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Krieg in Europa
Warum Afrikanische Söldner in der Ukraine kämpfen

 Kharkiv, Ukraine

Ein durch russisches Bombardement zerstörtes Gebäude in Charkiw

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Alex Chan Tsz Yuk

Die Kampfhandlungen im Ukraine-Krieg mögen regional begrenzt sein – der Konflikt war es nie. In einer Krise mit globalen Auswirkungen hadern viele Regierungen mit einer klaren Positionierung, sei es aufgrund wirtschaftlicher Beziehungen, historischer Verbindungen oder militärischer Kooperationen. Im Fokus der globalen Aufmerksamkeit stehen dabei oft afrikanische Staaten, die sich bei der Abstimmung über die UN-Resolution zur Verurteilung des russischen Angriffskrieges besonders zahlreich enthielten. Von Südafrika über Tansania bis Algerien scheuten die Regierenden eine klare Haltung; sie wollen in den Konflikt möglichst nicht involviert werden. Inzwischen zeigt sich: Sie wurden von den Lebensrealitäten ihrer Bevölkerungen längst eingeholt.

Äthiopien: Schlange stehen für den Krieg

Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, standen in den vergangenen Wochen jeden Morgen Dutzende, manchmal Hunderte ehemalige äthiopische Militärangehörige – und sich als solche ausgebende – vor der russischen Botschaft in Addis Abeba Schlange, um sich für den Kampf in der Ukraine registrieren zu lassen.

Die Motivationen sind unterschiedlich, doch fast immer spielt die Aussicht auf Sold und eine angebliche Sofortprämie in Höhe von 2.000 Dollar eine entscheidende Rolle. Äthiopien, das noch vor einigen Monaten als afrikanisches Wachstumswunder gefeiert wurde, leidet seit anderthalb Jahren unter einem blutigen Bürgerkrieg. Die Wirtschaft liegt brach, die dringend benötigten ausländischen Investitionen sind eingebrochen. Auch wenn die Konfliktparteien derzeit über einen brüchigen Waffenstillstand verhandeln, wird es Jahre dauern, die Schäden zu beheben. Entsprechend desillusioniert sind viele Menschen, die keine Zukunft mehr in ihrem Heimatland sehen. In den sozialen Medien zirkulierende Desinformationen, in denen neben Geld ein Kampf „für die gute Sache“ beworben wird, fallen entsprechend auf einen fruchtbaren Boden. Dass die Sowjetunion historisch enge Verbindungen zu den Ländern am Horn von Afrika pflegte, sorgt für einen Sympathiebonus in der Bevölkerung und lässt Fragen nach Schuld und Verantwortung in den Hintergrund rücken.

„Wenn ich dorthin gehe, hoffe ich, dass ich viele Chancen bekomme. Nach Russland zu gehen, ist für mich wie eine Auferstehung von den Toten“, zitiert die BBC einen der Wartenden vor der Botschaft. Welche Erwartungen auch immer er hatte, so wurden diese von den russischen Offiziellen enttäuscht. In einem Statement erklärte die Botschaft, dass sie keine Kämpfer aus Äthiopien rekrutiere. Die Menschen vor der Botschaft hätten sich lediglich versammelt, um ihre „Solidarität und Unterstützung für die Russische Föderation“ zum Ausdruck zu bringen.

Zentralafrikanische Republik: Söldner in der Ukraine

Eine ähnlich komplexe, wenn auch kaum vergleichbare Situation, herrscht in der Zentralafrikanischen Republik vor. Das Land gilt seit Jahren als gescheiterter Staat, in dem die Partikularinteressen verschiedener Mächte auf eine toxische Mischung aus Rohstoffen, Korruption, religiösen und ethnischen Konflikten treffen. Wie schon in Syrien, Libyen und inzwischen auch dem westafrikanischen Mali nutzen die russische Regierung und ihr Verlängerter militärischer Arm – die berüchtigte Wagner-Gruppe – die labile Situation vor Ort, um ihre Macht durch kriegerische Interventionen auszuweiten. In keinem anderen Land ist die zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigte Kampftruppe so präsent wie in der Zentralafrikanischen Republik. Im Tausch für ihre Dienste beim Kampf gegen Rebellentruppen erhält sie dort Rohstoffkonzessionen und Anteile an Diamantenminen.

Entsprechend eng sind die Beziehungen zwischen dem lokalen Militär und den russischen Söldnern. Aufmerksamkeit erregte vor diesem Hintergrund ein im März veröffentlichtes Video, in dem zehn schwer bewaffnete Kämpfer aus der Zentralafrikanischen Republik dem Kreml die Treue schworen und erklärten, sie würden sich ihren „russischen Brüdern“ an der Front anschließen, um „Frieden und Ordnung“ zu schaffen.

Anders als in Äthiopien scheint die russische Regierung weniger Hemmungen zu haben, Kämpfer aus dem Land zu rekrutieren, in dem die Wagner-Gruppe selbst präsent ist. Darauf deuten Hinweise in den sozialen Medien und sowie Recherchen von Journalistinnen und Journalisten vor Ort. So postete der meist sehr gut informierte Twitteraccount @markito0171 Ende März ein Foto zweier afrikanischer Soldaten in Kampfmontur mit Wagner-Abzeichen, die nach Kämpfen im Donbass tot aufgefunden wurden – zusammen mit Reisepässen in kyrillischer Schrift. Es ist evident, dass die Wagner-Gruppe gezielt Söldner aus der Zentralafrikanischen Republik rekrutiert.

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Ähnliche Berichte kommen aus den von Bürgerkriegen malträtierten Syrien und Libyen, wo sich der von Wagnertruppen unterstütze General Khalifa Haftar bereit erklärte, Soldaten in die Ukraine zu entsenden. Es zeigt sich: Russlands diplomatische, militärische und wirtschaftliche Interventionen der letzten Jahre in Afrika und dem Nahen Osten zahlen sich für Putin aus. Die Unterstützung für seinen Krieg ist autokratisch regierten und krisengeschüttelten Staaten besonders hoch.

Ein Pass als Anreiz

Ganz anders sieht die Situation aufseiten der Ukraine aus: Zwar haben auch einige afrikanische Länder wie Kenia, Ghana oder Nigeria den Angriff Putins verurteilt – an den Sanktionen der westlichen Staaten gegen Russland beteiligte sich jedoch keiner. Und als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Afrikaner einlud, als Soldaten für die Ukraine in den Krieg zu ziehen, war die Entrüstung auch aufseiten demokratisch regierter Staaten wie dem Senegal groß. Die Verantwortlichen sind sich bewusst, dass ein solcher Aufruf in der Bevölkerung auf Resonanz treffen dürfte: Die Aussicht auf Bezahlung und die Perspektive, mit einem ukrainischen Pass langfristig in Europa bleiben zu dürfen, wirkt auf viele Menschen in den von den Krisen der letzten Jahre besonders stark gebeutelten Länder attraktiver als ein Leben in dauerhafter Armut. Doch auch in diesem Fall wurden die Hoffnungen enttäuscht: Die Botschaft der Ukraine im nigerianischen Abuja beeilte sich nach heftigen Protesten der Regierung, einen Rekrutierungsaufruf von seiner Facebook-Seite zu entfernen. Bisher hat es kein afrikanisches Land seinen Bürgern erlaubt, für die Verteidigung der Ukraine anzuheuern.

So bleibt die Rolle afrikanischer Soldaten im Ukrainekrieg bisher verhältnismäßig gering. Mit zunehmender Kriegsdauer und stetig ansteigenden Verlusten auf russischer Seite könnte Putin künftig jedoch stärker auf ausländische Soldaten setzen. Die Bereitschaft dafür ist aufgrund der sozioökonomischen Situation in vielen afrikanischen Ländern gegeben. Aus Libyen und Syrien sind bereits Tausende Soldaten von der Wagner-Gruppe in die Ukraine entsendet worden. Ob künftig auch kampferprobte Truppen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara wie Mali oder der Zentralafrikanischen Republik in größerer Zahl rekrutiert werden, bleibt abzuwarten. Überraschen würde es kaum mehr.

Es ist eine der vielen grausamen Absurditäten dieses Krieges, dass dessen Konsequenzen wie beispielsweise rasant steigende Lebensmittelpreise mehr und mehr Menschen in die Armut stürzen – und dass das Anheuern aufseiten einer der Konfliktparteien einen der wenigen Auswege aus dieser Misere zu bieten scheint. Eine Entwicklung, die sich angesichts des andauernden Konflikts künftig nur noch weiter verschärfen wird.

 

Inge Herbert ist Regionalbüroleiterin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Subsahara-Afrika mit Sitz in Johannesburg.