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Serbien: Schwule und Lesben „vorübergehend“ zu unerwünschten Personen erklärt

Pride
© picture alliance / EPA-EFE | VALDRIN XHEMAJ  

Im konservativen Weltbild des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić – und in dem seiner Wählerschaft – haben gleichgeschlechtliche Partnerschaften und alternative Lebensentwürfe keinen Platz, wenngleich der Präsident unlängst die in einer lesbischen Partnerschaft lebende Ana Brnabić als Premierministerin bestätigte. Seit Jahren führt Vučićs Serbische Fortschrittspartei (SNS) das Land gesellschaftlich zurück in die Vergangenheit: die Trennung zwischen Kirche und Staat verschwimmt zusehends, mittelalterlich anmutende Denkmäler für serbische Nationalhelden werden errichtet und „traditionelle serbische Werte“ wie Familie und Vaterland werden über Gebühr hochgehalten.

In diesem gesellschaftlichen Klima heizte sich die Debatte über die Mitte September in Belgrad geplante EuroPride – ein pan-europäisches LGBTIQ-Event, das jedes Jahr in einer anderen europäischen Stadt stattfindet – radikal auf: ein serbisch-orthodoxer Bischof verstieg sich gar zu der Aussage, er werde die Teilnehmer „verfluchen“. Als ob das nicht genug wäre, legte er noch nach: „Wenn ich eine Waffe hätte, ich würde sie benutzen!“

Die Geister, die er rief, wird Vučić mitunter nicht los. Am Sonntag sagte er die eigentlich durch die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit gedeckte EuroPride 2022 kurzerhand ab: Serbien habe mit dem Kosovo-Konflikt, mit Nahrungsmittelknappheit, Dürre und Energieproblemen genug am Hals und könne sich nicht um alles kümmern. In Wahrheit dürften andere Gründe dahinterstehen, wie Stefan Šparavalo vom LGBTIQ-Stiftungspartner „Da se zna!“ (dt.: „Mach es bekannt!“) im Interwiew mit freiheit.org in Serbien berichtet.

freiheit.org: Präsident Vučić hat die Absage der EuroPride damit begründet, Serbien habe mit „dem Kosovo, Nahrungsmittelknappheit, Dürre und Energieproblemen“ genug zu tun und könne sich deshalb nicht „um alles kümmern“. Was sind die wahren Gründe hinter der Einschränkung von Grundrechten für LGBTIQ-Personen?

Šparavalo: Ich glaube, dass der wahre Grund für das politische Ränkespiel mit der EuroPride der Versuch ist, die immer stärker werdende extreme Rechte in Serbien einzuhegen – also die extrem Rechten, die nicht unter Vučićs Kontrolle stehen. Gleichzeitig tut er dies, um dem rechtsorientierten Teil seiner Wählerschaft zu gefallen. Letztendlich glaube ich, dass das versuchte Verbot auch als medienwirksames Spektakel inszeniert wird, um von einem jüngst erzielten Kompromiss mit dem Kosovo hinsichtlich der Anerkennung kosovarischer Ausweise abzulenken.

Pride

Wie sind die Reaktionen der serbischen LGBTIQ-Community auf die Absage? Ist man entsetzt oder resigniert man, weil diskriminierendes Verhalten von Seiten des Staatsapparates zur Gewohnheit geworden ist?

Die Reaktion der Organisatoren der EuroPride war entschlossen und verantwortungsvoll – der Präsident der Republik kann die EuroPride nicht absagen, weil er sie nicht organisiert. Die Pride-Parade kann nicht durch ein verbales Dekret des Präsidenten, sondern nur durch eine Entscheidung des Innenministeriums verboten werden. Die Organisationen und Unterstützer haben unmissverständlich erklärt, dass die Parade stattfinden wird, unabhängig von der Entscheidung der Behörden. Ich halte dies für eine mutige und richtige Entscheidung, denn dadurch wird die EuroPride zu einem echten Protest und nicht nur zu einem feierlichen Marsch.

 

Gibt es Mittel und Wege, aus der EU und ihren Mitgliedstaaten heraus die serbische LGBTIQ-Community in ihrem Kampf um Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe zu unterstützen?

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sollten so viel Druck wie möglich auf die Regierungskoalition von Präsident Vučić und Premierminister Brnabić ausüben, denn diese Art von ‚Druck von außen‘ ist das Einzige, dem sie Beachtung schenken. Wenn dies der einzige Weg ist, die verfassungsmäßigen Rechte von LGBT-Personen in Serbien durchzusetzen, dann soll es so sein. Alle Appelle oder Proteste, die von inländischen Akteuren kommen, sind fruchtlos, da die Regierung die EuroPride nicht als ein Thema ansieht, das in der nationalen Debatte von Bedeutung ist.

Stefan Šparavalo

Stefan Šparavalo