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Welthandelsorganisation
Zurück an die Arbeit

Nach vier Jahren Stillstand kann die WTO unter Ngozi Okonjo-Iweala nun endlich wieder Fahrt aufnehmen
Ngozi Okonjo-Iweala bei einer Pressekonferenz im Hauptquartier der WTO
Ngozi Okonjo-Iweala bei einer Pressekonferenz im Hauptquartier der WTO © picture alliance/KEYSTONE | MARTIAL TREZZINI

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Welthandelsorganisation (WTO) mit Ngozi Okonjo-Iweala endlich eine neue Generalsekretärin bekommt. Heute trifft sich der Allgemeine Rat, das zweithöchste Gremium der WTO, zu einer Sondersitzung, um über die Besetzung der Spitzenposition zu beraten. Die Welthandelsorganisation gehört neben dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zu den wichtigsten Institutionen der Weltwirtschaft. Die 1994 gegründete Organisation umfasst mit 164 Mitgliedsstaaten fast alle Länder der Erde und verfolgt das Ziel eines möglichst freien Handels in einer regelbasierten Welthandelsordnung.

Seit dem frühzeitigen Rücktritt des Generaldirektors Roberto Azevêdo im August 2020 ist die Spitzenposition der WTO vakant. Trotz breiter Unterstützung für die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala, haben die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump den notwendigen Konsens für die Besetzung blockiert. Der mittlerweile abgewählte Präsident hielt an der südkoreanischen Handelsministerin Yoo Myung Hee für die Position fest und sprach Okonjo-Iweala gar die fachliche Eignung ab. Das verwundert angesichts ihrer 30-jährigen Erfahrung in der Weltbank und ihrer Ausbildung als Ökonomin an US-Eliteuniversitäten. Es sah danach aus, als wollte der protektionistische Trump eine in Verhandlungen erfahrende und vernetzte Multilateralistin an der Spitze der WTO verhindern. Anfang Februar hat ihre Konkurrentin aus Südkorea nach Rücksprache mit der neuen US Administration jedoch den Rückzug ihrer Kandidatur erklärt. Damit ist der Weg für einen Neuanfang bei der WTO frei. Die ehemalige nigerianische Finanzministerin wäre die erste Frau und Afrikanerin an der Spitze der Welthandelsorganisation.

Herausforderungen wohin man schaut

Die Herausforderungen für die neue Generaldirektorin könnten nicht größer sein. Die Organisation steckt in der tiefsten Krise ihrer noch jungen Geschichte. In ihren drei Kernaufgaben – der Schaffung eines Forums für Handelsliberalisierung, der Überwachung der Einhaltung bestehender WTO Regeln und die regelbasierte Bewältigung von Handelsstreitigkeiten ihrer Mitglieder - ist die WTO derzeit gelähmt. Der Prozess der multilateralen Handelsliberalisierung verläuft in der Regel über Verhandlungsrunden. Die sogenannte Doha Runde, die nach der Ministerkonferenz der WTO in Doha/Katar 2001 begonnen hat, gilt als gescheitert. Bei der Überwachung der Einhaltung bestehender Regeln kann die WTO ihre Rolle nur bedingt erfüllen, weil die Mitglieder ihrer Notifizierungspflicht über handelserleichternde und handelsbeschränkende Maßnahmen nicht ausreichend nachkommen. Der Streitschlichtungsmechanismus der WTO wird seit Sommer 2017 von der US-Administration blockiert, in dem Washington bei der Ernennung neuer Juristinnen und Juristen für die Berufungskammer die Zustimmung verweigert. Um überhaupt tätig zu werden braucht die für die Schlichtung von Streitfällen wichtige Kammer drei Richter und kann daher seit dem 10. Dezember 2019 keine Fälle mehr bearbeiten. Hinzu kommen die Konflikte zwischen den drei größten Handelsblöcken USA, EU und China, eine globale Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen sowie zahlreiche neue Themen, vor allem solche im Zusammenhang mit der Digitalisierung, denen sich die WTO eigentlich stärker annehmen müsste.

Die neue Generaldirektorin wird gemeinsam mit den Mitgliedern an einer Reformagenda für die WTO arbeiten müssen. Angesichts der zahlreichen Handelskonflikte, bedarf es vor allem einer Reform des Streitschlichtungsmechanismus. Dieser ist wichtig, damit die Regeln der WTO durchgesetzt und Handelsstreitigkeiten in einem ordnungsgemäßen Verfahren geregelt werden. Schon vor der Trump-Blockade haben die Verfahren vor der Berufungskammer häufig die vorgeschriebene Frist von 90 Tagen überschritten und Entscheidungen wurden dafür kritisiert, dass sie in einigen Fällen über den tatsächlichen Streitgegenstand hinausgingen. Die neue Generaldirektorin könnte sich für eine Erhöhung der Richterzahl von sieben auf neun einsetzen sowie gleichzeitig eine Begrenzung des Streitgegenstandes auf den tatsächlichen Fall voranbringen. Damit würden zumindest einige der Kritikpunkte der USA, die auch schon unter der Obama-Administration vorgebracht worden sind, adressiert und Okonjo-Iweala könnte mit dem neuen US Präsident daran arbeiten, dass die USA der Neubesetzung von Richterposten wieder zustimmen um die Kammer wieder arbeitsfähig zu machen.

Zurück an den WTO Verhandlungstisch

Genauso wichtig wie der Streitschlichtungsmechanismus sind für den Welthandel die Verhandlungen für weitere Handelsliberalisierungen. Der letzte erfolgreiche Abschluss einer multilateralen Verhandlungsrunde, die Uruguay-Runde, liegt mittlerweile mehr als 25 Jahre zurück und mündete in der Gründung der WTO. In der Zwischenzeit konnte zwar mit dem Abschluss des WTO-Übereinkommen über Handelserleichterungen (Trade Facilitation Agreement, TFA) auf der Ministerkonferenz 2013 in Bali ein erster Erfolg vermeldet werden, aber insgesamt findet ein großer Teil der Handelsverhandlungen mittlerweile im regionalen und bilateralen Kontext außerhalb der WTO statt. Auch hier gibt es erfolgreiche Abschlüssen in vielen Teilen der Welt. Die Panafrikanische Freihandelszone (AfCFTA), die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) oder das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) sind dabei nur einige Beispiele von Vielen. Angesichts der Tatsache, dass mehr als Zweidrittel des europäischen und des amerikanischen Außenhandels mit Partnern unter WTO Regeln stattfinden, ist die Notwendigkeit multilateraler Verhandlungen in der WTO ungebrochen. Für den globalen, regelbasierten Freihandel wäre es zum einen wichtig, dass neue Handelsabkommen anknüpfungsfähig für das Welthandelssystem sind und die WTO besser wird in der Verzahnung mit regionalen Handelsabkommen. Im Idealfall sind dann regionale und bilaterale Freihandelsabkommen eine Basis für Einigungen auf multilateraler Ebene. Zum anderen ist es fraglich, inwieweit das, in der WTO vorherrschende, single-undertaking-Prinzip (“Nothing is agreed until everything is agreed.”) angesichts der stark gewachsenen und diversen Mitgliedschaft noch in allen Verhandlungen zielführend ist. Zwar sollten umfassende Abkommen unter allen Mitgliedern weiterhin der Goldstandard sein, aber um voranzukommen können auch plurilaterale Verhandlungen ein Weg sein, um schneller Fortschritte in einzelnen Themenbereichen zu erzielen. Dabei wären nicht alle Mitglieder in die Verhandlung involviert. Von den neuen Regeln können sie dann aber entweder direkt profitieren oder sobald sie bestimmte Vorbedingungen erfüllen. Aktuell laufen unter dem Dach der WTO plurilaterale Verhandlungen zu Themen wie E-Commerce, Investitionserleichterungen und Dienstleistungen. Die designierte neue WTO Generaldirektorin Okonjo-Iweala wird mit ihrer langjährigen Erfahrung in multilateralen Organisationen gemeinsam mit den Mitgliedern neue Verhandlungsformate entwickeln müssen, damit die WTO wieder ihre zentrale Rolle in Handelsverhandlungen erfüllen kann. Als Staatsbürgerin Nigerias und der USA, ist sie prädestiniert dabei auch Brücken zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern zu bauen. Das wird schon bei Diskussionen über die umstrittene Frage, welches Land sich als Entwicklungsland bezeichnen darf und von entsprechende Ausnahmen profitiert, beginnen.

Neue Relevanz für die WTO

In der Bekämpfung der COVID-19 Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen bedarf es eines klaren Signals der WTO für offene Märkte und eine Absage an Protektionismus und Exportverbote. Hier könnte die neue Generaldirektorin sich direkt an die G20 wenden und für ein klares Bekenntnis werben, um dieser Forderung Gewicht zu verleihen. Insgesamt wird die neue Generaldirektorin die Relevanz der WTO auch durch ihren Umgang mit neuen Themen wie der Regulierung des digitalen Handels oder den chinesischen Handelspraktiken unter Beweis stellen müssen. Das Ziel eines fairen und regelbasierten globalen Welthandelssystems ist zu wichtig, um die Welthandelsorganisation links liegen zu lassen. Neben einer neuen Generaldirektorin, braucht es deswegen, wie schon zur Gründung der WTO, auch eine transatlantische Kraftanstrengung, damit die Welthandelsorganisation wieder zum zentralen Ort für den Abbau von Handelshemmnissen sowie der Schaffung und Durchsetzung von verbindlichen Regeln für den Freihandel werden kann. Die EU wird hierzu in naher Zukunft einen ersten Aufschlag mit ihrer neuen Handelsstrategie und einem konkreten Entwurf für eine WTO Reform machen. Der neue US Präsident Joe Biden gilt zwar nicht als leidenschaftlicher Freihändler aber im Gegensatz zu Trump setzt er verstärkt auf multilaterale Organisationen wie die WTO und hat sich schon bei der Frage der neuen Generaldirektorin von seinem Vorgänger abgegrenzt.