine europäische Perspektive braucht. Die Befürchtung ist, dass ansonsten politische Krisen oder zwischenstaatliche Konflikte mitten in Europa auf die Mitgliedsstaaten ausstrahlen. Ein Machtvakuum im Westbalkan könnte Akteuren wie Russland und Türkei größere Einflussmöglichkeiten bieten. Gleichzeitig ist den reform- und erweiterungsmüden Gesellschaften der Mitgliedsstaaten ein Beitritt in absehbarer Zeit nur schwer vermittelbar. Die großen europäischen Krisen der vergangenen Jahre wirken noch nach. Konsequenterweise wird in der Strategie aufgezeigt, woran die Staaten noch arbeiten müssen, um die europäische Perspektive zu verwirklichen. Das ist wichtig, um unrealistische Erwartungen, die sich ins Gegenteil verkehren könnten, gar nicht erst aufzubauen. Gleichzeitig startete die EU eine diplomatische Offensive: Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker besuchten die Staats- und Regierungschefs der Region in den vergangenen Wochen. Mit direkter Kritik hielten sie sich bei den offiziellen Terminen vornehm zurück. Viele zivilgesellschaftliche Akteure hatten sich gewünscht, Rückschritte bei der Rechtsstaatlichkeit und beim Schutz der Grundrechte deutlicher zu benennen. „Während die Berichte der Kommission den richtigen Ton treffen, muss man die Auftritte der europäischen Führungspersonen schon fast als realitätsfern bezeichnen“, kritisierte Vukosava Crnjanski vom Centre for Research, Transparency and Accountability.

Sofia als Startschuss für intensivierten Dialog

Kurzfristig wird es keine neuen Beitritte zur EU geben. Mittelfristig kann die EU von demokratischen Reformen und Frieden in der Region profitieren. Das aber nur, wenn sie sich selber fit macht für eine erneute Erweiterung. Frankreichs Präsident Emanuel Macron hat vor dem Europäischen Parlament betont, dass die Reform der europäischen Institutionen erst abgeschlossen sein muss, bevor man über neue Mitglieder nachdenken kann. Eine Erweiterung um jeden Preis soll es nicht geben. Zu hoffen bleibt, dass der Gipfel in Sofia einen Startschuss gibt. Damit die kommenden Ratspräsidentschaften Österreichs und Rumäniens - beides Staaten mit ausgeprägtem Interesse an der Region - den Prozess der schrittweisen Heranführung bei Beibehaltung klarer Zielmarken fortsetzen.

Ruben Dieckhoff ist Projektleiter der Stiftung für die Freiheit für den Westbalkan.

Daniel Kaddik ist Projektleiter der Stiftung für Südosteuropa.

Für Medienanfragen kontaktieren Sie unseren Westbalkan-Experten der Stiftung für die Freiheit:

Ruben Dieckhoff
Ruben Dieckhoff