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#JetztMutMachen
"Wir wollen für kranke Kinder auch außerhalb der Praxis da sein"

Ein Interview mit Dr. Jan Falkenberg, Gründer der digitalen Arztpraxis "KinderarztNow"
Jan Falkenberg

Dr. Jan Falkenberg ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. Viele Jahre arbeitete er in einer Gemeinschaftspraxis im Prenzlauer Berg. Mit KinderarztNow.de, der ersten digitalen Kinderarztpraxis Deutschlands, bietet er sein Wissen in telemedizinischen Sprechstunden an.

Herr Falkenberg, wie erleben Sie als Kinderarzt die Eltern in der Corona-Krise?

Die meisten Eltern wissen inzwischen, dass Kleinkinder in der Regel nur leicht erkranken. Trotzdem sind sie verunsichert, wenn sie ihr hustendes und fieberndes Kind vor sich haben. Und nicht nur die Sorge um das Kind belastet sie: Wie organisiere ich jetzt meinen Beruf, wie meine Familie? Was ist mit den Großeltern? Vielleicht ist die Mutter schwanger und macht sich große Sorgen um das ungeborene Kind. Viele Eltern suchen nach Antworten bei Dr. Google. Dort finden sie alle möglichen Geschichten, die sie nicht mehr ruhig schlafen lassen. Diese Informationen selbst zu filtern, ist für die Eltern sehr schwierig. Deshalb brauchen sie in dieser unsicheren Lage einen Kinderarzt. Jemanden, der den Eltern evidenzbasierte Antworten auf ihre Fragen gibt.

Sie haben KinderarztNow gegründet. Was ist die Idee hinter?

Die Idee von KinderarztNow ist, den Eltern genau diese evidenzbasierten Antworten zu liefern. Allerdings räumlich und zeitlich losgelöst von der klassischen Kinderarztpraxis. Denn Viren, Bakterien, Husten und Schnupfen interessieren sich nicht für Praxis-Öffnungszeiten. Und wenn Eltern sich Sorgen machen, benötigen Sie sofort einen Ansprechpartner. Viele Probleme lassen sich dabei auch ohne einen Arztbesuch klären. Zusätzlich sehen wir als Kinderärzte aber eine aktuelle Entwicklung, die uns Sorgen bereitet: Aus Angst, sich mit dem Corona-Virus anzustecken meiden viele Familien die Kinderarztpraxen, obwohl ihre Kinder ernsthaft erkrankt sind und dringend unsere Hilfe benötigen. Auch hier setzten wir an und beraten die Eltern telemedizinisch. Wir unterstützen die Eltern darin, dass die Kinder, wenn nötig, „offline“ vom Kinderarzt gesehen werden müssen.

Telemedizin ist doch nicht neu. Oder doch?

Es gibt viele Länder, die uns auf diesem Gebiet schon weit voraus sind. Nehmen wir die Schweiz, Australien, USA, Norwegen, Schweden. Dort hat man bereits seit Jahren gute Erfahrungen mit der Telemedizin gemacht und diese vielerorts fest in das Gesundheitssystem integriert. Wir haben in Deutschland diese Entwicklung nur sehr zögerlich vorangetrieben. Aber natürlich macht die Digitalisierung in der Medizin nicht vor unserem Gesundheitssystem und vor uns Kinderärzten halt. Und es gibt viele sehr gute Ideen, wie man die Versorgung mithilfe der Telemedizin verbessern kann. Wir müssen noch weiter testen, an welchen Stellen uns die Technik konkret nützt.

Ich bin davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft erst jetzt so richtig verstehen, wie wertvoll ein gut funktionierendes Gesundheitssystem ist und dass wir diese Ressource entsprechend schonen müssen.
Hier kann Telemedizin einen zentralen Beitrag leisten. Indem wir etwa dabei helfen, Patienten vor dem Eintritt in das Gesundheitssystem – sei es die Kinderarztpraxis oder eine Notaufnahme– zu triagieren. Also diese Fragen beantwortet werden: Wen kann ich online zuhause behandeln? Wer muss in einer Praxis untersucht werden? Wer sollte direkt in die Notaufnahmen gehen?

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Wie funktioniert KinderarztNow?

Der Weg zum Kinderarzt ist sehr einfach. Zunächst erfolgt die Terminvereinbarung über die Webseite oder unsere Telefonhotline. Die Eltern erhalten einen Link mit einem PinCode und wählen sich damit zum vereinbarten Termin in das virtuelle Wartezimmer ein. Der Kinderarzt ruf den Patienten per Video ab und beginnt die Videosprechstunde. KindarztNow verwendet dafür eine von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifizierte Software, die die hohen Sicherheitsanforderungen erfüllt. Natürlich können auch Bilder oder Befunde ausgetauscht werden. Im Anschluss an die Beratung erhalten die Eltern eine Zusammenfassung des Telefonats mit einer schriftlichen Therapieempfehlung.

Für viele Familien ist die Corona-Pandemie eine Belastungsprobe. Ihr Tipp als Familienvater?

Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, einen festen Tagesplan zu erstellen. Kinder kennen das meistens aus Ritualen, die sie in den Kitas praktizieren. Aus den Schulen kennt man seit jeher Stundenpläne. Und alle Erwachsenen kennen feste Zuständigkeiten im Berufsalltag. Das Gleiche empfehle ich für zuhause. Jeder braucht seine Freiräume. Um sich die zu sichern, sind ausdrücklich niedergeschriebene Regeln und Pläne hilfreich. Dann weiß jedes Familienmitglied, wann es Zeit und Raum für sich hat und wofür es zu welchem Zeitpunkt verantwortlich ist. Und diesen Plan muss man auch verlässlich befolgen.

 

Dieses Interview wurde am 26.03.2020 von freiheit.org per Skype geführt.

Weltweit zeigen Menschen, dass sie in der Krise zusammenhalten und sich um den anderen kümmern. Wir wollen die nächsten Tage und Wochen nutzen, um Mut zu machen, Denkanstöße zu liefern und Diskussionen anzuregen. In dieser Reihe geben wir Einblick, wie gegenseitige Unterstützung ohne Fatalismus aussehen kann und geben der Freiheit eine Stimme – weil Freiheit ohne Zusammenhalt keine ist.