Westafrika
Islamismus in Westafrika auf dem Vormarsch: Erstmals sind auch stabile Staaten bedroht

Ein Mann trägt einen Teppich in einem Gebetsraum in der Großen Moschee in Touba, Senegal.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jon OrbachSeit dem Abzug der internationalen Missionen aus der Sahelzone ist auch die Aufmerksamkeit für die Region zurückgegangen. Der Westen hat das Blatt aus der Hand gegeben.
Die dschihadistischen Gruppen dominieren mittlerweile in den Binnenstaaten vom Tschad bis zu den drei in der Allianz der Sahlelzone (AES) zusammengeschlossen Staaten Mali, Niger und Burkina Faso immer stärker das Geschehen.
Immer bedrohter sind mittlerweile auch die westafrikanischen Küstenländer wie Senegal, Togo, Benin und Elfenbeinküste, demokratische und relativ stabile Staaten. Verzweifelt versuchen sie, sich gegen Instabilität zu wehren. Hier sollte der Westen im eigenen Interesse genauer hinsehen und Verbündete suchen.
Machtvakuum schnell gefüllt
Die Sahelzone – Wiege der Menschheit, Heimat des legendären Mansa Musa, der im 14. Jahrhundert durch Goldhandel zu immensem Reichtum gelangte – ist heute ein Pulverfass. Die einstige Kulturlandschaft, durchdrungen von Religion, Philosophie und Wissenschaft, versinkt im Chaos. Terror, Islamismus, Putsche, Hunger und Vertreibung prägen die Region.
Die Situation ist nicht neu. Aber sie wird immer bedrohlicher. Mit dem Abzug internationaler Missionen – EU-Truppen, UN-Friedenskräfte, US-Hilfen – entstanden gefährliche Machtvakui. Diese wurden rasch von externen Akteuren besetzt.
In Mali operiert heute das russische Afrikakorps (umbenannte Wagner-Truppen, die nun der russischen Armee unterstehen). Die malische Militärjunta setzt auf deren militärische Schlagkraft gegen den islamistischen Terror, der seit dem Zerfall Libyens 2011 immer weiter auf dem Kontingent ausbreitet.
Doch die Söldner dienen nicht nur militärischen Interessen: In Goldminen sichern sie sich ihren Sold – und verschaffen Russland geopolitischen Einfluss bis tief in den Kontinent.
Söldner ersetzen keine stabile Ordnung. Immer häufiger kommt es zu Angriffen auf Militärbasen – zuletzt auch mit Drohnen. Hunderte Zivilisten, Soldaten und Kämpfer sterben, die Infrastruktur bricht zusammen. Schulen schließen, Mädchen verlieren den Zugang zu Bildung, Männer werden zwangsrekrutiert.
Wegfall internationaler Hilfen
Die Zivilbevölkerung gerät zwischen die Fronten. Dörfer verwaisen, Lebensgrundlagen zerbrechen. Für viele bleibt nur die Flucht – in überfüllte Lager oder Richtung Küste. Oder Richtung Europa.
Mit dem Wegfall internationaler Hilfen droht zudem die humanitäre Versorgung zu kollabieren. Zwar zeigen Staaten wie Senegal oder Benin vereinzelt Aufnahmebereitschaft – doch kaum vorhandene Infrastruktur, wirtschaftliche Grenzen und die Angst vor Terror führen zu wachsender Ablehnung.
Nomadische Gruppen wie die Peul geraten zusätzlich unter Druck. Als mobile Viehzüchter werden sie oft verdächtigt, mit Islamisten zu sympathisieren – eine Behauptung, die immer wieder zu ethnischen Säuberungen führt.
Rückzugsgebiet für Terrorgruppen
Neben den Sahelstaaten sind mittlerweile auch die Küstenstaaten zunehmend bedroht, militärisch und wirtschaftlich. Die entlegenen und schwer kontrollierbaren Grenzregionen der Küstenstaaten wie Mauretanien, Senegal bis nach Guinea bieten ein ideales Rückzugsgebiet für die Terrororganisationen wie die „Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime“ (JNIM).
Laut einer aktuellen Studie des in Dakar ansässigen Timbuktu-Instituts konzentrieren sie sich neuerdings darauf, vom Süden Malis aus Senegal und Mauretanien zu infiltrieren.
Die in der Grenzregion Senegals lebende Bevölkerung ist von Armut betroffen und von der Benachteiligung einiger Bevölkerungsgruppen. Diese sprechen laut dem Bericht an auf die als „Befreiungstheologie“ verpackten radikalen Botschaften, die stärker als der traditionelle Islam die Ungleichheiten anprangern.
Zudem bieten die Terrorgruppen in diesen Gegenden mit wenig Einkommensmöglichkeiten eine gewisse materielle Absicherung vor allem für die Jugend, die sich von den eigenen Regierungen abgehängt fühlt.
Senegals ethnisches und religiöses Mosaik
Der von den Terroristen propagierte religiöse Extremismus und Salafismus bedroht damit den funktionierenden Sozialfrieden in einem Land wie Senegal.
Hier ist bisher eine gemäßigte Lehre des Islam und der Sufi-Bruderschaften vorherrschend, die durch ihr moderates Wirken für die politische Stabilität des Landes sorgen.
Nun ist von einer zunehmenden Infiltration der Moscheen die Rede, in denen oftmals ausländische Predigern Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus propagieren. Damit wird das Zusammenleben der vielen ethnischen und religiösen Gruppen gefährdet.
Der Westen sollte Partner suchen
Der Westen darf dieser Entwicklung nicht tatenlos zusehen. 2024 mahnte die damalige deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zu Recht: „Überall dort, wo wir als Demokratien, wo wir als Europa nicht investieren, investieren andere, die dann Abhängigkeiten schaffen, die im Zweifel gegen uns und auch unser Sicherheitsinteresse eingesetzt werden.“
Europa sollte sich daher positionieren und Afrika als Chance begreifen. Dafür braucht es nachhaltige Partnerschaften auf Augenhöhe statt kurzfristiger Interventionspolitik.
Drei Säulen sind dabei entscheidend: wirtschaftliche Kooperation, Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz und gemeinsame Sicherheitsstrategien.
Insbesondere der sicherheitspolitischen Komponente kommt angesichts religiöser Radikalisierung und geopolitischer Konkurrenz eine Schlüsselrolle zu. Europa braucht keine neue problematische „Südflanke“. Europa braucht neue Partner.
Dieser Artikel erschien erstmals am 30. Juni beim Tagesspiegel.